In der großzügigen Einfahrt standen der Phaeton von Papa und der schwarze Porsche von Mama, beide frisch gewaschen und nobel im letzten Tageslicht schimmernd.
Gut, dass ihr recht ungewaschener A3 auf der Straße stand! Aber dass der dicke Audi von Letti und ihrem Mann noch fehlte? Die waren doch immer so besonders pünktlich?
Sie klingelte, der Summer ertönte und in der Tür stand Elli, das Mädchen. Dass ihre Eltern sich ein Hausmädchen und eine Haushälterin/Köchin leisteten, fand Josie insgeheim dekadent – aber sie hätte diesen Riesenhaushalt auch nicht selbst managen mögen. Schon gar nicht alles putzen!
„Hallo, Elli, wie geht´s?“, grüßte sie freundlich. Elli lächelte. „Alles prima. Ihre Eltern sind im Wohnzimmer.“
Ja, wo sonst um diese Zeit?
„Danke schön.“
Das Wohnzimmer war eindeutig größer als Josies ganze Wohnung. Intarsienparkett, Stuckleisten, französische Fenster auf die Terrasse hinaus, mehrere Sitzgruppen – eine blassgraue vor dem verschnörkelten Kamin, eine dunkelgraue ganz plebejisch von dem Riesenfernseher, in einer anderen Ecke eine Musikhörgruppe aus vier schwarzledernen Relaxsesseln, und dann noch eine apricotfarbene Recamière mit Blick nach draußen.
Zum Träumen für die Dame des Hauses , hatte sich der Innenarchitekt wahrscheinlich gedacht.
Auf der Recamière lümmelte Horri, in Camouflage-Jeans und schwarzem Kapuzenshirt, vor dem kalten Kamin saßen ihre Eltern bei einem kleinen Sherry.
Josie feixte innerlich und trat ein.
„Josie, schön, dass du so pünktlich bist!“
Mama stellte ihr Gläschen ab und erhob sich elegant. Josie trat zu ihr, hauchte ihr ein Küsschen auf die Wange und begrüßte ihren Vater, dann setzte sie sich dazu und akzeptierte ebenfalls ein halbes Glas Sherry.
„Und, wie war deine Woche?“, fragte ihr Vater.
„Recht gut, danke. Meine Seminare im Sommersemester werden sehr ordentlich besucht sein, und mit dem nächsten Lehrbuch komme ich zügig voran.“
Papa nickte billigend, Mama seufzte.
„Sehr schön, mein Kind – aber sonst?“
„Wie – sonst?“, fragte Josie mit weit aufgerissenen Augen zurück, obwohl sie genau wusste, was Mama meinte.
„Hast du jemanden kennen gelernt, meint sie“, ertönte es von der Recamière. „Du kennst Mama doch, sie giert nach einem zweiten Schwiegersohn und weiteren Enkelchen.“
„Hor-tense!!“ Mama war beleidigt.
„Ach, das hast du gemeint, Mama?“ Josie grinste. „Sorry, kein Interesse.“
„Aber Josie, du musst doch – ich meine, jede Frau – du kannst doch nicht immer nur – das ist doch unnatürlich!“
„Mama, sprich doch mal einen Satz zu Ende, dann wird auch klar, was du eigentlich meinst! Aber ich bin so ganz zufrieden, und es reicht doch wohl, wenn Letti dich glücklich macht. Du erzählst doch immer, wie niedlich die kleine Seraphina ist. Und sie ist ja auch ein netter Fratz. Kannst du damit nicht zufrieden sein?“
Ihre Mutter strahlte auf. „Ach, Josie, das weißt du ja noch gar nicht!“
Während ihrer Kunstpause gab Horri genervte Geräusche von sich, und Josie bemühte sich, gespannt oder doch wenigstens interessiert dreinzuschauen. Es konnte etwas Spannendes oder nur etwas aus dem Bereich gekrönter Häupter sein.
„Kate ist schwanger“, riet sie also.
„Was – ja, aber das wissen doch nun wirklich alle, der Geburtstermin ist doch schon im Juli!“ Mama war entrüstet.
„Ja, sorry, ich lese diesen Quatsch halt nie. Also, was weiß ich Tolles noch nicht?“
„Letti ist schwanger!“
„Ah. Schön, ja. Glückwunsch. Ist sie heute deshalb noch nicht da?“
Mama nickte. „Ihr ist ja so übel, der Armen!“
„Genau wie Kate damals“, ließ sich Horri mit Grabesstimme vernehmen. Josie gluckste. „Ich dachte, man spricht da von Morgen übelkeit?“
„Mädchen! Gibt es keine anderen Themen?“ Papa schenkte sich noch einen Sherry nach, und Mama beobachtete das unzufrieden. „Aber Wolfgang – noch einer? Du wolltest doch…?“
Papa kippte das Gläschen und stellte das Glas beiseite. „Solche gynäkologischen Erörterungen schätze ich eben nicht so sehr.“
„Papa! Sag bloß, du warst bei unseren Geburten nicht dabei?“, spottete Josie.
„Nur bei Letti“, petzte Mama, „danach hatte er Ausreden. Jedenfalls ist die Nachricht doch fantastisch, nicht? Vielleicht bekommen die beiden endlich einen Stammhalter!“
„Stammhalter!“, murrte Horri, und Josie pflichtete ihr bei: „Mama, du klingst, als sei ein Bub endlich ein richtiges Kind und ein Mädchen bloß so naja. Das ist ja sowas von oldschool !“
„Was?“
„Altmodisch“, erläuterte Horri freundlich und rappelte sich von der Recamière auf. „Gibt´s nicht bald mal was zu futtern? Mir hängt der Magen in den Kniekehlen!“
„Hor- tense ! Was für eine Ausdrucksweise! Kannst du dich nicht um etwas mehr Damenhaftigkeit bemühen – und ich dächte, wir hätten vereinbart, dass man sich abends zum Essen umkleidet? Was ist das denn für eine entsetzliche Aufmachung?“
Josie streckte Horri triumphierend die Zunge heraus.
„Jo-se- phi- ne!!“
Die beiden kicherten immer noch, als die Hausdame gravitätisch meldete, das Dinner sei serviert. Kopfschüttelnd folgte Josie den anderen ist das ebenfalls großzügig bemessene Esszimmer. Welchen Lebensstil sich ihre Eltern zugelegt hatten! Total übertrieben – zum Essen umziehen, Personal, diese Riesenhütte, dynastische Erwägungen…
Na, wenn es ihnen Spaß machte? Vielleicht brauchte man so etwas in Waldstetten. Sonst war hier ja auch nichts los.
Während die Suppe aufgetragen wurde, durften Horri und Josie sich nicht ansehen, um nicht wieder loszuplatzen; danach begannen sie sittsam zu löffeln. Tomatensuppe mit Croutons, nicht weltbewegend, aber durchaus schmackhaft, fand Josie und sagte das auch.
Böser Fehler.
„Möchtest du noch eine Tasse Suppe?“
„Danke, Mama, nein. Ich muss ja noch etwas Platz für das Übrige lassen.“
Mama seufzte. „Kind, isst du eigentlich genug? Mir scheint, du wirst immer dünner!“
„Natürlich esse ich genug. Und ich wiege immer das gleiche. Meine Klamotten passen auch immer noch, nichts schlottert. Du musst dir keine Sorgen machen!“
„Ach, ich weiß nicht… du siehst so richtig – wie soll ich sagen – ja, asketisch aus?“
Josie prustete Suppe über den Tisch und entschuldigte sich für die Sauerei auf dem blütenweißen Tischtuch. „Aber wenn du auch solche Sprüche raushaust, Mama!“
„Warum, was habe ich denn gesagt? So mager, wie du bist…“
„Ich bin nicht mager, sondern schlank. Und durchaus gut trainiert. Horri hat auch nicht mehr Speck auf den Rippen – und du übrigens auch nicht!“
„Horri! Horri ist ja auch noch ein Kind.“
„Mama!“ Jetzt war Horri beleidigt.
„Mit siebzehn? Nicht wirklich. Und, wie gesagt, du bist auch nicht gerade dick.“
„Ich achte eben auf meine Figur“, entgegnete ihre Mutter mit einem Rest an Würde.
„Na eben. Das tue ich auch.“
„Aber wozu? Du suchst ja gar nicht nach einem Mann!“
„Ach – und du suchst?“ Horri hatte sich schnell wieder erholt.
„Hor- tense !“
Horri hielt drei Finger hoch und grinste Josie zu, die mit fünf Fingern gegenhielt.
Bevor Mama fragen konnte, was das nun wieder bedeuten sollte, wurde der Hauptgang aufgetragen – Forelle Müllerin mit Herzoginkartöffelchen und jungen Brechbohnen. Lecker, fand Josie und aß munter drauf los.
„Kann ich jemandem anbieten, ab und zu auf Lady in Black zu reiten?“, wollte Horri wissen – aber wenigstens nicht mit vollem Mund, das hätte Josie nicht gelten lassen.
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