Im Handumdrehen war man da – man hätte wirklich zu Fuß gehen können. Der Russische Hof war ungewöhnlich voll, anscheinend war der Ball doch ein begehrteres Event, als Josie sich das vorstellen konnte.
Sie betraten das Foyer, wurden von dienernden Pagen in Richtung Ballsaal gewiesen und legten an der Garderobe ihre Capes und Mäntel ab – Mama mit einer Gestik wie aus einem alten Zarah-Leander-Film, fand Josie. Sie selbst reichte ihr flokatiartiges Ding mit erheblich schlichterer Geste über den Tresen.
Den Ballsaal hatte man üppig in Blau und Gold dekoriert, ausgesprochen abendländisch, dachte sich Josie, als sie sich umsah.
„Da ist Tessa“, quiekte Horri neben ihr und wollte schon davonstürzen, aber ihr Vater hielt sie hastig fest. „Erst wollen wir sicher sein, dass man uns auch bemerkt hat. Und wir begrüßen die Gastgeber, wie es sich gehört. Hortense, du bist kein Kleinkind mehr, benimm dich entsprechend.“
Eine fast lautloses „Männo!“, war Horris einzige Reaktion. Josie grinste ihr zu und murmelte: „Gutes Kleid. Woher?“
„Danke. Glamour&Glitter , an der Uni. Scharf, gell?“ Horri sprach aus dem Mundwinkel und sah sich gleichzeitig mit künstlichem Lächeln um.
Da konnte Josie nur zustimmen – blasses Mintgrün mit silbernen Pailletteneinfassungen, schleierartig geschnitten – und perfekt zu Horris kastanienbrauner Hochsteckfrisur. „Da hast du gleich was für den Abiball nächstes Jahr“, tuschelte sie ihrer Schwester zu.
„Nö, da will ich was Neues! Aber dieses Jahr nehme ich das hier für den Getränkeverkauf. Du kennst das ja, Q11 bedient Q12.“
Die Eltern begrüßten Scheuerleins und waren damit offiziell anwesend, Horri eilte zu Tessa und die Eltern folgten gemächlicher. Wahrscheinlich hoffte Mama, endlich einmal von der ollen Collnhausen zur Kenntnis genommen zu werden!
Josie sah sich mit mäßigem Interesse um und hatte eigentlich keine Lust, bei Collnhausens herumzustehen und auf Gnadenerweise zu warten, aber Papa sah sich leider auffordernd nach ihr um, also setzte sie sich mürrisch in Bewegung.
Horri schnatterte bereits mit Tessa, die ganz in Silber auch sehr eindrucksvoll aussah. Josie beobachtete ärgerlich, wie demütig ihre Eltern darauf warteten, sich den Collnhausens nähern zu dürfen – aber, oh Wunder, Tessas Mutter zwang sich ein etwas mechanisches Lächeln ab und reichte Mama etwas herablassend die Hand. Mamas glückseliges Strahlen tat Josie direkt weh. Papa und Wilhelm von Collnhausen unterhielten sich ebenfalls etwas stockend – aber hier wirkte eher Collnhausen eifrig. Sehr merkwürdig!
Aber gut, sie war nicht hier, um ihre Eltern zu beobachten, sondern um in deren Sinne aufzutreten. Innerlich seufzend wandte sie sich Christopher Collnhausen zu, der ebenfalls unbeschäftigt herumstand.
„Hi, Chris – wie geht´s?“
Christopher reichte ihr die Hand. „Geht schon – und dir, Josie? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“
„Mir geht´s prima – naja, wir sind wohl auch nicht in den gleichen Cliquen unterwegs, oder? Genaugenommen bin ich meist gar nicht unterwegs, außer, meine Eltern kaufen doofe Ballkarten, so wie heute.“
Er grinste, und seine Mundwinkel kerbten sich dabei auf eine Weise ein, die Josie bei einem anderen, noch unbekannten Mann bestimmt ziemlich sexy gefunden hatte. Chris kannte sie nur leider schon, und seit der Schulzeit fand sie ihn nett, harmlos und verflixt oberflächlich. Ein Bürschlein von fertigem Gelde eben. Eine leises Gefühl der Verachtung konnte sie nie unterdrücken, wenn sie (selten genug) an ihn dachte.
„Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen – aber was tut man nicht alles für die lieben Erzeuger…“
Josie sah sich um. „Na, wenn ich mich so umschaue, alle deine alten Kumpels aus der Schulzeit sind ja auch hier – Flo, Torben, Max: Wärst du ohne diesen Ball nicht sowieso mit denen unterwegs?“
Chris verdrehte die Augen. „Nicht unbedingt. Bist du immer noch an der Uni?“
„Ja, klar. Vielleicht bringe ich es ja wirklich noch mal zur Professorin, aber wenn nicht, bin ich auch so ganz zufrieden. Am liebsten schreibe ich.“
„Was denn?“
„Alles Mögliche. Wissenschaftliche Artikel, Lehrbuchbeiträge, Einführungen für Studenten, manchmal lektoriere ich auch Fachbücher anderer Forscher.“
„Klingt ganz spannend.“
Das mit dem Interesseheucheln sollte er aber noch etwas üben…
„Und du?“
Chris zuckte die Achseln. „Mei… ich hab ja BWL gemacht, Schwerpunkt Marketing, aber im Moment habe ich nichts Gescheites.“
„Komisch“, meinte Josie, „dein Vater hat doch nun wirklich die besten Beziehungen, er sitzt doch praktisch in jedem Aufsichtsrat. Kann er dich nicht irgendwo reinbringen?“
„Das wäre ja Protektion, das hat irgendwie -“
„- ein Geschmäckle? Wenn schon! Wenn du dich als gut entpuppst, ist es doch wurscht, und wenn du nichts kannst, schmeißen sie dich schon wieder raus. Dein Vater muss natürlich sagen, dass du dich bewähren musst. Aber wir sind doch ziemlich gleich alt, oder täusche ich mich da? Da wären Amt und Würden langsam schon ganz schön, findest du nicht?“
Chris zog ein mürrisches Gesicht. „Du redest wie mein Vater! Okay, ja, du hast schon Recht. Eigentlich wollte ich mich mit einem Kumpel selbständig machen, der ist Game Designer. Darin liegt das wirklich große Geld.“
„Auch nicht schlecht. Warum eigentlich – hat das nicht geklappt?“
„Schwer zu sagen. Er hatte die Ideen, ich hatte das Kapital – aber jetzt habe ich seit zwei Wochen nichts von ihm gehört, allmählich mache ich mir Sorgen.“
„Seltsam“, fand Josie. „Hast du ihn auch selbst nicht erreichen können?“
„Nein. Es geht immer nur die Mailbox dran. Langsam wird mir das unheimlich. Wenn ihm was passiert ist… er hat das ganze Geld mitgenommen, und er wollte sich mit einem weiteren Geschäftspartner treffen… er ist da ein bisschen vage geblieben.“
Josie legte den Kopf schräg. „Das klingt aber schon ein bisschen obskur, findest du nicht? Wer transportiert das Firmenkapital denn in bar durch die Gegend? Und was sagt dieser andere Geschäftspartner?“
Christoph zuckte die Achseln. „Den Namen kenne ich nicht, den kennt nur Kai. Das war ein Geheimtipp.“
„Großer Gott!“ Josie verzichtete darauf, hinzuzufügen Du Vollpfosten . „Du gibst deinem Kumpel ein Vermögen von – wie viel war es gleich? – damit er mit einem anderen Kumpel, den du gar nicht kennst, mauscheln kann, weil er eine Game-Idee hat? Was war das überhaupt für ein Spiel?“
„Du hörst dich an wie mein Vater. Ich weiß auch, dass das suboptimal gelaufen ist – und die Spieleidee war noch ganz geheim.“
„Aber dieser Kai hatte schon wirklich eine Idee?“
„Na hör mal!“
„Komm, wer sagt dir denn, dass Kai und dieser andere nicht mit deinem Geldköfferchen nach Brasilien geflogen sind und sich dort eine schöne Zeit machen?“
Chris zog ein frustriertes Gesicht. Leider konnte das seine hübschen Züge auch nicht entstellen. Josie fragte sich unwillkürlich, warum ein gutes Gesicht so oft mit einem hohlen Schädel einherging.
„Ich glaube es jedenfalls nicht. Kai ist okay, bestimmt. Den kenne ich schon länger, noch von der Uni. Aber Papa ist natürlich stinksauer, wegen des Geldes. Dabei steckte ein Vermögen in der Idee. Was glaubst du, was die Leute, die I AM KING erfunden haben, abgesahnt haben? Die konnten sich danach zur Ruhe setzen!“
„ I am King ? Worum geht´s da?“
„Na, um so ein Mittelalterspiel. Du bist der König, sammelst Truppen, eroberst Land, baust Städte, all so was. Wird sehr gerne gespielt. Man kann auch haufenweise Zusatzfeatures kaufen, das bringt dann nochmal Geld, aber ordentlich. Sag mal, hast du nicht so was in der Art studiert?“
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