Bevor Zzorg und Rall ihm folgen konnten, ertönte ein markerschütternder Schrei. Ein Körper fiel vom Baum herunter und klatschte in die Fluten des Pil.
Der Flößer kam zurück, blutend und schwankend, aber offenbar zufrieden mit seiner Tat. Wortlos ging er an Zzorg und Rall vorbei, kletterte mühsam von dem umgestürzten Baumstamm herunter und wankte davon. Seine drei Passagiere folgten ihm.
An der Anlegestelle des Floßes angekommen, grub der Flößer mit bloßen Händen ein Loch in den Waldboden, in den er den Kadaver der großen Ratte bettete. Dann schüttet er das Loch zu und streute ein paar Blätter darüber, die er von den herunterhängenden Ästen der Bäume abriss.
Mit zischenden Lauten sagte er etwas zu Zzorg, der sich abwandte, um das Gesicht des Geächteten nicht noch einmal zu sehen. „Er kann ohne zweites Leittier nicht weiterfahren. Er wird hier in der Nähe einen Unterschlupf bauen und versuchen, ein neues Paar Leittiere zu fangen. Das kann mehrere Tage dauern.“
„Sag ihm, wir bedauern den Tod der Ratte“, sagte Rall. „Ich will versuchen, ihm bei seinen Wunden zu helfen.“
Der Flößer schüttelte energisch den Kopf. „Heiler kann nicht helfen“, zischte er kaum verständlich in Menschensprache. „Wunden verschwinden bald. Weg frei, geht zu Fuß weiter.“
„Was soll das heißen, Weg frei?“
Diesmal antwortete der Flößer wieder in der Sprache der Echsen und Zzorg musste übersetzten: „Es war nur ein Mann, der uns aufgelauert hat. Ein gefährlicher Mann, zumindest für uns.“
„Wer soll das gewesen sein?“, fragte Macay. „Ein einzelner Mann, der einen Baum fällt, um uns in einen Hinterhalt zu locken. Wer ist so verrückt?“
Rall schlug sich an die Stirn. „Ein zweiter Kopfgeldjäger! Wir haben einen im Dschungel erledigt, aber ein zweiter scheint uns bis hierher gefolgt zu sein. Dann hat er uns überholt, vielleicht mit einem Pferd, und diese Falle gebaut.“
„Das kann sein“, gab Macay zu. „Aber das muss schon ein verdammt zäher Jäger sein, der uns so lange nicht aus den Augen lässt.“
„Du scheinst eine wertvolle Beute zu sein, mein Junge“, erwiderte Rall.
Sie überprüften ihr Gepäck und machten sich bereit zum Abmarsch Richtung Westen. Als sie sich von dem Flößer verabschieden wollten, war der zwischen den Bäumen verschwunden und blieb unauffindbar.
„Was ist denn nun wieder in ihn gefahren?“, wollte Macay von Zzorg wissen.
Zzorg lachte: „Die Geldgier. Er fürchtet, dass wir einen Teil des Goldes zurückverlangen, weil er uns nicht ganz bis nach Heimstadt gebracht hat.“
„Da hat er nicht Unrecht“, sagte Rall. „Aber wir haben nicht die Zeit, nach ihm zu suchen. Gehen wir los.“
Nach zwei Tagen lichtete sich der Wald und das Wetter wurde besser. Bei gelegentlichem Sonnenschein erreichten sie die Weidegründe östlich von Heimstadt.
„Noch zwei weitere Tagesreisen“, erklärte Rall, „dann sind wir in der Stadt. Von hier aus ist das Wandern kein Problem mehr. Es gibt Bauernhöfe, in denen man übernachten kann, und die Wege sind eben und führen geradewegs zu unserem Ziel.“
Am späten Nachmittag sahen sie die ersten Getreidefelder. Die Straße, der sie folgten, war von Obstbäumen gesäumt. In der Ferne ragte eine große Scheune in die Höhe, die zu einem Bauernhof gehören musste. Dorthin wandten sie sich.
Pünktlich bei Sonnenuntergang erreichten sie den Hof. Hunde kamen ihnen bellend entgegen, ließen sich aber schnell überzeugen, dass ihre Besucher keine Gefahr darstellten.
Der Bauernhof bestand aus einem halben Dutzend Gebäuden, die im Kreis um einen Platz standen. Es waren Lagerschuppen, Scheunen und zwei Wohnhäuser, wie das Licht hinter deren Fenstern zeigte.
Das Bellen der Hunde hatte die Leute vorgewarnt. Sie traten aus der Tür, um zu sehen, wer da kam. Sie hielten Knüppel und Mistgabeln in den Händen. Dass sie bewaffnet waren, verwunderte Macay nicht, denn in dieser zwar schönen, aber gefährlichen Umwelt musste man wohl immer mit dem Schlimmsten rechnen. Doch auch ihre Mienen waren feindselig.
Einer hatte sogar ein rostiges Schwert, offenbar war er der Besitzer des Hofes. „Verschwindet!“, schrie er. „Wir wollen mit euch Gesindel nichts zu tun haben.“
„Wir sind harmlose Reisende ...“, begann Rall, wurde aber von einem jungen Knecht unterbrochen, der nach vorne stürmte und versuchte, den Katzer mit seiner Mistgabel aufzuspießen. Rall wich geschickt aus. „Was soll das?“, fragte er. „Wir haben euch doch nichts getan.“
„Man hat uns vor euch gewarnt“, sagte der Bauer. „Glaubt nicht, wir wären wehrlos. Zieht eures Weges und wir werden euch in Ruhe lassen. Wir sind weder hinter der Belohnung her, noch haben wir vor, euch an den Bürgermeister zu verraten. Aber wenn ihr nicht gleich weg seid, dann ist es eure eigene Schuld.“
„Belohnung? An den Bürgermeister verraten?“, fragte Rall. „Verratet doch uns erst einmal, worum es hier geht?“
Die Bauersleute hatten genug vom Reden, sie stürmten mit ihren Waffen los. Macay zog sein Schwert und war bereit, sein Leben zu verteidigen, doch Rall rief: „Nein! Wir verschwinden.“
Sie rannten davon, bis sie mit einem Blick über die Schultern sahen, dass ihnen die Menschen aus dem Hof nicht mehr folgten.
„Wir haben es nicht nötig, ein paar Bauern umzubringen, die uns mit Tagedieben verwechseln“, erklärte Rall. „Pech gehabt. Suchen wir uns einen gemütlichen Platz zum Übernachten. Dort drüben steht ein Heuschober.“
Das windschiefe Holzgebäude war gut eine Viertelstunde Gehweg entfernt und wurde genutzt, um Stroh als Zufütterung für die Weidetiere zu lagern. Hier machten sie es sich bequem und aßen von ihren Vorräten und dem Obst, das sie unterwegs gepflückt hatten.
Die Sonne war fast untergegangen, als ein Geräusch sie hochschreckte. Aus einer dunklen Ecke der Scheune kam ein Katzer hervor, der gleich die Hände hob. „Ich bin unbewaffnet“, sagte er.
Macay musterte den Unbekannten. Es war ein hagerer Kerl mit einem vermutlich durch einen Unfall gekappten Schwanz. Er trug die einfache Bekleidung eines Erntehelfers: Latzhose und Hemd, beides ziemlich löcherig.
„Mein Name ist Micka“, fuhr der Katzer fort. „Ich arbeite drüben auf dem Menschenhof. Wenn sie mich lassen, jedenfalls. Diese Leute sind nicht sehr nett zu einem, erst recht, wenn man ein Katzer ist.“
„Das haben wir bemerkt“, sagte Rall. „Was willst du?“
„Ich glaube, ihr seid Leute ganz nach meinem Herzen“, antwortete Micka und kam näher. „Es ist eine Belohnung auf euren Kopf ausgesetzt. Ich darf mir gegenüber diesen fetten Bauern nichts erlauben, nicht einmal eine freche Antwort, ohne meine Arbeit zu verlieren. Aber sie sollen mich nicht umsonst jahrelang gedemütigt haben.“
„Eine Belohnung? Wer und weshalb?“, fragte Rall, ohne auf Mickas Begründung einzugehen.
„Wer? Die Kaiserlichen. Weshalb? Ihr sollt ihnen etwas Wertvolles gestohlen haben und nun euren Beutezug durch das Inland fortsetzen.“
„Die Kaiserlichen!“, riefen Rall und Macay gleichzeitig.
Zzorg zischte aggressiv: „Seit wann haben die Kaiserlichen im Innern des Nebelkontinents etwas zu sagen?“
„Ihr scheint lange nicht mehr hier gewesen zu sein.“
Rall gab das durch ein Nicken zu. Er war Gefangener im Arbeitslager der Kaiserlichen gewesen und Zzorg hatte weit im Süden bei seinen Artgenossen gelebt.
„Der Kaiser hat einen Boten nach Heimstadt geschickt. Er ist an den Erzen aus dem Gebirge und den Handelswaren interessiert, die in der Stadt hergestellt werden.“
„Und die Menschen von Heimstadt sind bereit, sich für Gold an ihn zu verkaufen?“
„Nicht nur für Gold. Für ein Elixier seines Hofalchimisten.“
„Ein Zaubertrank? Wie lächerlich. Was soll er bewirken? Neuen Haarwuchs, Unsterblichkeit oder Glück in der Liebe?“, höhnte Rall.
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