Maxim ließ Abigail traben. Die hübsche, entspannte Schwarzscheckstute war erst sechs Jahre alt, gut eingeritten und ausgesprochen brav.
Eine halbe Stunde später schüttelten sich die Männer die Hände. Sidonie küsste Maximilian auf den Mund und sah dabei Theresa frech in die Augen.
Theresa löste sich vom Zaun und ging hinauf zum Haus.
In der Bibliothek erwartete sie Maxims derzeitige Geliebte und ihren gehörnten Ehemann mit dem vorbereiteten Kaufvertrag und einem Glas Champagner.
Das Paar gehörte zu den engeren Freunden Maxims und damit auch zu ihren. Sidonie war Renatos Ehefrau Nummer fünf. Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen wurde Sidonie nicht schwanger. Es hieß, sie wäre unfruchtbar. Vielleicht, dachte Theresa, war es das, was sie praktisch jedem Mann in die Arme trieb.
Theresa dachte an die Muli-Stute, Piccola Birbona , die mit Ariel auf der Koppel graste. Da Maultiere im Allgemeinen unfruchtbar waren, konnte ihr Hengst seine sexuellen Wünsche an ihr ausleben, ohne dass es Fohlen gab. Eine Hure für den Hengst.
Vielleicht hätte ich das Maultier ‘Sidonie’ taufen sollen, dachte sie zynisch. Aber Kleines Luder passte auch.
»Renato, wie lieb von dir, mir dieses süße Pferdchen zu schenken«, zwitscherte Sidonie.
Theresa zuckte unwillkürlich zusammen. Abigail war zweifellos eine hübsche Stute, schwarz mit vier weißen »Kniestrümpfen« und einem Stern zwischen den Augen. Aber süß? »Ich habe mir einen süßen Reitanzug bestellt, mit schwarzem Jackett und weißen Hosen. Ich werde genau wie Abigail aussehen.«
Theresa presste die Lippen zusammen und wandte sich ab.
»Du wirst reizend aussehen, meine Liebe«, hörte sie Renato sagen.
»Seid mir nicht böse, aber es warten noch weitere Kunden.« Theresa nickte in die Runde und verließ fluchtartig den Raum. Die »süße« Sidonie konnte sie keine Sekunde länger ertragen.
Sie rettete sich in die Küche, wo sie Frederico traf, der Maja von Ariels Heldentaten berichtete. »Und dann habe ich versucht …« Als er seine Mutter sah, schwieg er und wollte sich an ihr vorbei aus der Küche stehlen.
Sie packte ihren Sohn am Arm. »Wir beide sprechen uns noch. Heute nach dem Abendessen.« Ihre Stimme klang ruhig, ihre Augen loderten.
»Ja, Mama.«
»Maja, ein Glas Wasser bitte.«
»Ärger, Signora?«
»Ja, Maja.« Sie stürzte das Wasser in einem Zug herunter. »Ich muss noch einmal in den Stall.«
Maja sah und hörte vieles. Aber mit ihr über ihre Sorgen zu sprechen, brachte Theresa nicht über sich.
Es wurde bereits dämmrig. Theresa sah auf die Uhr.
Sie hoffte, dass Maxim Sidonie und Renato nicht zum Essen bitten würde. Das ginge über ihre Kräfte.
Sie tastete nach ihrem Handy und wählte die Telefonnummer der Klinik in Siena.
Ihr kamen wieder die Tränen. Es war noch nicht vorbei.
Wie Inseln ragten die Hügel in der Ferne aus dem aufkommenden abendlichen Dunst.
Raffael, mein Lieber, du bist meine Insel, ich brauche dich.
Sie war überzeugt, dass Renato genau wusste, was seine Frau trieb, ja sogar wusste, mit wem. Aber die alles verhüllende Glätte, diese sogenannten guten Manieren der Gesellschaft, ließ nicht zu, dass man sich etwas anmerken ließ. Getuschelt wurde nur hinter dem Rücken der anderen.
Renato und ihr Mann waren auch Geschäftspartner, und Geschäfte waren immer wichtiger als eine Affäre, die man ohne große finanzielle Verluste beenden konnte. Wenn Sidonie im Leben beider Männer längst keine Rolle mehr spielte, würde Renato mit Maxim immer noch Geschäfte machen.
Sie spielten alle ein Spiel, auch sie selbst. Aber heute hatte sie gespürt, dass ihre Gefühle für Raffael nicht zu diesem Spiel gehörten.
Die meisten der Boxen waren leer. Die Stuten standen auf der Sommerweide. Auch Ariel sollte ab morgen wieder auf der für die Wallache und den Hengst vorgesehenen Koppel stehen. Bis weit in den Herbst hinein konnten die Tiere sich dort austoben und unter dem Schatten der Bäume frisches Gras fressen. Theresa lief durch die lange Stallgasse, hielt kurz bei Ariel. Er streckte ihr seinen großen Kopf entgegen.
»Was hast du nur angestellt, mein Schöner!«
Theresa betrat Raffaels Büro. Außer einem Schreibtisch, auf dem ein Bildschirm neben einer Telefonanlage thronte, von der aus man direkt mit dem Stallmeister oder Theresa verbunden werden konnte, Regalen an den Wänden und zwei Stühlen, gab es hier nichts, nichts, was den Raum wohnlicher machte.
Ihr Blick blieb an einem Foto hängen, auf dem zwei lachende kleine Mädchen zu sehen waren. Seine Frau hatte ihn vor Jahren verlassen und die Töchter mitgenommen. Raffael liebte seine Mädchen und besuchte sie so oft es ging.
Auf ihre Frage, was schiefgegangen war, hatte er geantwortet: »Ich habe sie und die Kinder vernachlässigt.«
Theresa zog ihr Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer in Siena.
Raffael bewegte sich vorsichtig.
Weiße Wände, ein hohes Fenster und eine überbreite Tür, die sich schwungvoll öffnete. Ein stechender Schmerz fuhr ihm in den Kopf. Gepeinigt schloss er die Augen.
»Da sind Sie ja wieder. Guten Morgen. Professor Donato«, stellte der Arzt sich vor.
»Wo bin ich hier?«
»Sie sind in einem Hospital in Siena. Offensichtlich reicht ein Pferdehuf nicht aus, Sie ins Jenseits zu befördern.«
Raffael versuchte sich aufzusetzen. »Verflucht geiler Zossen.«
Der Arzt grinste. »Wenn Sie nicht ein Leben lang unter Kopfschmerzen leiden wollen, bleiben Sie die nächsten Tage liegen. Prellungen und Abschürfungen haben wir versorgt. Sollen wir jemanden benachrichtigen?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf, ließ es sofort wieder und zog eine Grimasse.
Die Schwester sah ihn besorgt an.
Vor der Tür hörte man Stimmen, erregte Stimmen:
»Sie können da nicht hinein. Der Professor hält Visite.«
»Das passt mir sehr gut, ihn will ich gerade sprechen.«
Die halb geöffnete Zimmertür schwang ganz auf, und Theresa erschien, gefolgt von einer Krankenschwester mit hochroten Wangen.
»Es ist gut, Oberschwester. Ich kümmere mich um die Signora.«
Donato beugte sich über Theresas Hand.
Wie machten sie das nur, diese Menschen, die zu einer Schicht gehörten, der er selbst nicht angehörte. Hatten sie immer alles im Griff?, überlegte Raffael.
Theresa bedachte Raffael mit einem freundlichen Blick. Mehr nicht.
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