1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Ich hatte mir in Schönbrunn eine geschwätzige Biographie verschiedener Habsburger Prinzessinnen gekauft, außerdem einen Schlossführer und einen kleinen Bildband über Wien. Und eine Tüte getrocknete Erdbeeren vom Naschmarkt hatte ich auch noch! Ich drehte mich einmal um die eigene Achse. Neue Hofburg, Burgring, die beiden gigantischen Museen mit der Maria Theresia dazwischen und dem Museumsquartier dahinter, in einer Farbe wie ein nackter Arsch, Justizpalast, Burgring, Volksgarten.
Volksgarten, beschloss ich, eine nette, sonnige Bank, vielleicht ein, zwei attraktive Denkmäler, ein bisschen lesen, Erdbeeren futtern, bis ich mich richtig verklebt fühlte, danach eine Zigarette... Hatte ich mir das nicht verdient?
Ich schlenderte die Wege entlang und überlegte, wo ich mich am besten hinsetzen sollte, um den perfekten wientypischen Blick zu genießen, wann immer ich den Blick von meinen Prinzessinnen hob. Am Theseustempel? Nein... Dahinten war ein leuchtend weißes Denkmal; als ich näher kam, erkannte ich die Kaiserin. Schön, hier war ich richtig!
Daneben eine halbrunde steinerne Bank, Halbschatten, gegenüber eine zweite Bank, dahinter konnte man ein Stück schmiedeeisernen Zauns und die Umrisse des Kunst- oder Naturhistorischen Museums erkennen (so genau konnte ich das auch mit Hilfe des Stadtplans nicht auseinander halten). Weit und breit kein Mensch – Kunststück, die Wiener mussten arbeiten und die Touristen wurden wohl gerade gruppenweise durch die Hofburg geschleust.
Ich machte es mir gemütlich und schlug das Buch auf. Marie Louise, die man gezwungen hatte, Napoleon zu heiraten... Sehr spannend, zwar auf dem Niveau von Herz und Krone , aber flüssig geschrieben - königlicher Tratsch machte eben doch Spaß! Ich futterte die klebrigen Erdbeeren und las gierig. Woher wusste der Autor eigentlich, wie die Hochzeitsnacht verlaufen war? Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, dass die einzigen beiden Teilnehmer hinterher herumgetratscht hatten, damals redete man doch nicht über Sex, oder?
Einmal sah ich auf. Auf der Bank gegenüber saßen zwei Männer. Unauffällige Gestalten – aber warum trug der einen so grell bordeauxfarbene Schuhe? Die waren ja schon fast lila! Ich schüttelte angesichts dieser Geschmacksverirrung betrübt den Kopf und wandte mich wieder dem Buch zu, aber nun ließ die Konzentration nach. Ich zündete mir eine Zigarette an, las die Aufschrift seitlich auf dem Elisabethdenkmal, stellte fest, dass der andere Mann auf der Bank auch ein seltsames Merkmal aufwies: Er trug einen rötlichen Schnurr- und Backenbart wie Franz Joseph in seinen mittleren Jahren – im Museumsshop hatte ich genügend Abbildungen gesehen, um die Ähnlichkeit beurteilen zu können. Das weiße T-Shirt, die engen verwaschenen Jeans und der Gürtel mit der großen goldenen Sonne als Schließe passten zwar nicht so recht, aber das Gesicht – es hätte der Kaiser persönlich sein können. Die beiden schienen sich zu zanken, der mit den lila Schuhen versetzte dem anderen einen Rippenstoß. Na, was ging das mich an, vielleicht ein verkrachtes Liebespaar, beide waren noch ziemlich jung, und vom Geschmack her gaben sie sich wohl nichts nach. Ich stand auf und kramte die Kamera heraus. Erst einmal das Elisabethdenkmal, von zartgrünen Ranken umgeben. Einmal saß sogar ein Vogel auf ihrem steinernen Unterarm!
Ein bisschen von unten, das ließ sie arrogant wirken, als sei sie über das gewöhnliche Volk erhaben. War sie das nicht auch? Sie sah mich von oben herab an, während ich um sie herumturnte. Zimtzicke , murmelte ich, du hast in deinem Job auch nicht schlecht versagt. Wer einen Kaiser heiratet, muss doch wissen, worauf er sich einlässt! Sie schaute gleichgültig über mich hinweg, als ich mich wieder setzte und mir die heutigen Motive in meinem Terminplaner notierte. Ich sah wieder auf: Der Blick hin zum Kunst- (oder was auch immer) -historischen Museum war nicht schlecht, zarte Natur und klobige Architektur, die Sonne ließ die goldenen Akzente auf den Parkgittern schimmern – und leider auch diese abgrundtief hässliche Gürtelschnalle!
Die beiden pöbelten sich immer noch an, es hatte wohl keinen Zweck, mit dem Foto zu warten, bis sie sich davongemacht hatten. Ich konnte sie notfalls digital verschwinden lassen... Mist, die gute Bildbearbeitungssoftware war nur auf meinem Bürorechner. Wenn ich es einmal schaffen würde, meine megacoolen Abgänge so vorauszuplanen, dass ich vorher noch die Bürosoftware klauen konnte – das wäre wirklich vernünftig!
Na, ich würde schon jemanden finden, der mir dabei helfen konnte, und bei einem Privatfoto war es auch egal. Ich hob die Kamera halb, drehte mich ein bisschen und erwischte genau einen Sonnenstrahl, der die Gürtelschnalle so aufblitzen ließ, dass alles andere wahrscheinlich nun falsch belichtet war. Dann eben noch mal. Gut, jetzt beugte sich lila Schuh ein bisschen vor, als wollte er Franz Joseph ins Gesicht sehen, damit war die doofe Schnalle abgeschirmt. Ich schoss noch ein Foto und dann noch ein letztes, schon im Gehen, auf dem die beiden schrägen Vögel von der Seite und das Denkmal ebenfalls im Profil zu sehen war – das zeigte doch erst, wie klein die Menschen waren und wie groß (und eigentlich ziemlich geschmacklos) das Denkmal! Nun saß Franz Joseph vorne und wirkte unglücklich, aber von meiner Fotoaktion hatten die beiden wohl nichts bemerkt. Ich verzog mich langsam durch den Volksgarten Richtung Heldenplatz und betrat die Alte Hofburg. Die Kaiserappartements und die Silberkammer waren wirklich Pflichtprogramm!
Hinterher hatte ich das Gefühl, nun wirklich alles über Sissi und Franz Joseph (den echten) zu wissen, eigentlich mehr, als ich jemals hatte wissen wollen. Aber das war schließlich meine Absicht gewesen, als ich die Hofburg betreten hatte. Ich kaufte mir nachträglich noch einen Führer durch die Kaiserappartments, einige Postkarten samt Marken, ein Sweatshirt mit der Habsburger Krone darauf (von Franz Joseph hatte ich allmählich genug) und eine weitere Kitschbiographiensammlung – und zahlte eine unverschämte Summe dafür – und fand, dass es nun genug der Kultur sei. Die Kamera gezückt, wanderte ich durch die Höfe und fotografierte verschwiegene Winkel, eigenartige Wappen und stürzende Linien, die der majestätischen Hofburg etwas ungewohnt Dramatisches verliehen. Das mussten tolle Bilder werden!
Ich experimentierte mit den Objektiven, die ich dabei hatte, und probierte auch den Weichzeichner aus, aber der eignete sich wohl doch besser dafür, ältliche Möchtegernpromis faltenfrei aufs Bild zu kriegen. Trotzdem war ich mir sicher, dass ich fette Beute gemacht hatte. Langsam wanderte ich durch das Michaelertor aus der Hofburg hinaus und betrachtete mir nachdenklich den Michaelerplatz. Das seltsame Gebäude direkt gegenüber dem Michaelertor war also das Loos-Haus... Gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht. Ein bisschen wie die in den Fünfzigern brutal renovierten Neubarockhäuser zu Hause am Markt, aber es hatte doch etwas: klare Linien. Ich tänzelte auf der steinernen Insel in der Mitte des Platzes herum, bis ich einen Standort gefunden hatte, von dem aus sich das Michaelertor in den Fenstern des Loos-Hauses spiegelte – gar nicht so einfach bei der eigenartigen Gitterstruktur vor diesen Fenstern! Schließlich war ich aber zufrieden und drückte ab.
Und wie hieß nun die Straße zwischen Loos-Haus und diesem gelben Barockbau neben der Kirche, deren Namen ich auch nicht kannte? Ich kämpfte mit Kamera, Stadtplan und Notizbuch und stellte schließlich fest, dass es sich um den Kohlmarkt handelte und ich von dort auf den Graben kommen konnte. Oh, gefährlich – der Graben führte in die Nähe des Doms – ob der Zugmensch dort immer noch auf mich wartete? Ich sah auf die Uhr – halb vier. Unwahrscheinlich, aber um den Dom sollte ich doch besser einen Bogen machen, beschloss ich.
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