Alles frei erfunden!
ImprintUnstimmigkeiten. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-5609-5
Puh, war es hier voll! Ich verstand gar nicht mehr, warum ich ausgerechnet am Karsamstag in die Stadt gewollt hatte. Sämtliche Idioten der Stadt – und hierzulande gab es ungewöhnlich viele Idioten, so kam es mir manchmal vor – schoben sich durch die Kaufhäuser und über den Markt, drängten sich um die Stände, an denen Osterschmuck und sonstiger Tinnef verkauft wurde, standen mir pausenlos im Weg oder drängten von hinten.
Ich arbeitete mich durch das Gewühl, kaufte die Ostereier, auf die Werner so großen Wert legte (vor allem bei Nougat und Knickebein schüttelte ich mich innerlich), fand auch fertige bemalte Eier, die man an den Osterstrauch hängen konnte, nahm im Vorübergehen das Duschgel mit, das mir schon fast ausgegangen war, wischte mir den Schweiß von der Stirn und überlegte, was ich Werner zu Ostern schenken sollte, versteckt in einem dieser großen Pappmaché-Eier mit der Bemalung im Stil der Fünfziger Jahre. Ein Aftershave? Eine Krawatte? Einfallslos. Ein richtig schönes T-Shirt? Aber dann musste ich ja noch einmal in den dritten Stock... Boxershorts mit Osterhäschen drauf? Warum nicht, so etwas fand er sicher lustig. Eine Opern-CD? La Bohème hatte er noch nicht, glaubte ich, als ich im Geiste das CD-Regal durchging. Gut, CDs gab es im Erdgeschoss, das war weniger anstrengend.
Ich wühlte mich in die Medienabteilung durch, vorbei an der endlosen Schlange vor der Oster-Sonderflächen-Kasse, und blätterte hastig die eher bescheidene CD-Auswahl durch. Aktuelle Hits gab es reichlich, aber La Bohème ? Da! Sogar zwei verschiedene Interpretationen. Was war besser, Boston Symphony Orchestra oder Wiener Philharmoniker ? Ich dachte an Werner und seine Faszination für die USA und nahm die Bostoner Variante. Geschenkpapier auch noch? Nein, das Papp-Ei, das mich stark an die Häschenschule aus meiner eigenen Kindheit erinnerte, reichte ja wohl. Etwas Ostergras noch. Mist, noch mal in die Schlange!
Als ich mit dem albernen Osterkram (verdammte Geldschneiderei des Einzelhandels) fertig war und mich aus dem Kaufhaus kämpfen konnte, war es schon fast elf. Da konnte ich ja nur froh sein, dass ich alle Lebensmittel schon gestern auf dem Heimweg von der Arbeit besorgt hatte! Wie immer, wenn solche Lästigkeiten anstanden, war Werner natürlich verhindert – gestern ein dringendes und hochwichtiges Meeting (kein Chef, der bei Verstand war, berief am Freitagnachmittag ein Meeting ein, das dann sein eigenes Wochenende verkürzte!), heute musste er unbedingt seinen Wagen zur Inspektion bringen und mit dem Mechaniker über das Klappergeräusch sprechen, das er in letzter Zeit beim Rechtsabbiegen gehört hatte. Typisch! Gegenüber dem Kaufhaus lag das Pumps . Brautschuhe musste ich mir irgendwann auch noch kaufen, fiel mir ein. Es war zwar Blödsinn, Schuhe zu kaufen, bevor ich wusste, wie das Kleid aussehen würde, aber ich konnte ja mal einen Blick riskieren... Seufzend verstaute ich meine Einkäufe etwas geschickter, nahm an einem der Marktstände noch ein Päckchen Färbetabletten mit und betrat das Pumps , einen riesigen Schuppen, in dem die Schuhe ringsherum auf Birkenholzregalen standen – immer nur der linke Schuh, den rechten musste man sich bringen lassen. In der Mitte stand ein großes rundes Sofa aus knalllila Plüsch, für die Anproben, und wie üblich ließ sich keine Verkäuferin sehen. Ich strich langsam an den Regalen entlang, bis ich Größe vierzig gefunden hatte. Toll war die Auswahl nicht, fand ich.
Zehn Zentimeter hohe, hauchdünne Absätze, mit bunten Glitzersteinen besetzt. So geschmackvoll wie die Trauringe in Vier Hochzeiten und ein Todesfall ! Der gesamte Schuh war aus schwarzem Lackleder gefertigt, aus der billigen Qualität, die sofort Risse kriegte. Ich drehte ihn interessehalber um und keuchte auf – zweihundertneunundzwanzig Euro? Das waren ja fast vierhundertsechzig Mark? Ohne Umrechnen kam ich mit dem neuen Geld immer noch nicht zurecht, eigentlich ein Armutszeugnis für jemanden, der den ganzen Tag mit Geld zu tun hatte.
Das Prachtstück daneben war rot, ein herrliches, hundsordinäres Rot. Wildleder, Absätze, mit denen man keinen Schritt tun konnte, ohne sich einen doppelten Bänderriss zu holen. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, solche Schuhe unter weißer bodenlanger Seide hervorblitzen zu lassen und die ganze verdammte Familie in den Kirchenbänken in Ohnmacht fallen zu lassen. Vielleicht sollte die bodenlange weiße Seide auch noch bis zur Hüfte geschlitzt sein, darunter rote Strumpfbänder... Nein, das wäre zu grausam.
Fliederfarbene Seide, mit elfenbeinfarbener Spitze besetzt. Für Unterwäsche ganz nett, aber als Schuh?
Schwarzes Wildleder, halbhoher Absatz, silberne Einfassungen. Gar nicht hässlich – aber über zweihundert Euro? So schön waren sie auch wieder nicht. Gab´s hier nichts in weiß? Ja, Sandälchen, hauchdünne Riemen auf gewaltigen Absätzen, die Riemchen mit Strasssternchen besetzt. Wenn ich nicht spätestens auf dem Weg zum Altar auf die Schnauze fliegen wollte, konnte ich diese Konstruktion auch vergessen. Außerdem war ich barfuß über 1.75 groß – mit solchen Schuhen würde ich den armen Werner noch überragen, kam ja überhaupt nicht in Frage!
Sonst hatten sie in Weiß überhaupt nichts, dafür eine Menge in Pink, Knalltürkis und Kobaltblau. Und jeder Schuh hatte irgendeine entstellende Verzierung – falsche Juwelen, Messingornamente, affige Stickereien, Löcher an den blödesten Stellen. Ich knallte den letzten Schuh ins Regal zurück und wandte mich schon zur Tür, als mein Blick auf die Blondine auf dem lila Sofa fiel, die von Schuhen umgeben dasaß und gerade zu versuchen schien, sich zwischen grauem Wildleder mit silbernen Sternchen und blauem Leder mit eingesticktem Edelweiß zu entscheiden. Scylla und Charybdis, dachte ich mir, da hob die Blondine den Kopf und quietschte. „Hélène!“
„Sonja?“, fragte ich ungläubig. „Was für ein Zufall!“
„Welche soll ich nehmen?“
„Das fragst du aber nicht im Ernst, oder?“
„Doch... die blauen passen zum Dirndl, die grauen genau zu meiner Lederjacke. Ach, ich nehm´ beide, was soll´s.“
Sie pfiff auf zwei Fingern, worauf eine Verkäuferin angetrabt kam und die beiden Schuhe ehrfürchtig in die jeweiligen Schachteln zum rechten Gegenstück legte. Fassungslos sah ich zu, wie Sonja lässig eine goldene Kreditkarte auf den gläsernen Tresen knallte und mal eben rund fünfhundert Euro für zwei Paar völlig überflüssige Schuhe abdrückte.
Danach wandte sie sich mir zu. „Hast du ein bisschen Zeit?“
Ich nickte. „Mit meinen Einkäufen bin ich durch, und hier hat mir eh nichts gefallen. Wollen wir ins Café Royal gehen?“
„Gute Idee. Ich hab den ganzen Nachmittag Zeit.“
„Ich nicht ganz, der blöde Osterkram schreit nach mir. Aber auf einen Kaffee hab ich jetzt Lust. Und brauchen tu ich ihn auch.“
Im Café Royal war es voll wie immer, aber auf der Terrasse gab es noch einen Platz in der Sonne, die für die Jahreszeit allzu intensiv herunterbrannte. Wir installierten uns mit unseren Taschen und Tüten und bestellten, Sonja einen Cappuccino, ich einen Espresso, ich hasste Milchschaum. „Und, was treibst du so?“, fragte ich dann. „Wenn ich mir ansehe, was du für Schuhe ausgibst, scheinst du ja nicht schlecht zu verdienen, oder?“
Sonja zuckte die Achseln. „Geht so. Schuhen konnte ich doch noch nie widerstehen. Ich arbeite bei einem Wirtschaftsprüfer, ist ganz nett. Und du?“
„Elastochic.“
Sonja prustete. „Was stellt ihr denn her? Stützstrumpfhosen? Ist das ein volkseigener Betrieb? Saublöder Name!“
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