Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Flucht in die Schattenwelt
Kapitel 2 - Das verzauberte Tal
Kapitel 3 - Magalies Entscheidung
Kapitel 4 - Die Unterstadt
Kapitel 5 - Hilfe für Oskar
Kapitel 6 - Die Macht des Medaillons
Kapitel 7 - Gefangen im Leuchtturm
Kapitel 8 - Leathans Rückkehr
Kapitel 9 - Regenbogenträume
Kapitel 10 - Sehnsucht
Kapitel 11 - Intrigen
Kapitel 12 - Der Sohn des Fürsten
Kapitel 13 - Die Gioconda
Kapitel 14 - Der Ruf der Fürstin
Kapitel 15 - Odine in Gefahr
Kapitel 16 - Dem Tod so nah
Kapitel 17 - Unter der Stadt
Kapitel 18 - Maskenball
Epilog
Faith
Richard – Sohn der Schattenwelt
Ursula Tintelnot
Impressum:
Copyright © 2014 Ursula Tintelnot
Umschlagsfoto: © Kajus Kötz
Covergestaltung: © Medusa Mabuse
ISBN 978-3-7375-1065-3
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Kapitel 1 – Flucht in die Schattenwelt
Oskar und Lilly
Der Himmel glühte in kaltem, fast schwarzem Violett. Nacht in der Schattenwelt. Eine durchsichtig blasse Sichel am Himmel erhellte die Umgebung kaum. Sie legte nur eine Ahnung von Licht über graue Mauern, totes Felsgestein und die Lehmhütten, die sich an den Fels krallten. Hohl und geisterhaft wirkte die Nacht.
Oskar sah sich bang um. Er war nie zuvor in der Schattenwelt gewesen. Der junge Glitter kannte nur die Lichte Welt. Er hielt Lilly, eine zierliche Hexe, umfangen. Sie hielten einander fest, wie zwei erschrockene Kinder.
Lilly war schon einmal in dieser unheimlichen Welt gewesen und wusste, dass es ihr nicht gefallen würde hier zu leben. Sie sehnte sich nach den Feldern der Mandragora, aus denen sie geboren war und zu denen sie zurückkehren sollte. Lieber ungeboren in den Armen der Alraunen, dem Schatten des Mondes und im Schoß der Erde, ihrer Mutter, als lebendig in dieser kalten Welt, dachte sie.
Oskar fürchtete sich, weil er das kränkliche Licht der blauen Sichel zum ersten Mal sah.
Lilly wand sich aus Oskars Umarmung. „Wie heißt du?“
Neugierig sah sie in sein grünes Gesicht, das im phosphornen Licht eine geradezu beängstigend fahle Farbe annahm.
„Ich bin Oskar. Du bist so hübsch“, fügte er stotternd hinzu. „Ich wollte nicht, dass sie dich zurück in die Erde schickt. Manchmal ist Elsabe zu streng.“
Er schlug die Augen nieder, mied ihren sommerhimmelblauen Blick.
Gegen ihren Willen musste Lilly lachen. Sie hatte ihn in der Lichten Welt gesehen, aber noch kein Wort mit ihm gesprochen. Als er sie gepackt und weggetragen hatte, war das so überfallartig geschehen, dass sie gar nicht dazu kam, sich zu wehren.
Oskar wirkte so treuherzig und ohne Arg. Der kleine grüne Elf mit den roten Haaren, zwischen denen spitze Öhrchen hervor lugten, hatte sie retten wollen und wusste nicht, was er damit angerichtet hatte.
Einmal im Jahr wurde in der Lichten Welt eine Hexe geboren. Sie entsprang den Feldern der Alraunen, wenn der Mond seinen Schatten über sie legte. Sie durfte in der ersten Zeit ihres Daseins in der Feenwelt nicht fliegen.
Lilly hatte gegen dieses unumstößliche Gesetz verstoßen. Deshalb sollte sie zurück in den Schoß der Erde geschickt werden. So hatten es die Hexen der Lichten Welt, die von Elsabe geführt wurden, beschlossen.
Um das zu verhindern, hatte Oskar, seinem Naturell folgend und weil er sich in Lilly verliebt hatte, sie gepackt und war mit ihr in diese dunkle Welt geflogen.
Glitter waren ein verspieltes fröhliches Volk von Dieben.
Es lag ihnen im Blut, alles zu nehmen, was ihnen gefiel. Aber sie behielten nichts. Alles, was sie stahlen, gaben sie wieder her oder verschenkten es großzügig. Diese kleinere Art von Elfen bewegte sich am liebsten in der Luft und konnte durchsichtig, beinahe unsichtbar werden.
Oskar hatte nicht gezögert, Lilly zu entführen, als er hörte, dass Elsabe, die schwarzhaarige Hexe mit den blauen Augen, die denen Lillys so sehr glichen, sie zurück in die Erde schicken wollte.
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Richard
Richard stand an einer der vielen tausend Öffnungen, die in der Felsenburg die Fenster ersetzten. Schmale hohe Schlitze in meterdicken Mauern, die nur wenig Licht in die Räume fallen ließen.
Er musste ein Stück in den Lichtschacht hineinkriechen, um nach draußen blicken zu können. Senkrecht unter ihm fielen die Mauern in die Tiefe und vereinten sich mit dem Fels, auf dem sie erbaut waren.
Grauer Fels, hart, abweisend und kalt.
Das Bauwerk glich der Burg über der Erde, die das Portal zur Schattenwelt, dem Fürstentum seines Vaters Leathan darstellte. Allerdings war dieses hier viel gewaltiger. Es war groß wie eine Stadt.
Richard hatte nicht die leiseste Ahnung, wie viele Räume, Hallen und Kammern es hier gab. Er dachte an die Ausflüge, die er als kleiner Junge unternommen hatte, um die Größe seines Zuhauses zu erkunden.
Es war ihm nicht gelungen, die Gemächer, Versammlungsräume und Säle zu zählen. Immer wieder hatte Nathan, sein alter Lehrer, ihn gefunden, wenn er sich hoffnungslos verlaufen hatte. Der riesige Elf war der Haushofmeister seines Vaters. Richard liebte und bewunderte diesen Mann.
Nathan hatte ihm alles beigebracht, was er konnte. Er hatte ihn Reiten und Fechten gelehrt, ihm gezeigt, wie man mit Pfeil und Bogen umging. Und der kleine Junge mit den dunklen Locken und den hellen Augen war, nicht zuletzt aus Zuneigung zu ihm, ein gelehriger Schüler gewesen. Er war ein hervorragender Reiter und einer der besten Schützen geworden, die Nathan je unterrichtet hatte.
Richard hatte geglaubt, dass Nathan alles wüsste, aber auch er konnte ihm keine Auskunft über die Anzahl der Räume geben.
Die hohen Wohntürme waren bevölkert von allen Wesen der Schattenwelt, die seinem Vater dienten. Wie in einem Bienenstock war es niemals still hier.
Fackeltragende ungeschlachte Trolle eilten durch die langen nachtschwarzen Flure. Sie sorgten dafür, dass die Kreaturen, die nicht wie die Dunkelalben mit Katzenaugen geboren worden waren, ihren Weg durch diese Düsternis finden konnten.
Es gab Zwerge und Kobolde.
Es waren nicht die Zwerge der Lichten Welt, die unter der Erde nach leuchtenden Edelsteinen gruben. Hier waren sie Diener der Hexen und Feen, wie auch die Kobolde und Trolle. Mit ihren spitzen behaarten Ohren, den runden wimpernlosen Augen und den stark ausgeprägten O-Beinen, die in pelzigen Füßen mit Krallen endeten, sahen die Kobolde aus wie seltsame Tiere.
Es gab sogar einige der sich ewig drehenden Derwische. In ihren schneeweißen Gesichtern, kohlschwarze Augen ohne Pupillen
Sein Vater konnte die Kerle nicht leiden, aber für die Übermittlung von Nachrichten und geheimen Dokumenten eigneten sie sich gut. Solche Aufgaben erledigten sie zuverlässig und mit ihren unaufhaltsamen Drehungen bewegten sie sich schneller vorwärts als jeder Troll oder Kobold.
Es waren die weißen Derwische, deren größter Wunsch es war, wieder an einem Fürstenhof dienen zu dürfen. Derwische waren nirgendwo in der Anderswelt beliebt. Sie mochten Intrigen und hintertückische Angriffe ohne Sinn und Verstand.
Sie drehten sich in ihren weißen Gewändern unentwegt um sich selbst und die Glöckchen an den Säumen bimmelten bei jeder Bewegung. Der helle Ton war irritierend und brachte einen fast um den Verstand. Aber dieser Ton wies auch zu jeder Zeit darauf hin, wo sich diese unangenehmen Kerle aufhielten.
Vor Jahrhunderten waren sie verdammt worden, im ewigen Eis zu leben, nachdem sie den Versuch unternommen hatten, die damaligen Herrscher zu stürzen. Die Wenigen, die bei der Eisschmelze nicht ertrunken waren, hatte Leathan aufgenommen.
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