„Ja, weiß ich. Aber wir produzieren Plastikgeschirr, trendige Ringbücher und allen Kram, den man aus Kunststoff machen kann. Im Moment vor allem aus diesem halbtransparenten Zeug in weiß und knallblau, kennst du bestimmt.“
„Ja, kann sein. Und was machst du da?“
„Ich arbeite in der Finanzabteilung, Buchhaltung, Finanzplanung, Marketing. Ist ganz interessant.“
„Immerhin, dann haben wir wenigstens beide was Brauchbares gefunden. Ich hab vor ein paar Wochen Sybille und Heike getroffen, kannst du dich an die beiden noch erinnern? Die suchen seit Jahren nach etwas Anständigem und müssen immer noch jobben. Und Michi, der die ganz fette Karriere machen wollte – stundenweise in einem Mittelstandsbetrieb Rechnungen nachprüfen.“
„Bitter. Warst du mit ihm nicht mal zusammen?“
„Stimmt. Und das wären wir auch noch, wenn er es verkraftet hätte, dass ich einen Job habe und er genau genommen nicht. Aber es gab nur noch Zoff, und ich lass mich doch nicht feuern, nur damit er sich überlegen fühlt!“
„Natürlich nicht. Ich verstehe auch nicht, warum Männer damit nie zurechtkommen. Aber das Problem hatte ich noch nicht, Werner verdient immer noch ein bisschen mehr als ich. Allerdings schrumpft der Unterschied langsam
dahin, so oft kommen bei Finanzbeamten die Gehaltserhöhungen nicht.“
„Werner ist Finanzbeamter geworden?“
„Ja, ist doch praktisch, ich kann ihn immer fragen, wenn ich ein steuerrechtliches Problem habe. Er ist ziemlich gut in seinem Job.“
„Aha“, machte Sonja, und mir fiel ein, dass sie Werner noch nie gemocht hatte. Auf einem Fest vor über fünf Jahren hatte sie – ziemlich betrunken – den ganzen Abend versucht, mir „etwas Besseres“ zu suchen, aber natürlich nichts gefunden. Da Werner damals gehört hatte, wie sie ihre Absicht etwas unartikuliert verkündet hatte, war er seitdem auch nicht mehr so recht von ihr begeistert. Mein Vorschlag, das Ganze mit Humor zu nehmen und abzuwarten, was sie so anschleppen würde, hatte seinen Zorn auch nicht besänftigt.
„Dass du immer noch mit dem zusammen bist?“ Sonja hatte sich offenbar auch nicht verändert. „Warum denn nicht? Wir passen prima zusammen! Im Juni wollen wir sogar heiraten, jetzt haben wir das Zusammenleben lange genug geprobt. Nur, weil du ihn nicht magst... Ich fand manche von deinen Freunden auch eher seltsam, diesen Maler zum Beispiel, wie hieß er doch gleich?“
„Arthur?“
„Ja, kann sein. Der, der dich immerzu nackt gemalt hat, und dann konnte man auf dem Bild überhaupt nicht erkennen, wozu er ein Modell gebraucht hatte.“
„Ich war eben seine Muse. Außerdem bin ich den doch längst los. Aber dieser Werner, der hat so einen Blick drauf – ich weiß nicht.“
„Was denn für einen Blick?“, fragte ich gereizt und bestellte mir noch einen Espresso. „Du hast ihm seit Jahren nicht mehr in die Augen gesehen!“
„So einen Meine-Frau-hat-es-nicht-nötig-zu-arbeiten- Blick. Ist er nicht der, der bei euch entscheidet, was gemacht wird?“
„Nein“, knurrte ich und weigerte mich, über die Frage näher nachzudenken. Gar nicht wahr!
„Na, wie du meinst. Und heiraten, ja? Richtig mit allen Schikanen?“
„Ja“, bestätigte ich, „die Familien lassen sich das nicht nehmen.“
„Familien? Sag bloß! Yannick besteht darauf, dass er dich in weißem Tüll zum Altar geleiten darf? Der muss sich aber gewaltig verändert haben.“ Sie trank einen großen Schluck und sah mich schlau an, ohne sich den Milchschnurrbart abzuwischen. Und ich hatte auch keine Lust, sie darauf hinzuweisen, nicht, wenn sie mich so in die Zange nahm!
„Yannick ist das egal“, gab ich zu, „Werners Eltern hätten gerne eine richtige Hochzeit, na, und Werner selbst auch. Er hat ja viel Sinn für traditionelle Werte. Was dagegen?“ Sonja versicherte hastig, dass sie nichts dagegen hatte, aber ich traute ihr nicht – sie wollte stänkern, eindeutig!
„Wo wollt ihr denn heiraten?“
„Wie üblich eben. Erst Rathaus, dann Stadtkirche. Aber wenn es dich beruhigt, wir haben schon eine abgespeckte Version entworfen, ohne Junggesellinnenabschied, ohne Polterabend und mit einer bescheidenen Gästeliste.“
„Warum ohne Junggesellinnenabschied?“
„Weil ich nicht völlig verkatert vor dem Standesbeamten stehen will. Und ein Vermögen wollen wir auch nicht gerade ausgeben, ich ärgere mich schon genügend über das Brautkleid. Einen Haufen Geld für ein Kleid ausgeben, das man nie wieder anziehen kann, das nagt schon an mir“, gestand ich ehrlicher als bisher.
„Hast du schon ein Kleid?“
„Nein. Noch nicht mal Schuhe! Was glaubst du, warum ich bei Pumps war? Aber High Heels kommen gar nicht in Frage, ich will ja keine komische Figur abgeben!“
„Mattweiße Ballerinas aus Seidenrips“, murmelte Sonja, die Fachfrau. „Geh zu Dorfner, der hat so was.“
„Der ist ja noch teurer!“ Der Verschlag empörte meine geizige Seele bis ins Innerste. Nein, geizig war übertrieben, sparsam war ich, preisbewusst, eben eine Finanzfachfrau. Ich würde keine Aktien kaufen, die eine schlechte Performance erwarten ließen, warum sollte ich Schuhe kaufen, die nach einem Tag im Schrank landeten?
„Am Tag nach der Hochzeit bringst du sie hin und lässt sie färben, grau oder so. Die machen das tadellos und du hast ein paar prima Schuhe fürs Business. Du läufst doch immer noch so edel gestylt herum, oder?“
Das konnte ich nicht bestreiten. Die Idee war nicht übel. Und Seidenballeri-nas... in denen konnte ich wenigstens laufen.
„Du siehst toll aus“, lobte Sonja mich plötzlich, als hätte sie das Gefühl, nun genug Ärger gemacht zu haben, „ein bisschen wie die junge Fanny Ardant, vor allem mit der Frisur.“
Ich fuhr mir unwillkürlich durch die kinnlangen dunkelbraunen Locken und war geschmeichelt. „Findest du echt?“
„Ja, echt. Und du hast so was Edles, vielleicht, weil du so groß und schlank bist. Schicke Jeans!“
Jetzt übertrieb sie aber, die Jeans waren ein stinknormales stonewashed -Teil aus dem Horizont und das T-Shirt mit der kleinen Stickerei sah zwar nobel aus, aber nur, weil man die Stickerei nicht richtig erkennen konnte, sie bedeutete überhaupt nichts. No name-Turnschuhe, keine Strümpfe, Sonnenbrille von Tchibo im Ausschnitt.
„Danke“, antwortete ich trocken, „überschlag dich nicht. Du siehst auch gut aus.“
Sonja freute sich, und ich hatte nicht wirklich gelogen. Das glatte blonde Haar glänzte in der Sonne, ihre kleine, runde Figur war so knackig wie eh und je, und der schwarze Anzug mit dem mintfarbenen T-Shirt darunter stand ihr. An den beiden Pickeln am Kinn musste sie vielleicht noch etwas arbeiten, und so, wie sie jetzt verstohlen daran herumfingerte, war ihr das auch bewusst.
„Nicht knibbeln!“, sagte ich unwillkürlich in dem Ton, den meine Mutter früher benutzt hatte, und Sonja schaute sofort schuldbewusst und setzte sich auf ihre Hand. „Wollt ihr eigentlich Kinder?“, fragte sie nun. Kam das von dem streng-mütterlichen Ton, den ich eben angeschlagen hatte? Ich zuckte die Achseln. „Ich bin nicht übermäßig scharf drauf, und Werner wohl auch noch nicht. Mal sehen, wann wir das beruflich unterbringen können.“
„Immer noch obercool unterwegs, was? Big Business?“
„Besser als Windelnwaschen“, murmelte ich und sah auf die Uhr. Schon Viertel nach eins? Jetzt wurde die Zeit langsam knapp, ich gab Sonja einen Zehner und verabschiedete mich mit dem üblichen „Wir telefonieren!“ Vielleicht würde ich sie wirklich mal anrufen. Als ich mit meinen Tüten und Täschchen in der Rubensstraße ankam, war es fast zwei, die blöde U-Bahn war mal wieder im Tunnel zwischen Bahnhof und Tizianstraße stecken geblieben.
Werner saß im Wohnzimmer und zappte sich durch die Programme, bis er die Vorschau auf die heutigen Fußballspiele gefunden hatte. Auch gut – wenn er mich noch nicht vermisst hatte, hieß das, dass er noch keinen allzu großen Hunger hatte. Ich schaltete den Herd unter dem Gulasch ein, das ich heute Morgen vorbereitet hatte, und setzte Nudelwasser auf, dann packte ich meine Einkäufe aus. So ein Mist, die Schokoladeneier fühlten sich verdächtig weich an, ich hätte wohl doch nicht in der prallen Sonne sitzen sollen! Also stopfte ich diese Tüte komplett in den Kühlschrank, legte Ostergras, Ostergeschenk, Ostereierfarbe und sonstigen Mist beiseite und konzentrierte mich auf Gulasch mit Nudeln und Gurkensalat. Werner sah auf, als ich den Tisch in der Essecke deckte, und drehte den Ton geringfügig leiser.
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