1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 „Richtig, wieso?“
„Die hab ich doch auch irgendwo? Aber sie sah irgendwie anders aus... warte mal!“
Die Seite hatte mich am Dienstag verwirrt, aber ich hatte keinen Fehler gefunden, also hatte ich mir doch eine Kopie zurückbehalten, um bei Gelegenheit ein scharfes Auge darauf zu werfen. Da! In der untersten Schublade, wo sonst?
Ich legte die beiden Ausdrucke nebeneinander, meiner war vom 2. April, Felix´ Exemplar von heute, also vom 5. April. Ziemlich schnell stellten wir beide fest, dass sie nicht identisch waren. Zwar stimmten die Endsummen überein, aber auf Felix´ Ausdruck war eine höhere Summe für die Designabteilung veranschlagt worden, ohne, dass sich sonst etwas verändert hatte. „Das kann doch überhaupt nicht sein“, regte Felix sich auf, „was ist denn das für ein Scheißprogramm, das muss doch merken, wenn sich exakt ein Betrag ändert?“
„Sollte man meinen. Sonst merkt es das auch immer. Nee, pass auf, hier!“
Ich deutete auf einen Posten kurz vor der Schlusszeile. „Hier steht auch ein höherer Eingang! Wieso haben die nachträglich mehr Geld gekriegt? Das interessiert mich jetzt aber!“
„Mich auch“, sagte Felix grimmig und guckte zu, wie ich den Chef der Produktion, Promberger, anrief.
Promberger wusste überhaupt nichts von einem höheren Budget, er arbeitete mit dem alten Betrag. Und höhere Designkosten waren ihm auch nicht aufgefallen. „Wer hat denn das gebucht?“
Ich guckte nach. „Steht nicht drauf, nur Ihr Kürzel.“
„Na, ich war´s nicht“, brummte er. „Faule Sache, das.“
„Ich werde es bei Gelegenheit Dr. Oberl zeigen“, versprach ich. „Und Sie wollen sicher auch die Augen offen halten, oder?“
„Können Sie Gift drauf nehmen!“, schnauzte er und legte auf.
„Irgendwer zweigt da was ab“, murmelte ich. „Oder jemand kann absolut nicht rechnen“, suchte Felix nach einer Entschuldigung. „Das Programm kann rechnen, und keiner ist hier so doof, dass er aus Versehen falsche Daten eingibt. Selbst wenn – wieso stimmt es dann hinterher wieder?“
„Zwei Beträge exakt passend geändert“, sagte Felix langsam, „stimmt, so was ist kein Versehen mehr. Wir müssen doch um fünf sowieso zum Chef, dann zeigen wir es ihm, ja?“
„Genau. So was trage ich nicht gerne alleine. Wieso müssen wir um fünf zum Chef?“
„Keine Ahnung, Inge hat mir einen Zettel auf den Schreibtisch geknallt.“
Ich öffnete die Tür. „Tanja? Hab ich einen neuen Termin?“
„Steht im Kalender! Um fünf Dr. Oberl!“, rief sie zurück und fuhr damit fort, den Kopierer zu füllen.
Ich legte die beiden Blätter mit unseren roten Anmerkungen und der Gesprächsnotiz von Promberger (warum ich sie nicht wie sonst von Tanja abtippen ließ, wusste ich auch nicht) in eine neue Mappe und schloss sie in der untersten Schublade ein, bevor ich mich dem Routinekram auf meinem Schreibtisch weiter widmete.
Wozu war denn heute schon wieder ein Meeting bei Dr. Oberl? Aber gut, dann konnte ich ihm gleich die Unstimmigkeiten in den Abrechnungen zeigen.
Ich regelte, was noch so anlag, ging mit Anja Fisch essen, kaufte hastig einige Kleinigkeiten für das Abendessen und rannte wieder an meinen Schreibtisch zurück, den Tanja mir schon wieder mit einem Riesenstapel zugemüllt hatte.
Endlich war es fünf. Ich fuhr mit Felix und Anja nach oben, die kostbare Mappe unter dem Arm. Wir konnten doch nicht schon wieder eine neue Produktlinie haben? Nicht zweimal in einer Woche!
Schließlich saßen wir alle, halb neugierig, halb unwillig (Freitagnachmittag! Wochenende! Heimgehen!) um den nierenförmigen Konferenztisch mit dem schon etwas welligen Nussbaumfurnier. Den mussten die alten Chefs schon mitgebracht haben, als sie vor fast dreißig Jahren die Firma gründeten. Wahrscheinlich hatten sie das Teil auf dem Speicher gefunden und beschlossen, dass es für Konferenzen (damals sagte man ja noch nicht Meeting) noch reichen würde. Sparsam waren sie ja alle drei – nur Prack nicht, wenn es um seine jugendlichen Freundinnen ging.
Ging es hier bald mal los? Ich sah gerade ziemlich gereizt auf meine Uhr und dachte an die Einkäufe, die noch neben meinem Schreibtisch standen (hätte ich sie bloß in den Kühlschrank geräumt, das konnte hier ja noch ewig dauern!), als die Tür aufging und Oberl und Winter eintraten. Prack hatte um diese Zeit sicher schon etwas Besseres vor... Sie hatten noch einen Kerl im Schlepptau, bemerkte ich, als ich meinen strengen Blick von der Uhr löste.
Oh Gott, der Märchenprinz! Er lächelte verhalten in die Runde, und als sein Blick auf mich fiel, weiteten sich seine Augen wieder. Ich schaute schleunigst weg und verkniff es mir sehr mühsam, an meiner Frisur oder dem Kostüm herumzuzupfen. Stattdessen setzte ich ein Pokerface auf, das wahrscheinlich wenig überzeugend wirkte.
„So, meine Damen und Herren, das ist Herr Dr. Decker, der in den nächsten Wochen etwas in unsere Firma hineinschmecken wird. Ich baue darauf, dass Sie ihn alle nach Leibeskräften unterstützen und ihm alle Abläufe erklären. Herr Dr. Decker, ich darf Ihnen die Damen und Herren Abteilungsleiter dann der Reihe nach vorstellen...“
„Ich bitte darum“, antwortete Decker mit einer tiefen, weichen Stimme, die meinen Unterleib kribbeln ließ. Meine Knie zitterten unwillkürlich; energisch stützte ich die Hände darauf.
„Hier vorne haben wir Herrn Promberger, der die Produktion leitet, Frau Dichtl von der Personalabteilung und, da wir in der Finanzabteilung momentan keinen Chef haben, Frau Thibault für die Finanzplanung und Herrn Schmidt für das Marketing. Frau Thibault, wo ist denn Frau Wernheimer? Das ist unsere Buchhaltungschefin“, erläuterte er Decker.
„Krank“, murmelte ich und nickte dem Prinzen kühl zu.
„Ach, mal wieder? Na, ich bin sicher, Sie beide kommen auch so zurecht.“ Felix und ich nickten synchron, was hätten wir auch sonst tun sollen? Decker verwickelte Promberger in ein kurzes Gespräch, und ich nutzte die Gelegenheit, Oberl anzusprechen. Er wirkte etwas vergrämt, wahrscheinlich wollte er die Vorstellung dieses dubiosen Mitarbeiters – welche Funktion hatte der denn überhaupt? – nicht durch Alltagskram stören lassen. Als ich nachdrücklich darauf bestand, ihm die Abrechnungen zu zeigen, zog er sich knurrend mit mir in eine Ecke zurück, warf aber nur einen flüchtigen Blick auf die fraglichen Posten und die Gesprächsnotiz.
„Das kann doch auch Zufall sein, oder? Ich schlage vor, Sie bewahren das auf und behalten die Situation im Auge. Und wenn es wieder vorkommt, lassen Sie sich einen Termin geben und dann besprechen wir das genau.“
Aha, nach dem Motto Nerven Sie mich bloß jetzt nicht damit! Hauptsache, ich hatte ihn informiert, wenn er nichts daraus machte, was es nicht mehr mein Problem. Und im Auge behalten wollte ich die Sache ohnehin! Ich notierte auf den Kontenblättern, dass ich Oberl heute informiert hatte – nicht dass es später hieß Warum haben Sie denn nicht gleich etwas gesagt?
Oberl verzog sich eilig und ließ seinen neuen Schützling mit uns alleine. Er hatte Promberger und Anja schon erledigt und wandte sich nun Felix zu, mit dem er einige unverbindliche Floskeln austauschte und flüchtig über Marketingstrategien sprach. Dann trollte sich Felix hastig ins Wochenende (sicher unter Mitnahme der Direktionssekretärin) und ich fand mich alleine mit diesem viel zu gut aussehenden Typen wieder. Was sollte ich bloß sagen? Ich zermarterte mir vergeblich nach etwas Originellem das Hirn, aber mir fielen nur Plattheiten ein, also beschränkte ich mich auf ein vorsichtiges Lächeln. „Frau Thibault? Interessanter Name... Wie heißen Sie mit Vornamen?“
Hach, diese Stimme! Ich räusperte mich energisch. „Hélène.“
„Elaine? Wie Lancelots Frau?“
„Nein.“ Ich musste lächeln. „Wie Helene, leider.“
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