Nach zehn Minuten hatte ich es geschafft, mir einzureden, dass Werner alleine an der Szene in der Tiefgarage Schuld hatte, aber dann merkte ich doch, dass das etwas zu weit ging. Und ich hatte auch nichts unternommen, um unsere Beziehung lebendig zu halten.
Mit dem Vorsatz, morgen a) nach einem Brautkleid Ausschau zu halten und b) Beate anzurufen, löschte ich das Licht.
Werner schnarchte leise neben mir, als ich am Samstag aufwachte, er hatte sich offenbar wirklich den Nachtfilm auch noch gegeben. Dann musste er doch langsam allergische Reaktionen gegen Seismografen, Killerviren und Autoverfolgungsjagden zeigen?
Ich schlich mich aus dem Bett, um ihn nicht zu wecken, duschte, zog mich an, räumte im Wohnzimmer etwas auf und setzte mich dann an meinen Rechner, um die neue Steuersoftware auszuprobieren. Ich hatte schon fast die halbe Steuererklärung fertig, als ich Werner ins Bad schlurfen hörte. Schnell bereitete ich das Frühstück vor – was, schon halb elf?
„Ich könnte heute mal zu Brides und Brautmoden Schöpperle gucken“, schlug ich vor und hoffte, Werner würde so begeistert reagieren, wie es dieses opfervolle Angebot verdiente. Nein, er grunzte und angelte nach der Wochenendzeitung.
„Sag mal, redest du eigentlich noch mit mir?“, fragte ich schließlich gereizt.
Er ließ die Zeitung wieder sinken. „Was hast du denn?“
„Seit gestern Abend hast du nur Grunzlaute von dir gegeben! Ist es dir Recht, wenn ich in die Stadt gehe und nach einem Brautkleid schaue?“
„Wenn du Lust hast? Dass Frauen immer Klamotten kaufen müssen...“
„Jetzt reicht´s aber!“, schrie ich wutentbrannt. „Glaubst du, ich bin scharf drauf, mir so einen unnützen Fetzen zu kaufen? Ich tu´s, damit dein Onkel Josef nicht meckern kann!“
„Schrei nicht so hysterisch rum. Du weißt doch, dass du ein Brautkleid brauchst, jetzt finde dich doch endlich damit ab.“
„Und was ist mit deinem Anzug?“, fragte ich mühsam beherrscht.
„Was soll sein? Ich nehme meinen Smoking, der ist noch fast neu.“
Das Leben war unfair! Ich hätte auch gerne irgendein fast neues kleines Schwarzes verwendet und mir für das gesparte Geld etwas wirklich Nettes gekauft. „Gut, dann nehme ich nichts zu Aufwendiges“, antwortete ich nur. Keine Antwort. „Warum bist du so wortkarg?“, versuchte ich es noch einmal.
„Ich bin nicht wortkarg“, erklang es hinter der Zeitung. „Ich wusste nicht, dass du darauf eine Antwort wolltest.“
Dafür hätte er eigentlich heißen Kaffee über den Kopf kriegen müssen; ich bezähmte mich mit letzter Kraft und stand auf. „Dann geh ich jetzt mal. Kannst du bitte den Tisch abräumen, wenn du fertig bist?“
„Mhm.“
Auf dem Weg in die Stadt wütete ich vor mich hin und nahm einem Kerl, der Werner ziemlich ähnlich sah, mit Genuss die Vorfahrt. Unglaublich, als ob ich vor Gier sabberte, wenn es darum ging, so einen albernen Lappen zu besorgen. Und wir hatten noch kein Restaurant, keinen Notartermin (wir kannten ja nicht einmal einen Notar), kein Gespräch mit dem Pfarrer, keine Anmeldung beim Standesamt, kein gar nichts. Werner warf mir immer vor, dass ich mauerte, rührte selbst aber auch keinen Finger! Dann lassen wir es doch einfach, murrte ich vor mich hin und stellte den Wagen in die Marktgarage. Als ich aus dem Aufzug trat, landete ich fast direkt vor den Schaufenstern von Schöpperle und begann damit, sie zu inspizieren. Grausig!
Nummer eins: eine schulterfreie, mit irisierenden Pailletten bestickte Corsage, darunter ein weiter Tüllrock wie bei einer Ballerina im 19. Jahrhundert. Und die Corsage war so knackig eng, dass man wahrscheinlich ein Schnürmieder darunter tragen musste. Wenn ich schon soviel Geld für ein Hochzeitsessen ausgeben musste, wollte ich selbst auch etwas essen, ohne dass ich aus dem Kleid platzte! Außerdem brauchte man für eine solche Corsage einen üppigeren Busen, als ich ihn aufzuweisen hatte.
Die Puppe daneben guckte arrogant über mich hinweg und hielt einen Arm geziert in die Luft. Dazu hatte sie wirklich keinen Grund, nicht mit diesem Kleid! Offenbar bestand es aus reiner Kunstfaser, jedenfalls glänzte es so penetrant wie ganz altmodische Kunstseide, in einem Weiß, von dem man schneeblind werden konnte. Der Schnitt – Wiener Nähte, leicht ausgestellter Rock und vom runden Ausschnitt herabfallend ein üppiger Rüschenkragen aus Maschinenspitze – war ideal für eine Braut, die sich mit der Hochzeit beeilen musste, damit die Wehen nicht schon vor dem Altar einsetzten. Nein, ich hatte keinen Babybauch zu kaschieren, aber ich hatte auch keine Sanduhrfigur aufzuweisen, und normalerweise war ich ganz froh darum. In kleine Jeans und schmale Kostüme zu passen, war mir wichtiger als eng zugezurrte Gürtel.
Nächstes Fenster! Elfenbeinfarbene Spitze von oben bis unten. Schöne Spitze, aber das Ganze sah aus wie ein Nachthemd – und war es nicht auch ein bisschen durchsichtig? Außerdem wirkte die Spitze vergilbt. Nein, lieber nicht. Hoppla! Seidentaft, eng geschnitten, hochgeschlossen, der bodenlange Rock so schmal, dass man darin nur trippeln konnte. Stil etwa von 1890, schätzte ich. Der Stoff war schön, ich hatte noch nie weißen Moirétaft gesehen, der so intensiv changierte. Ich verrenkte mir den Hals und entdeckte schnell den Pferdefuß: einen veritablen Cul de Paris , geziert mit einer riesigen Taftschleife. Im Profil musste man so aussehen wie eine Kropftaube, wenn man die Oberweite noch etwas ausstopfte. Danke bestens!
Das nächste war über einem Reifrock zu tragen, der Rock über und über mit üppigsten Draperien besetzt. Ich sah schon richtig, wie sich der Staub darin fing! Und die alberne Perlenstickerei auf dem Oberteil!
Eigentlich waren weiße Kleider immer scheußlich, und die hier waren besonders überladen, Rüschen, Spitzen, Perlen, Pailletten und dazu langweilige Schnitte. Nichts gegen schöne Kleider, ich konnte lange in meinen Lieblingsgeschäften verweilen und für wirklich schöne Kleidung (meistens Kostüme) auch stolze Summen hinblättern, aber doch nicht für diese Raffgardinen!
In den anderen Fenstern hingen nur noch Ballkleider. Seufzend betrat ich den Laden, vielleicht hatten sie drin ja schönere Sachen? Der Laden war völlig leer, an den Wänden bauschten sich weite weiße Röcke aus allen geeigneten und ungeeigneten Materialien. Eine Dame, anders konnte man es nicht nennen, schwebte aus dem Hintergrund auf mich zu, ganz in Schwarz, ein Maßband um den Hals.
„Womit kann ich Ihnen helfen?“
„Ich wollte mich nur mal nach Brautkleidern umsehen“, erläuterte ich zaghaft.
„Aber gerne. Woran hatten Sie denn so gedacht?“
„Ich bin mir nicht ganz sicher“, gab ich zu, „aber wahrscheinlich an etwas möglichst Schlichtes. Ohne Rüschen und so Zeug.“ Das hätte ich damenhafter formulieren können, merkte ich, als ich da, wie die vornehme Verkäuferin leicht einen Mundwinkel kräuselte. „Schlicht... gut. Und wann wollen Sie heiraten – im Sommer, im Herbst oder im Winter? Wegen des Materials, meine ich?“
„Mitte Juni“, gab ich lustlos Auskunft.
„Oh, das wird aber knapp, wenn man an die Änderungen denkt... Haben Sie sich erst kürzlich umentschlossen?“
„Nein, das ganze Problem verdrängt“, gestand ich ohne nachzudenken.
Darauf antwortete sie gar nichts, sondern schob eine Holztür beiseite und nahm einige Kleider heraus, die sie an einen fahrbaren Ständer hängte. Eins sah nicht so übel aus, glatte weiße Seide mit einem leichten rosa Stich, fast schulterfrei, mit Ausnahme der Spaghettiträger, aber dann sah ich, dass der Saum asymmetrisch geschnitten war, links war das Kleid bodenlang, rechts aber kniekurz. So was hatte ich immer schon dämlich gefunden. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich dem nächsten zu. Hochgeschlossen, enger, bestickter Stehkragen, tausend Knöpfchen auf dem Rücken. Mit diesem Kleid musste ich ja schon am Vorabend mit dem feierlichen Ankleiden beginnen!
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