1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 »Danke, mein Lieber, aber ich bin keine Greisin.«
Der Bursche grinste und verschwand. Maria entnahm einer ihrer Kleidertaschen ein Taschentuch und breitete es auf dem nicht ganz sauberen Sitz aus, bevor sie sich dankbar niederließ.
Amalia sprang vom Zaun und näherte sich langsam Luna und ihrem Sohn.
»Nur keine hektischen Bewegungen«, hatte Theresa ihr eingeschärft.
Sie schnalzte leise mit der Zunge. Luna kam ihr ein paar Schritte entgegen. Neben ihr trabte Lauser . Der kleine Hengst war gewachsen und so ausgelassen, dass er alle paar Schritte in die Höhe hopsen musste.
Amalias Lächeln wurde breiter. Sie hielt Luna ein Stückchen Zucker hin und spürte warmen Samt in ihrer Handfläche, als die Stute den Zucker vorsichtig von ihrer flachen Hand nahm.
Als sie zurückblickte, schob sich ein brauner Pferdehintern rückwärts aus dem Transporter. Marias Sonnenhut leuchtete in der Sonne, Raffael und Theresa standen Seite an Seite neben der Rampe. Raffael nahm die Stute am Strick und brachte sie in ein Gehege neben der Reitbahn.
Amalia rannte zum Zaun, pflückte im Laufen ihre Kappe vom Boden, setzte sie ohne anzuhalten auf und kam gleichzeitig mit Raffael beim Gehege an. Sie wollte unbedingt dabei sein, wenn Ariel die Stute deckte. Sie hatte das nicht oft gesehen, und es war aufregend. Normalerweise wurde eine künstliche Befruchtung vorgenommen.
Amalia kannte die sanfte Pferdedame, die schon ein paar Fohlen von Ariel hatte . Sie gehörte zu einem Gut, das nur wenige Kilometer entfernt lag.
Plötzlich entstand Aufregung drüben im Stall. Schrilles Wiehern, Stampfen und Schreie, laute Flüche, wieder Geschrei, Hundegebell.
Raffael schloss das Gatter und lief hinüber zum Stall. Amalia blieb dicht hinter ihm. Marias Hut war verschwunden. Sie konnte weder ihre Nonna noch Theresa entdecken.
Bevor sie die Stalltür erreichten, drehte sich Raffael um. Er hob Amalia auf die Umzäunung des Reitplatzes.
»Rühr dich nicht vom Fleck«, sagte er streng.
Sie sah ihn in den Stall eilen, hörte ihn fluchen, wie nur er fluchen konnte. »Welcher verfluchte Pinsel hat den Hengst rausgelassen. Ich brate seine Eier und stopfe sie ihm in den Hals.«
Sehen konnte sie nichts, aber sie hörte das erregte Wiehern, den Lärm stampfender Hufe, splitterndes Holz und laute Befehle. Gleich darauf erschien der riesige Hengst im Zustand äußerster Erregung. Ariel wirkte doppelt so groß wie sonst. Er musste seine Braut gewittert haben und war völlig außer sich. Frederico hing an einer Seite, Raffael an der anderen, um den Hengst zu halten. Er sieht aus wie ein Schlachtross. Amalia dachte an das Gemälde in der Bibliothek ihres Onkels. In diesem Moment stieg Ariel, Frederico ließ den Strick los, Raffael klammerte sich ans Halfter. Vergebens. Er sackte in die Knie und fiel vornüber.
»Raffael!« Theresas Schrei.
Amalia hielt den Atem an, aber sie rührte sich nicht.
Das Chaos war perfekt, als Ariel das Gehege erreichte und zu einem wunderschönen Sprung ansetzte. Er schien zu fliegen.
Frederico hetzte mit zwei Stallburschen hinter ihm her. Als sie das Gehege erreichten, war Ariel bereits dabei, seine Braut beglücken. Sie stand ganz still. Zufrieden und sanft wie ein Lämmchen ließ Ariel sich zurück in den Stall führen.
Nichts davon sah Theresa. Raffaels Augen waren geschlossen und eine Platzwunde am Kopf zeigte, wo Ariels Huf ihn getroffen hatte.
»Ich schneid ihm die Eier ab«, murmelte er, ohne die Augen zu öffnen.
»Ganz, wie du willst, mein Liebster.« Sie strich ihm über die Stirn.
»Komm, Kind«, sie hörte die Stimme ihrer Mutter, »du musst ihn loslassen, die Ambulanz ist da.«
Theresa erhob sich wortlos.
Über Amalias Wangen liefen dicke Tränen, malten kleine helle Bäche in ihr schmutziges Gesichtchen. Sie klammerte sich an das Holz der Umzäunung.
Hinter dem Tränenschleier sah sie Maria auf sich zukommen. »Raffael wird es überleben.«
Diesen Mann brachte man nicht so schnell um, dachte Maria.
Zwei Sanitäter bemühten sich, Raffael auf eine Trage zu heben.
»Wir gehen jetzt zu Maja. Sie hat bestimmt ein Eis für uns. Schau, da ist auch Ludwig, er wird uns begleiten.«
Amalia schwieg und nickte. Mit dem Handrücken wischte sie sich den Rotz von der Oberlippe, bevor sie vom Zaun sprang. Dann schob sich ihre klebrige Hand in die Marias. Maria ließ es geschehen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Niemals in ihrem Leben hatte sie die Hand ihrer Tochter so vertrauensvoll in ihrer gefühlt. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Theresa je geweint hätte. Aber eben, neben Raffael, hatte sie Tränen in den Augen ihrer Tochter gesehen.
Theresa stand, über einen Eimer Wasser gebeugt, in der Sattelkammer und wusch sich das Gesicht. Die Haare strich sie sich mit feuchten Händen zurück. Maxims Stimme drang bis zu ihr.
Wenn potenzielle Käufer erschienen, um ihre Pferde zu besichtigen, war ihr Mann gerne dabei. Er meinte, die Anwesenheit eines Mannes triebe den Preis in die Höhe, womit er nicht ganz Unrecht hatte. Männer gerierten sich wie Gockel: ‚Schau, ich habe das schönere Gefieder.’ Sprich: ‚Ich kann mir den Preis für dieses Pferd leisten.’
Um dem anderen seine Potenz zu beweisen, zahlten die meisten gern einen höheren Preis. Sie würde die Kerle nie verstehen.
Theresa klopfte sich den Staub von den Knien, wusch die Hände und trocknete sie ab. Bei ihr versuchten Männer flirtend den Preis zu drücken. Sie sah in den winzigen Spiegel, der an einem Balken baumelte.
»Das allerdings ist noch keinem gelungen«, versicherte sie ihrem Spiegelbild.
Sie setzte die Preise so hoch an, dass es nicht wehtat, ein wenig nachzugeben und den Käufer im Glauben zu lassen, er habe gewonnen.
Sie betrachtete ihre Hände, sie zitterten kaum noch. Ein vorsichtiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Wem wollte Raffael eigentlich die Eier abschneiden? Dem Hengst oder dem, der die Tür der Box geöffnet hatte?
Sie streckte sich, sah noch einmal in den Spiegel und trat hinaus in die blendende Helle.
War ihr noch anzusehen, wie aufgewühlt sie war? Als Raffael gestürzt war, hatte ihr Herzschlag ausgesetzt. Sie hörte noch ihren eigenen Schrei. Scheinbar unberührt wandte sie sich jetzt dem Reitplatz zu. Sie schritt, ohne hinzusehen, vorbei an der Stelle, wo sie neben Raffael in die Knie gesunken war.
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