„Wenn sie wirklich reiten kann, warum nicht? Du hast ja genug für die Schule zu tun, mit diesem fürchterlichen G 8, nicht dass das Pferd zu wenig bewegt wird“, antwortete ihr Vater, der gerade methodisch seinen Fisch zerlegte. „Wer ist es denn?“
„Tessa“, kaute Horri nun doch.
Beide Eltern sahen fragend drein.
Horri schluckte herunter und schaute ergeben drein. „Teresa von Collnhausen. Kennt ihr doch, oder? Sie ist in meinem Mathekurs. Die volle Null in Mathe, übrigens.“
„Tatsächlich?“ Die Eltern sprachen beinahe im Chor. „Warum hat Teresa denn kein eigenes Pferd?“
Horri zuckte die Achseln und angelte nach den Kartoffeln. „Sie sagt, ihre Eltern wollen das nicht, weil sie so miese Noten hat. Aber ich glaube, die wollen bloß das Geld sparen.“
„Sparen? Die Collnhausens?“
„Ja, Mama, warum nicht? Geiz ist geil , weißt du doch.“
„Hor- tense !“
Horri hielt vier Finger hoch und zog ein unschuldiges Gesicht. Josie starrte auf ihren Teller, um nicht loszuprusten. Die Collnhausens kannte sie zwar auch, aber sie fand sie eher uninteressant.
Zugegebenermaßen die reichste und vornehmste Familie in Waldstetten – aber was war schon Waldstetten? Außerdem waren die Collnhausens unglaublich stereotyp, fand sie – er saß in diversen Aufsichtsräten, sie in allerlei Wohltätigkeitskomitées und Kunstvereinen, der Sohn gab den Playboy und die Tochter das verwöhnte Püppchen. Kein Kitschfilm konnte platter sein!
Und ob Tessa Collnhausen sich ein Pferd leisten konnte oder nicht, war ihr erst recht herzlich gleichgültig.
„Es ist doch nicht so tragisch, wenn Teresa nicht so gut in der Schule ist“, meinte Mama tatsächlich. „Ich meine – braucht sie denn das Abitur?“
„Stimmt“, grinste Horri und warf Josie einen verschlagenen Blick zu, „früh heiraten kann sie auch als Idiotin.“
„Hor- tense !“
Horri hielt Josie die Hand hin, und die kramte ächzend einen Fünfeuroschein aus der hinteren Hosentasche. Jeden Freitag das gleiche – aber Horri verdiente sich ihre Wettgewinne ja redlich, jedes Familiendinner war auf seine Weise lustig. Andererseits war das Geld auch leichtverdient, denn Mama auf die Palme zu bringen, war wirklich nicht gerade schwierig. Für fünf kleine Frechheiten fünf Euro?
Egal, sie verdiente so schlecht nicht, und Horri war immer noch Taschengeldempfängerin.
„Ernsthaft, Mama“, mischte sie sich dann hastig ein, bevor Mama nach dem Sinn dieser Finanztransaktion fragen konnte, „Das ist doch Unsinn! Warum sollte Tessa keine Bildung brauchen? Wer sagt denn, dass die Collnhausens immer so reich sein werden? Soll Tessa im schlimmsten Fall bei Aldi an der Kasse sitzen, weil sie sonst nichts gelernt hat? Ohne Abi reicht es doch nicht einmal für diese Tussenjobs in den Kunstgalerien.“
„Josie, du bist immer so negativ“, klagte ihre Mutter. „Die Collnhausens haben ein immenses Vermögen. Bist du nicht eigentlich mit Christoph Collnhausen bekannt?“
Josie zuckte die Achseln. „Man sieht sich ab und an bei Festen, und wir waren im gleichen Mathekurs.“ Sie gackerte. „Horri, ich glaube, das mit den Mathegenies ist genetisch bedingt – Chris konnte auch nicht gerade viel. Knapp, dass er im Abi nicht ins Mündliche musste.“ Sie kicherte noch einmal. „In der Abizeitung hat er nur eine Rubrik gewonnen.“
„Nämlich?“ Ihre Mutter klang direkt begierig.
„ Wer fährt als erster einen Porsche zu Schrott? Ich glaube, das hat er zwei Tage nach dem Abi geschafft.“
Mama lächelte nachsichtig. „Mein Gott, jung und munter… ist er eigentlich älter als du?“
„Keine Ahnung.“ Josie aß den letzten Bissen und legte ihr Besteck ordentlich auf den Teller. „Sehr gutes Essen, mein Kompliment an Frau Bösel.“
„Das mit dem Pferd finde ich aber tatsächlich merkwürdig“, beteiligte sich nun auch ihr Vater am Gespräch. „Ich muss mich da mal intensiver umhören, aber ich glaube, ich habe so etwas läuten hören, dass die Collnhausens tatsächlich irgendein Geldproblem haben. Vielleicht hat er irgendein größeres Geschäft in den Sand gesetzt.“
„Aber Wolfgang – drück das doch nicht so – so – so deutlich aus! Das ist unfein“, mahnte Mama.
„Claudia, krieg dich wieder ein, wir sind hier nicht in der Tanzstunde. Und ich will auch nicht, dass unsere Kinder sich nicht mehr trauen, die Wahrheit deutlich auszusprechen!“
Mama schwieg beleidigt.
„Seid ihr jetzt eigentlich im Golfclub?“, streute Horri noch Salz in die Wunde. „Da soll ja nächste Woche eine tolle Party stattfinden. Tessa hat gesagt, wenn sie auch Lady in Black reiten darf, nimmt sie mich als ihren Gast auf die Party mit.“
„Das ist ja sehr schön für dich“, lobte Mama matt.
Der Vater brummte. „Nein. Aufnahmesperre. Man müsste für uns eine Ausnahme machen. Ich meine, die Aufnahmegebühr wäre ja kein Problem…“
„Was kostet sowas?“, fragte Josie aus Höflichkeit.
„Fünfundzwanzig pro Nase“, antwortete ihr Vater mit wegwerfender Geste.
„Fünfzigtausend Euro, bloß um einen Ball durch die Gegend zu schlagen? Boah!“ Josie war ehrlich entsetzt. „Im Leisenberger Prinzenpark gibt´s einen Minigolfplatz, reicht der nicht?“
„Josie, du hast wirklich kein Gespür für die bessere Gesellschaft“, tadelte ihre Mutter und dirigierte Elli, die das Dessert auftrug, mit einer eleganten Handbewegung.
„Nee, Mama, da hast du aber mal Recht“, stimmte Josie ihr zu und reckte den Hals, um in die silbernen Schüsselchen zu spähen. „Ist das Eis? Au fein!“
„Nein. Panna cotta mit kandierter Limone.“
„Danke, dann verzichte ich. Wenn ich was hasse, dann den Geschmack von gekochter Milch.“
„Ich auch“, stimmte Horri zu.
„Ihr wisst eben nicht, was gut ist. Das ist ein ganz neues Rezept, ich habe es von Frau Regierungsdirektor Scheuerlein“, erklärte ihre Mutter.
„Oh – eine Regierungsdirektorin kocht neben ihrer Verwaltungstätigkeit auch noch selbst? Sehr fleißig!“, lobte Josie etwas unehrlich.
„Ach, Josie – langsam solltest du dich hier aber auskennen“, grinste ihr Vater. „Natürlich ist Frau Regierungsdirektor Scheuerlein einfach die Frau von Herrn Regierungsdirektor Scheuerlein, und garantiert lässt sie kochen. Stimmt´s, Claudia?“
„Ja, natürlich. Eine Frau als Regierungsdirektor, wo gibt´s denn sowas!“
„In der echten Welt durchaus“, schnappte Josie. „Die Scheuerlein ist selbst also gar nichts? Warum ist dann ein fieses Rezept von ihrer Köchin so heilig?“
„Scheuerleins sind im Golfclub“, gab Mama zu bedenken.
„Ach, und das ist sowas wie eine Heiligsprechung?“
„Josie, du verstehst das nicht. Aber du kennst doch unsere Situation hier in Waldstetten!“
„Jaja“, seufzte Josie, „ich weiß doch. Die Waldstettener Hautevolee. Oder was sich so dafür hält. Aber ganz ehrlich, was ist daran denn so wichtig? Ihr habt hier ein schönes Haus, ihr habt drei ganz, ganz tolle Töchter und eigentlich auch genug zu tun. Und arm seid ihr weiß Gott auch nicht. Was liegt euch an der Billigung von Leuten wie der ollen Scheuerlein und anderen reichen Hohlköpfen?“
„Nana“, machte ihr Vater und zog Josies verschmähtes Schüsselchen vorsichtig zu sich heran. „Harte Worte.“
„Wolfgang! Nicht so viel Süßes! Denk an deinen Blutzuckerspiegel!“
Er warf seiner Frau einen missvergnügten Blick zu und schob das Schüsselchen wieder weg.
„Dass du das fiese Scheuerlein-Zeug magst, Papa?“, wunderte sich Horri. „Und außerdem finde ich, Josie hat ganz recht. Was wollt ihr von den Scheuerleins? Sie ist doof und er ein staubtrockener alter -“
„-Sack“, vervollständigte Josie und feixte in sich hinein.
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