Mit gelben langen Schnäbeln suchten sie nach Fröschen, Schlangen und kleinen Säugetieren. Ihre rosafarbenen Beine trugen sie mühelos durch das hohe Gras und über den feuchten schlammigen Boden.
Maia dachte an das Verzauberte Tal, das in einiger Entfernung von Leathans Festung existierte. Unermüdlich und wachsam schwebte ein gewaltiger tiefschwarzer Kondor darüber. Kein Ort in der Anderswelt könnte schöner sein. Das Tal lag zwischen zwei Gebirgszügen und Maia hatte es mit einem starken Zauber geschützt. Nicht einmal Leathan wusste davon. Es war leicht gewesen, dieses kleine Paradies vor Leathan zu verbergen.
Ihr Sohn hatte sich immer lieber über der Schattenwelt aufgehalten. Mit allen Mitteln hatte er versucht, die Macht auch über die Lichte Welt zu gewinnen. Also lag es nahe, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Hätte er das Tal entdeckt und versucht hineinzugelangen, es wäre ihm nicht gelungen.
Dort wären Lilly und Oskar sicher vor den Bewohnern der Festung und dem Labyrinth. Eines Tages, träumte Maia, würde von diesem Zaubertal aus die dunkle Welt schöner werden. All ihre Macht würde sie einsetzen, um das zu bewirken. Es war jetzt schon schön und farbig. Etwas ganz Besonderes in der Schattenwelt.
Die Quellgeister dort waren stark, aber noch nicht stark genug. Es gab noch zu wenig Feen und Elfen.
Sie alle hüteten ein Geheimnis.
Es gab etwas, das so mächtig war wie das Zeichen der Macht, das wunderschöne Medaillon, das Magalie inzwischen trug.
Von diesem Geheimnis wussten nur ihre Schwester, die alte Herrscherin, die es ihr anvertraut hatte, und natürlich Nathan. Sie sah ihre beiden jungen Besucher an und fragte sich, ob es richtig war, sie dort hinzuschicken.
Auch Elsabe kannte das Verzauberte Tal, aber nicht das Geheimnis, das sich dort verbarg.
Sie musste mit ihr reden. Elsabe würde verstehen, dass Lilly mit ihrem Ungehorsam die Lichte Welt vor Leathan gerettet hatte. Sie müsste Gnade vor Recht ergehen lassen. Lilly war geflogen, was den jungen Hexen streng verboten war. Aber sie hatte es getan, um Magalie das Zeichen der Macht zu bringen, das Faith Leathan abgenommen hatte. Sie hatte es auch getan, um Faith vor dem Dunkelalb zu retten.
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Markt in Waldeck
Der Markt, der jeden Samstag auf dem Rathausplatz in Waldeck stattfand, wäre nicht vollständig gewesen ohne den Stand im Frühjahr mit seinen ersten zarten Sträußen.
Im Sommer gab es dort süß duftende Freilandrosen mit dicken schneeweißen Knospen, die, wenn sie sich öffneten, einen Hauch von Rosa zeigten. Im Herbst lockten dort die köstlichsten Äpfel von allen.
Die alte Frau, die drei Mal im Jahr hinter dem Holztisch hockte, hatte ein freundliches Gesicht und ihre grünen, merkwürdig jungen Augen blitzten spöttisch, wenn sie sah, wie die Kundinnen sich um ihre Waren rissen. Sie war ein paar Jahre zuvor aufgetaucht, war die Erste, die in der Frühe ihren Stand aufbaute und verschwand, ohne dass jemand wahrnahm, wie sie ihren Stand abräumte, bis sie ein paar Monate später wieder erschien.
Wie immer ging Dr. Dr. Schrader, nachdem er Faith noch einmal untersucht und aus der Krankenstation entlassen hatte, über den Markt nach Hause. Heute war sie wieder da, die Frau mit den grünen Augen. Er kaufte gern bei ihr. Sie wusste viel über Heilkräuter und ihre Wirkung und er bewunderte ihre Rosen. Sein eigener kleiner Rosengarten war schon eine Pracht, aber mit den Rosen an diesem Stand konnte er nicht mithalten. Ihr süßer Duft erfüllte, lange bevor man den Stand erreicht hatte, die Luft.
Für die Rosen war es jetzt noch zu früh. Heute gab es zarte Akeleien in allen Farben.
„Wie geht es Faith?“
Die Frage kam ganz unbefangen, als er an ihrem Stand ankam.
„Es geht ihr gut, ich habe sie heute entlassen.“
Der Arzt fragte sich, was in ihn gefahren sein mochte. Niemals hätte er auf diese Frage antworten dürfen. Schließlich gab es so etwas wie die ärztliche Schweigepflicht.
Aber von diesen Augen ging etwas aus, dem er sich nicht entziehen konnte. Er sah das zufriedene Aufblitzen in den grünen Augen und fragte sich plötzlich verwirrt, ob sie oder er überhaupt gesprochen hatten. Hatte das Gespräch nicht nur in seinem Kopf stattgefunden? Woher kannte sie den Namen des Mädchens?
Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit kaufte er nur einen Strauß zarter blauer Akeleien. Heute ließ er sich auf kein Gespräch mit ihr ein. Er wandte sich irritiert ab.
Amüsiert sah die alte Frau hinter ihm her. Er hatte ganz vergessen zu bezahlen. Aber was sollte sie in ihrer Welt schon mit dem wertlosen Geld der Menschen. Sie hatte erfahren, was sie wissen wollte.
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Faith’ Entschluss
„Das kannst du nicht machen.“
Ängstlich sah Lisa Faith an. Die beiden Mädchen saßen in Lisas Zimmer im Internat. Lisa hockte mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett. Die Arme hatte sie um die Knie geschlungen, als ob sie sich schützen wollte vor dem, was sie hörte. „Das ist viel zu gefährlich. Du bist gerade erst Leathan entkommen, was glaubst du, was er mit dir macht, wenn er dich erwischt? Nein, du kannst nicht in die Anderswelt zurück. Das lass ich nicht zu.“
„Was willst du denn dagegen tun?“ Faith verzog die Lippen zu einem halben Lächeln. Auch ihr war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, wieder in die Welt, aus der ihre Mutter kam, hinüberzugehen. „Ich muss zurück, Lisa.“
Faith hatte vergessen, dass sie ihre Mutter angegriffen hatte und tief im Innern spürte sie die Gewissheit, dass ihr Vater wohlbehalten zu ihr zurückkehren würde, so wie Magalie es gewünscht hatte. Aber sie vermisste Richard. Lilly hatte ihr geschildert, was im Hof von Leathans Burg vorgefallen war, nachdem sie selbst geflüchtet war.
Weil er glaubte, Richard habe ihr zu dieser Flucht geholfen, hatte Leathan seinen Sohn nicht nur brutal gezüchtigt, sondern ihn auch in die Schattenwelt verbannt.
Faith hatte ein schlechtes Gewissen. Sie hatte Richards Hilfe angenommen. Ihretwegen war er schwer bestraft worden. Er besaß nicht einmal einen Schutz, wie sie.
Faith drehte gedankenverloren an dem Mondsteinring, den sie auf dem Mittelfinger ihrer linken Hand trug. Magalie hatte ihr dieses zauberhafte Schmuckstück an ihrem siebzehnten Geburtstag geschenkt. Es sollte sie beschützen und ihr ein wenig von der Zauberkraft der Wesen der Anderswelt geben.
„Nicht, bitte.“
Lisa hatte sich zur Seite geworfen, als Faith begann, den blau schimmernden Mondstein zu drehen. Sie wusste, was es damit auf sich hatte. Derjenige, auf den Faith den Ring richtete, würde für einige Zeit bewegungsunfähig, ohne etwas davon zu bemerken. Ein kleines Stück seiner Erinnerung würde ihm für immer fehlen. Mit Hilfe dieses Zauberringes wollte Faith Richard befreien.
„Sei nicht albern.“
Lisa wurde langsam sauer. „Der Ring wird dir nicht viel helfen. Die Kräfte, die Leathan beherrscht, sind so viel stärker als die, die in diesem lächerlichen Ring wohnen.“
Sie hatte es satt. So lange war sie in der Anderswelt gewesen. Sie und Ben wären fast erfroren bei den schrecklichen weißen Derwischen. Nie wieder wollte sie hinüber in diese Welt, die so unfassbar war wie ein schlechter Traum.
Lisa war weit davon entfernt gewesen zu glauben, dass es eine andere Welt gab als die, die sie jeden Tag umgab. Und obwohl sie in der Lichten Welt gewesen war, wehrte sich immer noch alles in ihr, diese Erfahrung als real zu akzeptieren. Nein, sie wollte das alles vergessen und nun kam ihre Freundin mit der schwachsinnigen Ansage, sich mit dem gefährlichsten Dunkelalb dieser Spiegelwelt anlegen zu wollen, dem sie gerade knapp entronnen war.
Würde sie selbst das auch für Ben tun? Sie liebte ihn, aber… ja, sie würde. Lisa stöhnte entnervt auf. „Aber du gehst nicht allein.“
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Magalie trifft Cybill, die alte Herrscherin.
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