Ich achtete, nachdem ich die misstrauischen Blicke registriert hatte, sorgfältig darauf, nur die Bügel anzufassen und ja nicht die kostbaren Stoffe, aber eins war seltsamer als das andere.
„Tja, ich fürchte, das ist alles nicht das Richtige“, bedauerte ich und wollte mich erleichtert wieder davonmachen, aber Mylady hielt mich auf. „Warten Sie doch, wir haben sicher noch etwas Geeigneteres. Sagen Sie mir doch genauer, was Sie wünschen!“
„Schlicht eben, das heißt, ohne Schnickschnack, keine Verzierungen, keine bemüht witzigen Schnitte und nichts Historisches.“
„Hm, das ist wirklich nicht einfach. Wissen Sie, die meisten Bräute möchten an ihrem schönsten Tag auch prunkvoll gekleidet sein, die Schönste von allen sein.“ Gute Verkaufsmasche, aber nicht, wenn die fragliche Braut diesen Tag nicht als den schönsten empfindet. Ich wollte eigentlich ein Kleid, mit dem man mir nichts vorwerfen konnte und mit dem ich möglichst billig davonkam. Von diesem sentimentalen Gewäsch hielt ich nichts. Sie brachte ein Kostüm aus weißem Brokat, kurzes Jäckchen mit Puffärmeln und extra langen Manschetten mit Reihen von Perlknöpfchen, der Rock bodenlang und weit. Schlicht? In diesen steifen Brokatfalten? Sogar Silberfäden waren in den Stoff eingewebt!
„Tut mir Leid, aber das ist alles nicht das Richtige!“ Ich floh, bevor sie mir noch weiter zusetzen konnte. Sollte ich noch zu Brides gehen? Lustigere Kleider hatten die bestimmt, aber eigentlich reichte es mir schon wieder.
Ich stand gerade vor dem Schaufenster von Bits&Bytes und betete einen irrsinnig tollen Laptop an, als neben mir eine Stimme fragte: „Lena?“
Lena hatte ich nur während des Studiums geheißen, bei einigen Leuten wenigstens, denen Leni zu bäuerlich und Hélène zu affektiert war. Ich drehte den Kopf. „Beate! Dich wollte ich sowieso dieser Tage mal anrufen. Toll, dass ich dich treffe.“
„Warum wolltest du denn anrufen?“
„Nur so, mal wieder Kontakte auffrischen, weggehen oder so.“
„Wir gehen nicht mehr weg“, versetzte Beate und guckte verdächtig ideologisch drein, „aber ihr könnt gerne mal zu uns kommen.“
„Ja, oder ihr zu uns. Wieso geht ihr nicht mehr weg? Habt ihr ein Baby?“
„Um Gottes Willen, nein! In diese Welt kann man doch keine Kinder mehr setzen, alles ist verseucht. Und leisten können wir uns das auch nicht.“ Klassenbewusstes Proletariat? Ökoterroristen? Arbeitslos? Dem musste ich auf den Grund gehen! Äußerer Eindruck: Beate hatte sich die Haare offensichtlich selbst geschnitten, dabei aber wenig Sinn für Symmetrie bewiesen. Asymmetrisch war der Schnitt auch nicht, nur schief. Der selbst gestrickte Pullover aus ungefärbter Wolle war ausgeleiert und für die Jahreszeit viel zu warm, sie musste entsetzlich schwitzen. Und die Flatterhose aus dünner Baumwolle (Typ Gummizugbund) passte farblich nicht dazu und war zu kurz, aber das war bei diesen Hosen normal, die billige Baumwolle lief bei der ersten Wäsche gewaltig ein, und zwar nur in der Länge. Dazu Birkenstocklatschen und keine Strümpfe, die Fußnägel unlackiert und ein bisschen zu lang. Die Fingernägel waren dafür abgekaut. In der Hand trug sie eine Jutetasche. Ziemlich typisch, fast schon klischeehaft. Werner hatte Recht gehabt: billig und schadstofffrei. Lobenswert, aber vielleicht nervend. „Warum geht ihr denn nun nicht mehr weg? Wir haben in letzter Zeit auch nichts mehr auf die Reihe gekriegt, aber das würde ich gerne mal wieder ändern.“
„Wenn du weggehst, musst du etwas trinken und essen. Das kostet einen Haufen Geld, vor allem jetzt mit dem Euro, und dafür fährst du bloß jede Menge Schadstoffe ein, Pestizide, Fungizide, Farbstoffe, Konservierungsmittel, du weißt nicht, ob das Gemüse biologisch-dynamisch angebaut wurde, und wenn du ganz großes Pech hast, musst du anderen Leuten beim Kannibalismus zuschauen.“
„Na! Kannibalismus? Wo gibt´s denn hier Menschenfleisch?“
„Tierfleisch zu essen ist auch Kannibalismus“, behauptete Beate. Was für ein Blödsinn, aber mit manchen Leuten konnte man eben nicht diskutieren.
„Deshalb laden wir Leute nur noch zu uns ein, da wissen wir, was wir eingekauft und gekocht haben.“
„Ich kann euch doch auch sagen, wo ich was besorgt und wie ich es zubereitet habe“, bot ich an.
„Nein, du siehst mir nicht so aus, als achtest du auf die wirklich wichtigen Dinge. Außerdem haben wir kein Auto und auch kein Geld, dauernd mit der U-Bahn herumzugurken. Ihr könnte euch das eher leisten, wahrscheinlich habt ihr sogar noch ein Auto, oder?“
Ich nickte feige. Dass wir zwei hatten, würde mir jetzt wahrscheinlich ökologisch korrekte Prügel einbringen.
„Wieso habt ihr kein Geld für ein U-Bahn-Ticket? Was macht ihr beide denn jetzt? Ich dachte, Theo wollte Lehrer werden? Und du hast doch auch BWL gemacht?“
„Ich hab abgebrochen, als ich die Strukturen durchschaut hatte.“
Ich guckte anscheinend so erklärungsheischend, dass Beate unverzüglich fortfuhr: „Wenn man nur ein bisschen Durchblick hat, erkennt man doch sofort, dass BWL nur der Verfestigung des herrschenden Kapitalismus dient, die multinationalen Konzerne werden in ihrer Übermacht gestärkt und alle kleinen, autonomen Strukturen haben keine Chance.“
„Stimmt schon, aber es ist ja nicht so, dass es irgendeine funktionierende Alternative zum Kapitalismus gibt, oder? Schau dir doch das Elend an, das in Rumänien oder Kuba dabei rauskam, oder welche Ruinen am Ende der DDR übrig geblieben sind.“
„Ich bestreite, dass es nur mit dem Kapitalismus geht! Wir müssen zu kleinen, überschaubaren Strukturen zurück, und die multinationalen Konzerne müssen durch strikten Boykott ausgehungert werden. Hier zum Beispiel! Ich hab schon gesehen, wie du dieses Teil im Schaufenster angebetet hast. Du würdest doch nicht ernsthaft dafür Geld ausgeben? Für einen Stromverbraucher, einen Konzernförderer, ein Symbol des globalen Gesellschaft?“
„Doch, sofort, wenn ich nicht schon einen Computer hätte, der noch ziemlich neu ist, und einen Laptop wirklich brauchen könnte“, gestand ich.
„Du hast einen Computer?“
„Beate, jeder hat doch einen. Na, fast jeder. Kommst du wirklich ohne aus?“
„Selbstverständlich! Wir versuchen, möglichst ganz ohne Strom fressende Geräte auszukommen. Für deinen Computer muss vielleicht bald ein neues AKW gebaut werden! Schämst du dich nicht?“
Manchmal schon, aber das konnte ich so natürlich nicht zugeben. Ich beschränkte mich auf den Hinweis, dass überhaupt keine neuen AKWs mehr gebaut wurden. Beates Blick wanderte an mir entlang. Statt meine Benutzung eines Geräts, das die globale Erwärmung ebenso wie die globalen Konzerne förderte, weiter zu kritisieren, nahm sie meine Kleidung (Jeans und ein T-Shirt) ins Visier. Schadstofffrei hergestellte Baumwolle? Naturfarben? Hergestellt in förderungswürdigen Betrieben der Dritten Welt, aber ohne Kinderarbeit und ohne Zerstörung des Regenwaldes? Ich musste auf der ganzen Linie passen und kam zu dem Ergebnis, dass Beate (und Theo, wenn er genauso drauf war), vielleicht doch kein so angenehmer Umgang war. Das schlechte Gewissen und die zunehmende Gereiztheit reichten mir schon fürs ganze Wochenende. Aber eins wollte ich doch noch wissen, bevor ich endlich ins Brides musste: „Und was machst du jetzt beruflich? Und Theo?“
„Theo hat sich natürlich ebenfalls geweigert, als Knecht dieser Gesellschaft Kinder zu erziehen und sie dabei völlig zu verbiegen. Warum reitest du auf dieser Frage so herum? Kann es sein, dass du nur auf Geld und Karriere fixiert bist und dir diese Welt scheißegal ist?“ Bitte, dann eben nicht. „Lass, ich will´s gar nicht mehr wissen“, murmelte ich und wandte mich zum Gehen. „Was? Und wann wollt ihr denn jetzt vorbeikommen?“
„Ich glaube, das lassen wir dann lieber. Aber ich kann ja anrufen – noch habt ihr doch Telefon?“ Damit machte ich, dass ich wegkam. Grauenhaft! Das Schlimmste war aber, dass in all diesem ideologischen Müll einiges an Wahrheit steckte, was mich am meisten ärgerte. Vielleicht sollte ich mir wenigstens ein Brautkleid aus ungefärbter, recycelter Baumwolle kaufen, um ein Zeichen zu setzen? Quatsch, ich nahm das Ganze ja schon wieder nicht ernst!
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