„DomRep“, murrte Janne. „Noch fast zehn Wochen!“
Josie gackerte. „Sozusagen Neuneinhalb Wochen ? Schaut euch den Film an, er ist zwar doof, aber vielleicht kriegt ihr ein paar Anregungen für euer Liebesleben.“
„Brauchen wir nicht. Machst du was für diesen Kongress im Juli?“
„Den hier an der Uni oder den in Augsburg?“
„Den hier. Ich hab gehört, es gibt noch gar keinen Vortrag aus unserem Institut.“
„Oh, peinlich. Dann muss ich wohl dran glauben - na, ich glaube, ich habe noch etwas. Fast neuwertig.“
Janne musste doch grinsen. „Erst auf ungefähr zehn Lehrerfortbildungen verbraten?“
„Nicht annähernd! Ich sage ja, fast neuwertig. Einmal bis jetzt vorgestellt, ein Projekt zur Kirchenkritik im Mittelalter.“
„Für Schüler?“, fragte Janne ungläubig. „Das ist denen doch sowas von egal!“
„Nein, das ist schon Mainstream – Investiturstreit, neue Orden, Reformation – wie kommt es dazu, dass sich interne Kritiker abseilen, wie kann man die Einheit wieder herstellen, Krieg im Namen der Religion oder Religion als Kriegsvorwand. Durchaus aktuell! Ich hab ganz gute Texte und Aufgaben dazu, mit Plakatgestaltung, Gruppenreferaten und so weiter. Mache ich gerne, sag das dem Vorstand. Boah, hätte ich heute Abend Lust, an so etwas herumzubasteln…!“
„Mach´s doch!“
„Können vor Lachen!“ Josie angelte nach ihrer Wasserflasche und nahm einen tiefen Schluck. „Ich muss auf einen saudummen Wohltätigkeitsball gehen.“
Janne staunte. „Etwa auf diesen Megaevent? Im Russischen Hof? Der Humanitas-Ball?“
„Heißt er so? Ja, im Russischen Hof. Ein Riesenumstand, wahrscheinlich hauptsächlich blöde Leute, die nur etwas spenden, wenn sie sich vorher den Wanst vollschlagen können. Aber meine Eltern freuen sich eben, wenn wir alle mitgehen. Na, egal. Morgen um die Zeit hab ich´s schon lang überstanden.“
„Mein Gott, andere würden sich nach einer solchen Gelegenheit alle zehn Finger abschlecken – und du hast keine Lust! Du bist ganz schön verwöhnt, weißt du das?“
„Wahrscheinlich.“ Josie holte sich einen Band des großen Kirchengeschichts-Lexikons und begann etwas nachzuschlagen, dann vertiefte sie sich in ihre Arbeit.
Janne seufzte, öffnete den Mund, seufzte erneut und begann, in den Papieren auf ihrem Schreibtisch herumzusuchen.
Josie grinste innerlich. Janne war bildhübsch und wäre rasend gerne auf so einen blöden Ball gegangen; dass stattdessen Josie dort betont lustlos auftauchte, empfand sie bestimmt als Verschwendung von guten Gelegenheiten. Andererseits war Janne doch schon so gut wie verheiratet, also brauchte sie doch keine weiteren Gelegenheiten?
Janne verabschiedete sich bald ins Wochenende, Josie hatte noch Sprechstunde, beriet einige Student/innen bei Problemen mit ihren Hausarbeiten, räumte ihren Schreibtisch auf, schrieb einen Abschnitt ihres neuesten Werks fertig, beantwortete einige Mails, hängte eine neue Terminliste nach draußen und packte dann auch zusammen. Freitagnachmittags war im Historikerbau auch nicht gerade viel los.
Zwei Mädels saßen auf einer der steinernen Bänke in der Halle, als sie vorbeieilte und den Ausgang ansteuerte, ansonsten war niemand zu sehen.
Das Dunkelblaue tat es vollkommen, überlegte sie auf dem kurzen Heimweg. Dazu das silberne Halsband mit den kleinen Türkisen. Ziemlich dekorativ, aber nicht teuer. Ein Urlaubssouvenir.
Andererseits war das Dunkelblaue aus Samt – schwitzte sie da nicht tierisch?
Ach was!
Ansonsten besaß sie nur noch schwarzen Chiffon, und das blöde Ding war ein Fehlkauf gewesen, das konnte sie nicht ausstehen und behielt es nur für den absoluten Katastrophenfall (Ball beim Bundespräsidenten und ein Einbrecher hatte kurz zuvor das Blausamtene gestohlen – oder so ähnlich).
Nein, dann schwitzte sie eben. Außerdem hatte der Russische Hof auch eine Terrasse.
Blauer Samt und die Türkise. Dunkelblaue Pumps, normale Strümpfe… die Fingernägel sollte sie sich noch lackieren. Blassrosa natürlich, so diskret wie möglich – auch wenn Horri wahrscheinlich irgendwas mit buntem Glitzer oder winzigen Tattoos auf den Nägeln hatte und Mama zu Feuerrot oder Magenta gegriffen hatte. Josie gab gerne die langweilige Tochter.
Sie hatte gerade geduscht, ihre Haare auf Vordermann gebracht und sich bis auf Schuhe und Schmuck angezogen, als das Telefon klingelte – Horri war dran.
„Horri, bitte, bitte sag, der Ball ist abgesagt! Ich hab sowas von keine Lust, du glaubst es nicht.“
„Keine Chance! Außerdem will ich auch heute fünf Euro verdienen. Pass auf, wir holen dich um Viertel vor acht mit dem Taxi ab, ja? Komm dann runter.“
„Wieso denn so umständlich? Ich kann doch die paar Minuten zum Hotel laufen!“
Horri schnalzte tadelnd mit der Zunge. Durchs Telefon klang das wie ein Pistolenschuss. „Aber Josie – mal wieder so gar kein Gespür? Papa möchte den großen Familienauftritt; wenn schon Letti und Michael streiken und erst später kommen, müssen wir wenigstens als Viererbande antreten. Und du weißt doch, dass Mama nicht raufkommt, weil sie nicht sehen will, wie beengt du da hausen musst .“
„Mein Gott, ist das albern! Die Wohnung hat fast sechzig Quadratmeter, das ist für eine einzelne Person ja wohl mehr als genug! Hat Mama noch nie etwas von Ressourcenschonung gehört?“
„Sag das doch nicht mir, sag´s Mama. Aber du weißt doch selbst, dass das zwecklos ist.“
„Ja doch. Für meine Töchter ist ein Palast gerade mal gut genug, weiß ich selbst. Gut, um Viertel vor acht stehe ich auf der Straße.“
Noch zwanzig Minuten: Das war dieser Bande mal wieder auf den letzten Drücker eingefallen!
Josie kehrte ins Bad zurück, tuschte sich die Wimpern, puderte ihr Gesicht etwas weniger flüchtig als sonst, kämmte sich noch einmal, putzte ihre Brille, füllte etwas Geld, ein Päckchen Taschentücher und eine halbe Rolle Pfefferminz in ihr silbernes Abendtäschchen, außerdem zweihundert Euro für eine eventuell geforderte Spende (die Karten sollte Papa gefälligst selbst bezahlen, sie hatte um diesen dämlichen Ball ja nicht gebeten) und schlüpfte in die dunkelblauen Pumps.
Etwas zu lesen einzupacken, wäre wohl grob unhöflich? Mit Bedauern kam sie von diesem Plan wieder ab – obwohl sie Horri damit um Längen schlagen konnte. Sie hörte im Geiste „Jo-se- phi -ne!“ in Endlosschleife und grinste vor sich hin. Was hatte Mama nur an sich, dass man in ihrer Gegenwart sofort wieder in die Pubertät zurückkehrte und dringend etwas anstellen musste?
Immerhin hatte sie noch ihr Kunstfellcape, wenn es auch schon etwas räudig aussah. Mama würde natürlich die Nase rümpfen und beziehungsreich über ihren Zobel streichen, und sie selbst würde einen Vortrag über Pelze und Tierquälerei halten. Hatte sie vielleicht irgendwo noch PETA-Flyer?
Nein, besser nicht.
Zwanzig vor acht, ein letzter Blick in den Spiegel. Josie lief die Treppen hinunter und stellte sich auf die Straße. Frische Frühlingsluft, Abenddämmerung… jetzt schön spazieren gehen und tief durchatmen. In Ballsälen roch es immer nach Kerzenwachs, Haarspray, tausend verschiedenen Parfüms und in der Nähe des Raucherraums auch nach Tabaksqualm.
Ein Taxi hielt in zweiter Reihe und Horri gestikulierte aus dem Fenster. Josie beeilte sich, einzusteigen, Mama drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten um und musterte ihre Tochter kritisch. „Na, immerhin“, sagte sie dann. „Nicht weltbewegend, aber sehr angemessen.“
„Welche Welt soll ich denn auch bewegen? Das Volk im Russischen Hof ist nun wirklich nicht die wahre Welt. Aber danke für das bescheidene Lob.“
Mama nickte gnädig, und Josie war direkt froh, dass sie nur „Volk“ gesagt hatte und nicht, wie ihr schon auf der Zunge gelegen hatte, „Pack“.
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