1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Josies Familie galt als eher neureich, aber da Josie selbst genauso wie ihre ältere Schwester Letti relativ bescheiden auftrat, nahm man ihr das nicht besonders übel. Tina Weltig wurde wegen des Protzentums ihrer Eltern von manchen ziemlich angefeindet – ein Typ wie Paris Hilton, überlegte Josie. Tina hatte sich mit Torben ganz gut verstanden – die Wintrups waren ebenfalls recht frisch zu Geld gekommen, und das auf eher dubiose Weise. War nicht das Gerücht gegangen, Vater Wintrup habe einfach im Lotto gewonnen und dann in Hedgefonds investiert? Wahlweise sich als Kredithai etabliert?
Irgendwer hatte sogar das Gerücht in die Welt gesetzt, das Wintrupsche Geld stamme aus dem Rotlichtmilieu. Aber wenn man sich die Leisenberger Rotlichtszene so vorstellte – damit konnte man wohl nicht wirklich reich werden!
Auf jeden Fall hatten sich der Kredithaisprößling und die Protzprinzessin (so die gängigen Bezeichnungen) einigermaßen miteinander angefreundet. Josie war im Moment direkt neugierig, was aus den beiden als Paar wohl geworden war – sollte sie Chris wieder einmal bei einem albernen Event der Eltern treffen, konnte sie ihn ja fragen.
Überhaupt – wäre langsam nicht einmal ein Abitreffen angebracht? Zehn Jahre Abi, das war doch eine anständig runde Zahl! Sie klickte die Berichte über die Playboygang beiseite und begann, nach Namen aus der Schulzeit zu suchen. Unter Abi 2003+Leisenberg+Leopoldinum fand sie den Verweis auf die allbekannte Schulfreundeseite und meldete sich seufzend an. Es kostete ja nichts, und später konnte sie wieder aussteigen, wenn der Newsletter zu penetrant wurde.
Sie verfasste ein kurzes Schreiben mit dem Vorschlag, ein Abitreffen zu veranstalten, und schickte es an die vier Mädels, die hier registriert waren – ehrlich gesagt, waren es eher die langweiligen, die sich hier eingetragen hatten.
Na toll.
Sie sah auf die Uhr – was, halb vier? Was man beim Surfen für Zeit verschwenden konnte! Sie packte zusammen und schloss ihr Büro ab, dann eilte sie nach Hause.
Dort breitete sie ihre Unterlagen auf dem Schreibtisch aus und setzte sich unlustig davor. Lieber hätte sie sich jetzt die Abizeitung geholt und jeden einzelnen Namen gegoogelt, aber das war leider Zeitverschwendung und brachte sie der Habilitierung keinen Schritt näher – und sie wollte doch mit zweiunddreißig am Ziel sein! Noch zwei Jahre und einige Monate… ihr Vertrag lief noch drei Jahre, und vielleicht würde die Leisenberger Uni sie ja übernehmen…
Wenn nicht – egal, sie ging auch überall anders hin, und wenn sie noch ein paar Lehrbücher und Lexikonartikel verfasste (und zur Übung ab und an einen Wikipedia-Artikel), war ihr Name hinreichend bekannt und ihr Kontostand befriedigend.
Sie machte sich nun doch an die Arbeit, aber sie kam nicht allzu weit, denn Horri rief sie an.
„Kriegst du deine Hausaufgaben nicht gebacken?“, fragte Josie, durch Erfahrung gewitzt.
„Nö! Naja, vielleicht ein bisschen…“
Josie seufzte und lotste ihre kleine Schwester telefonisch durch die Tücken eines romantischen Gedichts, danach fand Horri, das sei nun wirklich genug für die Schule.
„Weißt du was?“
„Nein“, antwortete Josie belustigt, „erst wenn du´s mir sagst.“
„Ich hab Tessa doch die Reitbeteiligung bei Lady in Black angeboten, weißt du noch?“
Josie brummte zustimmend und ermutigend.
„Ja, und Tessa hat gesagt, sie ist echt froh darüber, denn ihre Eltern haben bloß höhnisch gelacht, als sie gesagt hat, dass sie ein Pferd will. Und sie hat nicht das Gefühl, dass es wegen ihrer miesen Leistungen in der Schule ist, sondern anders. Dass die das Geld nicht haben. Aber kann das sein, was meinst du? Ich meine, so ein ganz normales Reitpferd, das kostet doch vielleicht ein paar tausend Euro, oder? Es muss ja kein Champion sein, so toll reitet Tessa ja nun auch wieder nicht. Meinst du, die sind jetzt so arm, dass es nicht mal für das Pferd reicht?“
„Ach, Horri – die meisten Leute können sich kein Pferd leisten, tu nicht so abgehoben. Aber in der Größenordnung, in der die Collnhausens angesiedelt sind, erstaunt mich das auch ein bisschen. Hat Tessa noch mehr erzählt?“
„Nicht viel Gescheites. Dass ihr Bruder etwas abgehetzt wirkt, obwohl er gar nichts Richtiges arbeitet, und ein blaues Auge hat – ach ja, und dass ihr Vater versucht, unter der Hand diesen ollen Riesenschlitten loszuwerden.“
„Welchen ollen Riesenschlitten?“
„Na, er hat doch mal angefangen, Oldtimer zu sammeln. Hat Tessa erzählt. Aber viel hat er anscheinend nicht, so einen silbernen wie aus einem alten James Bond -“
„Einen Aston Martin aus den Sechzigern also“, nickte Josie in den Hörer.
„Ja, und so einen ganz großen alten aus den Dreißigern. Zweifarbig. Tessa hat mir mal die Garage gezeigt. Ich meine, ist das nicht ziemlicher Quatsch? Rumfahren kann man mit sowas doch eh nicht, oder? Und das Riesending hat bestimmt ein kleines Vermögen gekostet.“
„Ich tippe mal auf einen Rolls Royce“, antwortete Josie. „Und sowas kann durchaus eine Geldanlage sein. Wäre mir aber auch zu empfindlich. Aber das schaut tatsächlich so aus, als ginge den Collnhausens das Geld aus. Nur, Horri – tratsch das bloß nicht herum, klar? Das kann die Familie total ruinieren!“
„Wieso?“
Horri war wirklich noch ein Kind! Josie seufzte. „Vielleicht kriegen sie keinen Kredit, weil alle denken, sie haben nichts mehr. Oder es will ihnen sonst keiner mehr helfen. Also Parole Maulhalten!“
„Ist ja gut, ich halte die Klappe. Und ich bin extra nett zu Tessa.“
„Das kann auf keinen Fall schaden, solange du es nicht so auffällig machst, dass alle in der Schule es merken.“
„Ich bin ja nicht doof!“
Na, hoffentlich. Josie überlegte, was bei Collnhausens nun genau schief gelaufen sein konnte. Lag es an den bescheuerten Investitionen des Vaters oder an Chris, der offenbar zum Geschäftsmann nicht geboren war? Das mit dem blauen Auge stimmte Josie schon etwas nachdenklich. Im Dunkeln gegen eine Tür gelaufen – so etwas glaubte doch niemand!
Armer Hund.
Aber sie hatte mit ihrer eigenen Karriere eigentlich genug zu tun, und so viel Geld, dass sie Chris aus der Patsche helfen konnte, hatte sie nun auch nicht – dazu hätte sie Papa anpumpen müssen, und der würde peinliche Nachfragen stellen.
Sie vertiefte sich wieder in ihren Aufsatz und danach in die Unterlagen zu ihrer Habilschrift und plante die nächsten Besuche in den verschiedenen Archiven, in Ludwigskron und im Städtischen Archiv. Und vielleicht musste sie auch noch nach München, ins Hauptstaatsarchiv. Warum auch nicht, in München konnte man danach ganz nett shoppen gehen.
Am nächsten Freitag hatte Josie sich schon famlienessenstauglich hergerichtet und war im Begriff, nach Waldstetten zu fahren, als ihr Vater anrief.
„Huch? Ist irgendwas passiert?“ Josie war richtig erschrocken.
Ihr Vater lachte – auf eine ganz ungewohnt weiche Art. Was hatte der denn?
„Aber nein – im Gegenteil. Pass auf, wir wollen uns heute mal was gönnen, wir gehen ins Médoc . Um halb acht dort, einverstanden? Letti und Michael kommen auch, mittlerweile ist Letti ja nicht mehr so übel.“
Josie stimmte mit schwächlicher Stimme zu und legte auf. Was war in Papa gefahren? Geradezu schleimig hatte er geklungen – und dazu diese Anspielung auf Lettis Schwangerschaft, wo er doch sonst gynäkologische Themen strikt ablehnte?
Sehr merkwürdig, das alles.
Okay, Médoc … da musste sie in puncto Outfit wohl noch ein bisschen nachlegen. Die graue Hose ging, das war dünner Wollflanell – aber das T-Shirt war für das Médoc etwas zu schlicht. Sie kramte ein anthrazitfarbenes Shirt aus Baumwollsatin mit kleinen Swarowski-Kristallen rund um die breite Ausschnittblende aus dem Schrank, schlüpfte hinein, nebelte sich mit etwas schwererem Parfum ein, zog den blassgrauen Seidenblazer vom Bügel und warf ihn aufs Bett.
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