1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Noch einen Hauch mehr Make-up – Papa mochte es, wenn Frauen sich mit ihrem Aussehen Mühe gaben. „Ich kämme mich ja auch und rasiere mich abends nochmal“, argumentierte er stets.
Also kramte sie den schwarzen Kajal heraus und malte ihre unteren Innenlider nach. Sah schön dramatisch aus. Einen Hauch Wimperntusche – aber nicht so ein Super-Maxi-Riesenwimpern-Zeug, ganz normale schwarze Tusche. Und blassrosa Lippenstift.
Nicht übel, fand sie. Noch einmal durch die Haare gebürstet und gut. Papa konnte keinesfalls meckern.
Was zum Henker gab es denn zu feiern?
Einerseits konnte es ihr völlig egal sein – ein Essen im Médoc war immer gut –, aber andererseits war sie neugierig. Was hatte Papa gemacht? Ein lukratives Geschäft? Den halbbankrotten Collnhausens ihre edle Hütte abgekauft?
Quatsch, wozu denn! Das Trunz-Anwesen war genauso schön, auch ohne säulengeschmückte Auffahrt von 1910.
Vielleicht war Mama endlich in dem einen oder anderen noblen Wohltätigkeitsverein aufgenommen worden? War in der feinen Waldstettener Gesellschaft angekommen?
Mama hatte einfach die falsche Prämisse, murrte Josie innerlich, während sie ihren Kram in die kleine schwarze Lacktasche sortierte. Die würde Mama gefallen, sie war von einer sehr bekannten Londoner Nobelmarke und würde sogar den arroganten Kellern im Médoc ein anerkennendes Nicken entlocken.
Die gute Waldstettener Gesellschaft bestand nämlich nicht nur aus Regine von Collnhausen und ihren zickigen Freundinnen, es gab auch Frauen, die richtig arbeiteten (zum Beispiel Lea Christen, deren Bücher Josie sehr hilfreich fand, oder die Handelsrechtsspezialistin Yvonne von Carlswald) und nicht nur auf Vernissagen herumstanden oder teure Bälle veranstalteten, von deren Erlös dann ein Bruchteil irgendeinem gesellschaftlich akzeptablen sozialen Zweck zufloss.
Es klingelte; sie schloss ihre Tür sorgfältig ab und eilte die Treppen hinunter.
Vor dem Haus stand Papas dicker Phaeton, und Horri stieß die hintere Tür auf.
Josie schlüpfte neben sie auf die Rückbank, zog die Tür zu, begrüßte ihre Eltern und schnallte sich an – in einer einzigen fließenden Bewegung.
„Automatisierte Bewegungsabläufe“, feixte Horri. „Aber ich muss schon sagen, schick, schick! Hey, die Tasche – ist die von Aspinal?“
„Klar. Angeblich hat Kate die gleiche. Ich finde, die ist so schön, da braucht man keine weitere mehr. Die passt auch zu allem.“
Mama drehte sich um. „Ja, sehr hübsch, Josie. Aber sag mal, musst du denn unbedingt in dieser Gegend wohnen? Das ist alles so – so –so – ich weiß nicht?“
„So was ? Mama, das ist das Univiertel, ich arbeite an der Uni. Es gibt Buchhandlungen, Copyshops, schicken Bürobedarf, gute Cafés und sogar ein paar anständige Klamottenläden. Und eine Menge hübscher Altbauten. Was passt dir daran nicht?“
„Streitet euch nicht, Mädels“, bat Papa mit besonders freundlicher Stimme und bog auf den Parkplatz hinter dem Médoc ab.
Verdächtig, fand Josie. Papa auf der Schleimspur, ein Lob von Mama (auch wenn es gleich wieder durch Genörgel getarnt worden war). Was war los – hatten sie im Lotto gewonnen?
Blödsinn. Ein durchschnittlicher Lottogewinn war im Vergleich zum Vermögen ihrer Eltern nichts Weltbewegendes. Und sie selbst hätte ein Milliönchen zwar bestimmt gut gebrauchen können, aber sie spielte ja nicht einmal.
Papa führte seine Damen ins Restaurant, an einen der schönen Tische am Fenster – mit Blick auf den dämmerigen Marktplatz. Josie und Horri rempelten sich kurz diskret, dann hatte Horri gewonnen und sich den Fensterplatz gesichert. Josie zuckte die Achseln und setzte sich neben sie. Eigentlich war der Fensterplatz ja auch etwas für Kinder…
Papa saß ihr gegenüber, Mama auf dem anderen Fensterplatz. Beide strahlten eitel Wohlwollen aus.
„Ein sehr hübsches T-Shirt“, lobte Mama.
„Und endlich einmal hast du etwas aus dir gemacht“, steuerte Papa bei.
„Was habt ihr heute bloß?“, fragte Josie leicht entnervt. „Ihr wollt doch was, wenn ihr so superfreundlich seid?“
„Aber wie kommst du denn darauf!“, widersprach Papa und nahm seine Karte entgegen. „Ich denke, als Aperitif einen Hugo? Sind alle einverstanden?“
Alle nickten, sogar Horri verzichtete darauf, nach einem Wodka Red Bull zu fragen, was nur wieder Mama in Aufregung versetzt hätte.
Auch sehr merkwürdig: Horri hatte noch keine Granate gezündet: Wusste sie etwas? Josie warf einen Blick zur Seite, aber Horri schaute gebannt aus dem Fenster. Was konnte denn jetzt auf dem Marktplatz so Spannendes passieren?
Verflixt, was hatten sie alle denn heute bloß?
Die Hugos kamen, alle stießen an, alle tranken, alle lächelten. Josie hatte allerdings das Gefühl, dass ihr das falsche Lächeln die Gesichtszüge verkrampfte.
Man vertiefte sich in die Karte. Papa und Mama diskutierten mit wahrer Leidenschaft, ob sie sich zusammen das Chateaubriand für zwei Personen leisten sollten. Anscheinend gab es nichts, was ihnen mehr am Herzen lag. Horri dachte halblaut über das Entencarpacchio nach („natürlich nur als Vorspeise“), Josie seufzte innerlich.
Die merkwürdige Atmosphäre schlug ihr auf den Magen – aber als Spielverderberin wollte sie nun auch nicht darstellen. Die anderen hielten sie ohnehin schon für die geborene Spaßbremse. Also vertiefte sie sich ebenfalls in die Speisekarte und beschloss, sich etwas Ungesundes zu gönnen – genau! Den Grillteller mit Pommes und Sauce Béarnaise würde sie nehmen, der war auch ganz schön teuer, das würde Papa freuen. Natürlich, wenn sie betont das Billigste nähme… nein, der Gag war den Stress nicht wert, und das Billigste waren sautierte Champignons mit Reis, das mochte sie nicht so besonders.
Sie klappte die Karte zu. „Ich glaube, ich nehme den Grillteller.“
Papa strahlte, wie zu erwarten war. „Schön, mein Kind, dass du dich auch mal verwöhnen lässt! Und Horri, was möchtest du nach dem Entencarpacchio?“
Horri schaute wie eine Dreijährige drein. „Ganz ehrlich? Das Kinderschnitzel.“
„Am besten auf dem Pumuckl-Teller“, spottete Josie.
„So what? Ich will jetzt Kinderschnitzel. Mit viel Pommes!“
„Aber Kinder, wollt ihr wirklich Pommes frites dazu? Nicht lieber einen schönen gesunden Salat? Schaut mal, da gibt es Salatherzen in Vinaigrette, wäre das nichts?“
„Nö, Mama“, antwortete Horri sofort, „wir wollen Pommes. Du auch, Josie, oder?“
„Genau. Pech gehabt, Mama. Erstens sind wir dünn genug und zweitens gehen wir doch nicht ins Médoc, um Salat zu mümmeln. Salat kann ich mir jeden Tag im Supermarkt kaufen.“
Ihre Mutter schauderte, Horri und Josie machten unter dem Tisch High Five.
„Kinder!“, mahnte der Vater und grinste. Dann lehnte er sich gemütlich zurück, warf einen kurzen Blick zum Eingang und meinte jovial: „Na, Josie, woran arbeitest du denn gerade?“
Josie blinzelte. „Interessiert dich das wirklich?“
„Aber sonst würde ich doch wohl nicht fragen!“ Er lächelte väterlich.
Nachtigall, ick hör dir trapsen…
Aber bitte, das konnte er haben! Sie stürzte sich in eine lange Beschreibung all ihrer Projekte – von Graf Roderich und der Schlacht bei Mühldorf über den Ersten Kreuzzug und die Forschungsdebatten darüber bis zur Gründung Leisenbergs. Befriedigt registrierte sie, wie das Lächeln ihres Vaters allmählich einfror und seine Augen glasig wurden, aber bevor er sie unter einem Vorwand stoppen konnte, sagte eine Stimme hinter ihr: „Ja, Herr Trunz! Das ist aber nett, dass wir uns hier treffen!“
Sie fuhr herum und sah Günther von Collnhausen – mit einem ebenfalls sehr falschen Lächeln -, seine Frau, die erfreut quiekende Tessa und dahinter Chris, der leicht derangiert wirkte und immer noch Schatten um ein Auge aufwies.
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