Aus den Augenwinkeln bemerkte Macay, dass Elkmar ihn beobachtete. Daher tat er so, als interessiere ihn der Steckbrief nicht weiter. „Ich tue alles, was Sie sagen“, sagte er, „aber bei der Maschine müssen Sie mir helfen. Ich könnte sonst beim Reinigen etwas beschädigen, weil ich mich mit solchen Sachen nicht auskenne.“
„Sehr vernünftig, junger Mann“, lobte Elkmar. „Man muss auch seine Grenzen kennen. Fangen wir also an.“
Gemeinsam putzten sie nun eine Stunde lang die Maschine, schmierten die Lager neu und probierten dann aus, ob alles funktionierte. Macay war fasziniert, denn er hatte noch nie ein Gerät mit Zahnrädern gesehen, geschweige denn dessen Funktion erklärt bekommen. Als alles fertig war, hatte er eine Menge schwarzer Flecken an Hemd und Hose. Elkmar meinte nur, das sei eben das Kennzeichen von Druckern, er solle sich nichts daraus machen.
Anschließend ging Macay mit den gedruckten Steckbriefen zum Rathaus. Elkmar hatte ihm erklärt, in welches Zimmer er gehen und wie viel das Rathaus für den Druckauftrag bezahlen sollte. Es war erstaunlich, dass Elkmar keine Bedenken zu haben schien, sein neuer Helfer könnte mit dem Geld abhauen. Saikas Name schien wirklich sehr viel zu bewirken.
Das imposante Gebäude hatte Macay schon am Vortag gesehen. Nun ging er geradewegs darauf zu. Am Eingang hielt ihn der Wachmann auf. Es war ein mulmiges Gefühl, mit den eigenen Steckbriefen unter dem Arm vor der Wache zu stehen.
„Ich bin der Druckerhelfer und soll das hier abliefern“, erklärte Macay, so forsch er konnte. Er wurde ohne Nachfrage durchgelassen. Hoffentlich las auch der zuständige Stadtangestellte nicht zu genau die Beschreibung der Gesuchten.
Im Rathaus herrschte eine beängstigende Stille, verglichen mit der rührigen, lärmenden Stadt draußen. Macays Schritte hallten durch die leeren Gänge, während er das Zimmer suchte, in dem er die Drucke abliefern sollte. Hier befand er sich Zentrum des Gegners. Irgendwo in diesem großen Bau hatte der Bürgermeister sein Büro. Vielleicht saß er gerade dort und beriet sich mit anderen, mit welchen Fallen man Ralls Gefährten fangen könnte. Es wäre toll, wenn ich ihn dabei belauschen könnte, dachte Macay, aber wie?
Das Zimmer, zu dem er sollte, lag im Erdgeschoss, aber Macay nutzte die Gunst der Stunde, ging die breite, steinerne Treppe hoch und sah sich im Obergeschoss um. Wie alle Gebäude in Heimstadt war auch das Rathaus zweistöckig. Oben lagen sogar Teppiche in den Gängen, und die Türen waren mit Symbolen aus Metall geschmückt, die vermutlich den Rang des jeweiligen Beamten darstellten. Vor einer besonders prächtig geschmückten Tür blieb Macay stehen und überlegte, ob er es riskieren sollte, einen Blick hineinzuwerfen.
Plötzlich gingen die Flügeltüren auf und Macay sah sich einer ganzen Gruppe von Menschen gegenüber. In ihrer Mitte stand ein dicker Mann, dessen Doppelkinn fast so groß war wie sein restliches Gesicht.
Der Dicke starrte auf Macay hinunter, der gut zwei Kopf kleiner war, und Zornesadern schwollen an seiner Schläfe an. „Wache!“, brüllte er. „Ein Eindringling!“
Ein Wachmann kam angerannt und richtete seinen Speer auf Macay. „Was befehlen Sie, Herr Bürgermeister?“, fragte er.
„In den Kerker mit ihm!“
Der Bürgermeister wollte weitergehen, aber Macay rief, so laut er konnte: „Entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister, ich bin der Helfer vom Drucker Elkmar. Ich soll diese Papiere abgeben und habe nur das richtige Zimmer nicht gefunden.“
Der Wachmann riss ihm die Zettel aus der Hand und gab sie an den Bürgermeister weiter, der sie überflog. „Ah, ja. Wichtige Sache. Wache, bring ihn hinunter in die Amtsstuben, wo er die Steckbriefe abgeben kann, und dann wirf ihn hinaus.“
„Jawohl, Herr Bürgermeister.“ Der Wachmann packte Macay hart an der Schulter, um ihn vor sich her die Treppen herunterzuschieben.
„Moment noch“, rief der Bürgermeister hinter ihnen her. „Kommt noch einmal zu mir.“
Von dem Wachmann wurde Macay wieder vor den Bürgermeister gestoßen. Der musterte ihn misstrauisch. „Ich habe dich in der Stadt noch nie gesehen“, sagte er. „Die Beschreibung auf dem Steckbrief könnte durchaus auf dich zutreffen. Wer bist du, wo kommst du her?“
„Ich bin Helfer bei Elkmar, Herr“, sagte Macay mit unterwürfigem Ton. Bewusst vermied er es, seinen Namen zu nennen. Auch wenn der nicht auf dem Steckbrief stand, kannte ihn der Bürgermeister vielleicht. „Vor zwei Wochen kam ich von einem Bauernhof im Osten und Elkmar hat mir eine Stelle angeboten. Hier verdiene ich mehr als ein Knecht auf dem Land.“
„So. Das wird sich ja nachprüfen lassen. Wache, Sie begleiten ihn nachher zurück zum Drucker und erkundigen sich dort, ob seine Angaben stimmen. Rückmeldung dann umgehend an mich, verstanden?“
„Jawohl, Herr Bürgermeister.“
Nun befand sich Macay in einer schwierigen Situation. Elkmar würde wohl kaum für ihn lügen. Wenn er aber jetzt weglief, wussten alle, wer er war. Dann hatte er keine Chance mehr, eine Möglichkeit für die Befreiung von Rall auszukundschaften. Vorerst entschied er sich dafür, zu schweigen. Er kehrte mit dem Wachmann zurück ins Erdgeschoss und lieferte die Steckbriefe ab. Das Geld, das man ihm dafür gab, steckte er ein, dann ging er in Begleitung des Wachmanns durch die Stadt zurück zur Druckerei.
Elkmar staunte nicht schlecht, als sein neuer Helfer in Begleitung eines Bewaffneten daher kam. „Was zum Teufel hast du angestellt?“, herrschte er Macay an.
„Vermutlich nichts“, antwortete der Wachmann beruhigend. „Der Herr Bürgermeister möchte nur wissen, ob dieser Bengel derjenige ist, der zu sein er vorgibt. Stimmt es, dass er seit zwei Wochen Helfer bei euch ist?“
Macay spannte die Muskeln, um sofort verschwinden zu können.
Doch Elkmar antwortete ruhig: „Ja. Noch ist er es. Aber wenn er noch einmal von der Wache aufgegriffen wird, ist er die längste Zeit mein Helfer gewesen.“
„Macht euch keine Sorgen, Drucker, es ist alles in Ordnung.“ Der Wachmann salutierte und verließ die Druckerwerkstatt.
„Gerade noch mal gutgegangen“, sagte Elkmar.
„Ja. Danke. Warum haben Sie für mich gelogen?“
„Weil Saika dich geschickt hat“, erklärte Elkmar. Mehr zu sagen war er nicht bereit.
Den Rest des Tages arbeitete Macay eifrig mit bei den Vorbereitungen für den Druck der nächsten Ausgabe des ‚Stadtboten‘. Abends bekam er von Elkmar etwas zu essen, dann fiel er todmüde in dem Verschlag hinter der Werkstatt auf den Strohsack und schlief auf der Stelle ein.
Der ‚Stadtbote‘ war eine vierzehntägig erscheinende Zeitung, die nur aus acht Seiten bestand. Da diese Seiten auch noch recht klein waren, zumindest im Vergleich zu den Zeitungen, die Macay in Mersellen gesehen hatte, konnte man sie bequem falten und in die Tasche stecken. Trotzdem war sie die wichtigste - weil einzige - gedruckte Zeitung des ganzen Kontinents und wurde folglich nicht nur in Heimstadt gelesen, sondern auch durch Reisende in alle Himmelsrichtungen verteilt. Das erklärte die enorme Auflage von zweihundert Exemplaren.
Die aktuelle Ausgabe beschäftigte sich mit den Plänen des neuen Bürgermeisters. Diese Pläne bestanden aus lauter Versprechungen über eine wundervolle Zukunft, die aber nur eintreten werde, wenn die Feinde der Stadt besiegt würden.
„Den Artikel hat der Bürgermeister selbst geschrieben“, erklärte Elkmar, während er den Text setzte. „Deshalb stelle ich in großen Lettern seinen Namen darüber, damit die Leser das wissen. Darunter drucke ich einen Kommentar von mir, in dem ich die Frage stelle, ob es wirklich eine rosige Zukunft verheißt, sich mit den Kaiserlichen einzulassen.“
„Lässt der Bürgermeister es zu, wenn Sie eine andere Meinung drucken als seine?“, fragte Macay verwundert.
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