Josie suchte Chris´ Blick und sagte: „Ja, so ein Zufall aber auch!“
Er grinste schwach und resigniert, wie ihr schien; die beiden Väter legten rundäugiges Erstaunen an den Tag, fragten aber nicht nach, was Josie denn damit wohl meinte.
Mama strahlte, die olle Collnhausen (welch schöner Binnenreim!) schaute wie eine Gräfin, die sich unter das gemeine Volk begeben musste, und Tessa stand schon hinter Horri und flüsterte auf sie ein.
Josies Vater winkte dem Oberkellner und bat darum, einen zweiten Tisch heranzuschaffen, der Ober schlug statt dessen vor, die ganze Gesellschaft möge doch an den runden Tisch in der übernächsten Fensternische umziehen – dort hätten acht Personen bequem Platz.
Das hielt Collnhausen für eine ausgezeichnete Idee; die beiden Teenies waren ebenfalls sehr angetan, Frau von Collnhausen seufzte hörbar und nickte dann gnädig, und Josie sah, wie sich ihr eigenes Misstrauen in Chris´ Gesicht spiegelte.
Also packte die Familie Trunz zusammen, alle nahmen auch ihre halbleeren Hugos und zogen in die neue Nische um. Dort gab es einiges hin und her, und schließlich hatten Horri und Teresa sich wieder die Fensterplätze gesichert und Josie fand sich neben Chris wieder.
„Was ist heute eigentlich los?“, fragte Chris leise.
„Keine Ahnung“, tuschelte Josie zurück, „aber alle sind heute so komisch. So unecht gut gelaunt.“
„Verlogene Bande“, murmelte Chris und musterte die aufgeräumte Runde streng.
„Ich glaube, wir nehmen auch alle einen Hugo“, verkündete Collnhausen.
„Sehr gute Idee! Wollen wir uns noch einmal anschließen?“, fragte Josies Vater.
Horri kicherte zustimmend, anscheinend war schon der eine zuviel gewesen. Mama lobte den Vorschlag, Josie sagte: „Ich hab noch, danke.“
„Ach Josie, sei kein Spielverderber!“
Sie sah ihren Vater fest an. „Danke. Vielleicht später noch.“ Ihr schien es, als musterte Collnhausen sie prüfend; seine Frau starrte vor sich hin. Allmählich kam es ihr vor, als wollten die Collnhausens ihr einen Job anbieten, aber nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Die Situation wurde immer bizarrer.
Die neuen Hugos kamen, man stieß allenthalben an (die alte Collnhausen wirkte dabei leicht gequält, fand Josie), und schließlich vertieften sich die neu hinzugekommenen in die Karte.
„Die haben was vor“, murmelte Chris neben ihr. „Aber was bloß?“
„Vielleicht wollen sie uns betrunken machen“, schlug Josie leise vor. „Aber ich weiß es auch nicht. Haben deine Eltern nichts gesagt?“
„Nein. Sie haben nicht einmal gesagt, dass wir euch hier treffen – aber glaubst du, dass das ein Zufall ist?“
„Keinesfalls. Papa hat vorhin dauernd zur Tür geschaut, als wartete er auf jemanden. Aber dann großes Hallo, von wegen So ein Zufall! Du hast Recht – verlogene Bande.“
„Josie hat uns vorhin erzählt, worüber sie gerade arbeitet“, verkündete ihr Vater. „Über die Rolle des Grafen Roderich bei der Schlacht von Mühlhausen.“
„Mühl dorf “, verbesserte Josie automatisch. „1322.“
„Oh“, machte Regine von Collnhausen, die offenbar nichts mit diesen Informationen anfangen konnte.
„Interessant“, fand ihr Mann. „Christopher interessiert sich ja auch sehr für Geschichte.“
Chris sah drein wie vom Donner gerührt. „Ja, klar“, sagte er dann. „Deshalb habe ich in Geschichte auch viermal unterpunktet.“
Josie entfuhr ein Prusten.
Frau von Collnhausen sah geschmerzt drein, dann straffte sie ihre Schultern. „Christopher ist sehr musikalisch.“
„Auch Josie liebt Musik“, antwortete ihre Mutter wie aus der Pistole geschossen.
„Stimmt“, antwortete Josie, „ich habe mindestens zwanzig Popsongs auf meinem Smartphone.“
„Zehn nackte Frisösen?“, murmelte Chris. Josie kicherte. „Nicht ganz – aber fast. In ein klassisches Konzert gehe ich jedenfalls nicht freiwillig.“
Böse Blicke trafen sie. „ Help for Children veranstaltet Ende des Monats ein Freiluft-Konzert in Ludwigskron. Ich erwarte, dass alle hier Anwesenden daran teilnehmen“, verkündete Chris´ Mutter mit strenger Miene.
Chris gluckste. „Nur zuhören oder selbst was vortragen? Dann kriegst du aber keine Spenden für deine Hilfsaktionen! Was macht ihr mit dem Geld eigentlich genau?“
„Sei nicht so vorlaut! Nach Abzug der Unkosten geht der Erlös an das Kinderdorf in der Nähe von Eulenburg. Dort müsste mal renoviert werden. Und Häuser für zwei neue Wohngruppen sollen auch gebaut werden.“
„Sehr ehrenwert“, lobte Josie.
„Danke. Claudia, ich erwarte, dass Sie mir dabei etwas zur Hand gehen!“
Josie befürchtete, ihre Mutter würde gleich auf die Knie fallen und der alten Collnhausen die Hand küssen, so strahlte sie.
Glücklicherweise kamen in diesem Moment die Vorspeisen.
„Ihr habt ja beide keine Vorspeise“, stellte Papa fest und musterte Josie und Chris zufrieden.
„Wahnsinn!“, murrte Josie. „Warum erfindet ihr heute lauter so alberne Gemeinsamkeiten? Kommt als nächstes Josie, du hast ja Schuhe an! Oh, Chris hat auch Schuhe an! Ihr müsst Seelenverwandte sein! Was zum Henker soll das alles?“
„Jo-se- phi -ne! Du bist unhöflich!“ Mama schaute regelrecht panisch drein.
Horri gackerte, Chris verschluckte sich an seinem Wein und lachte dann hilflos, bis Josie ihm einmal hart auf den Rücken schlug. „Wieder okay?“
„J-ja, danke. Josie hat Recht: Was heckt ihr eigentlich aus?“
„Wie kommt ihr beiden denn auf diese unsinnige Idee!“, wehrte sein Vater ab.
„Ja, wirklich, Josie – was soll dieser alberne Verdacht?“, assistierte Josies Vater.
Josie seufzte und gab auf. „Schon gut, ihr zwei – aber ich kaufe euch die ganze Show auf jeden Fall nicht ab.“
„Ich auch nicht“, sagte Chris. „Und daraus macht ihr jetzt keine Seelenverwandtschaft!“
Als der Hauptgang kam, stellte sich heraus, dass auch Chris den Grillteller gewählt hatte, aber Josie schaute sich so streng um, dass niemand es wagte, diese schicksalhafte Übereinstimmung hervorzuheben.
Chris murmelte: „Gib mir deine Karte, ich glaube, wir sollten Kontakt halten, falls unsere Alten komplett austicken. So seltsam waren sie wirklich noch nie. Wenigstens mailen sollten wir uns.“
Josie angelte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie Chris unter dem Tisch. Einen Moment später kam seine Karte zurück. Sie steckte sie ein und warf einen raschen Blick in die Runde. Keiner achtete auf sie beide, weil Horri und Tessa einen kindischen Gackeranfall hatten und man offenbar überlegen musste, ob man die beiden in einem feinen Laden wie dem Médoc vor die Tür schicken konnte.
Konnte man leider nicht, war das Ergebnis der elterlichen Überlegungen.
„Habt ihr eigentlich schon Chemie geschrieben?“, fragte Josie also mitten in das Gekicher und Gepruste hinein, und prompt herrschte Ruhe. „Du hast es echt drauf“, murrte Horri und versank in Trauer. Auch Tessa sah drein, als wollte sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Verkackt?“, fragte Josie freundlich nach. Fast gar nicht hämisch.
„Jo-se- phi -ne!“
Josie zeigte Horri diskret zwei Finger, Horri schnaufte entrüstet und sah weg.
„Was macht ihr da eigentlich?“, wollte Papa wissen.
„Ach, nichts“, war Josies unschuldsvolle Antwort. Während die Eltern nun die beiden Mädchen ins Gebet nahmen, ob die Schulaufgabe denn schon korrigiert sei und ob es wenigstens für einen Punkt gereicht habe, flüsterte sie Chris zu: „Hat sich mit dem Geld was ergeben?“
Chris nickte, sah aber nicht gerade glücklich drein.
„Ist es endgültig weg?“, riet Josie. Er nickte wieder und murmelte: „Noch ärger.“ Laut sagte er: „Ich glaube, ich gehe mal raus, eine rauchen.“
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