„Vergraulen – du meinst, jemand ist hinter dem Haus her?“
Sissi zuckte die Achseln. „Kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine – schau dich doch um, würdest du Psychoterror verbreiten, um dieses Haus zu kriegen?“
„Dafür würde ich nicht mal den Hörer abnehmen“, gestand Vera kichernd. „Absolut hässlich. Außerdem – das Haus gehört dir doch gar nicht. Wenn du wirklich fliehen solltest, setzt dein Vermieter eben jemand anderen rein, so what?“
„Es sei denn, der andere steckt dahinter...“ überlegte Sissi.
„Und wozu? Um hier nach einem Schatz zu graben?“
„So alt ist das Haus auch wieder nicht“, widersprach Sissi. „Schätze gab´s hier nicht, und Verbrecher haben auch keine drin gewohnt. Bis auf einen Nazi, aber der hat sich bei Kriegsende erschossen.“
„Ha!“, stieß Vera hervor. „Und der hat Kinder, und die wollen nicht, dass die Vergangenheit ihres Vaters bekannt wird!“
„Sehr nett. Nein. Er hatte vier Söhne, und die sind alle im Krieg gefallen. Hab ich von der Nachbarin gehört. Außerdem weiß das mit dem Nazi ohnehin jeder. Wenn hier wirklich noch ein goldenes Parteiabzeichen in die Wand gemauert ist, kratzt das niemanden mehr.“
„Bringt höchstens Unglück“, fügte Vera hinzu und kuschelte sich aufs Sofa, soweit das möglich war. „Oder jemand ist auf die Nachbarin scharf und will ihr nahe sein.“
Sissi kicherte. „Die ist Ende fünfzig und nur am Putzen und Einkaufen!“
Vera sah sie tadelnd an. „Die Arroganz der Jugend! Meinst du nicht, dafür findet sich auch ein Abnehmer? Nicht alle stehen bloß auf uns.“
„Wer steht auch schon auf uns? Solche Fanclubs haben wir auch wieder nicht. Nein, du hast Recht. Trotzdem kann ich mir das auch nicht vorstellen. Dann schon eher, dass dieser alte Knochen mich vertreiben will, weil er Angst hat, dass ich im Winter nicht Schnee räume und er sich die Hüfte bricht.“
„Hört sich irgendwie auch obskur an. Nö, das ist Schwachsinn.“
„Sag ich doch.“ Beide drehten nachdenklich ihre Gläser, bis Vera wieder aufsah. „Ich glaube, wir haben das falsch angepackt. Jemand will dich aus dem Haus haben, das schon, aber es geht nicht um das Haus.“
„Worum denn dann? Um den Garten?“
„Spotte nicht. Nein, es geht um dich. Was würdest du tun, wenn du dich hier nicht mehr sicher fühlen würdest?“
„Woanders hinziehen. Ich finde schon was.“
„Und wohin?“ Sissi zuckte die Achseln. „Wenn es schnell gehen müsste – Appartement, Appartementhotel, Pension, irgendwas eben. Was nützt es jemandem, wenn ich dort wohne? Meinst du, die aus dem Hotel stecken dahinter, weil sie so eine gute Kundin zurückhaben wollen?“
„Nein, das nicht...“ Vera starrte grübelnd vor sich hin, dann hob sie wieder ruckartig den Kopf. Das machte sie immer, wenn ihr eine neue Idee kam, fiel Sissi auf. „Zu wem würdest du flüchten, wenn du Angst hättest?“
„Flüchten?“ wiederholte Sissi ratlos. „Du meinst so was wie Mama, hilf mir ?“
Vera nickte. „Also, zu meiner Mutter jedenfalls bestimmt nicht“, erklärte Sissi scharf. „Die würde mir ja doch nur erklären, es sei alles meine Schuld, weil ich meine Ehe so in den Sand gesetzt habe. Da fürchte ich mich doch lieber hier. Ach, vergiss es – mehr als diese albernen Anrufe und dieser eine halbherzige Einbruchsversuch war´s doch gar nicht.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. In allen Büchern, die ich über so was gelesen habe, steigert sich das Unheimliche. Es muss ja albern anfangen, sonst bleibt bis zum schauerlichen Finale nicht mehr genug Spielraum.“
Sissi warf Vera einen gereizten Blick zu. „Du hast ein Gemüt wie ein Fleischerhund. Und was liest du eigentlich für ein Zeug?“
„Naja... Mary Higgins Clark und solche Leute... und dann die ganzen Filme, wo Leute das Wochenende in einem einsamen Landhaus verbringen, und am Ende ist bloß noch die junge Heldin übrig, und die hat fast den Verstand verloren... sorry.“ Sie lächelte reuig.
„Du bist echt doof! Außerdem spukt es hier nicht. Gespenster schnaufen nicht so laut in den Hörer, und sie würden auch die Alarmanlage nicht auslösen. Dir geraten die Genres durcheinander.“
„Ja, mag sein – aber trotzdem glaube ich nicht, dass jemand so was macht und dann einfach damit aufhört, bloß weil es nichts bringt. So einer kann bestimmt nicht glauben, dass er keine Wirkung erzielt. Lieber greift er zu stärkeren Mitteln.“ Sissi wurde wütend. „Jetzt bring nicht auch noch den psychopathischen Serienkiller ins Spiel – die Krimis kenne ich selbst, danke. Willst du eigentlich um jeden Preis, dass ich heute Nacht Alpträume kriege? Vorhin hattest du außerdem eine ganz andere Theorie – als du mit meiner Mutter angefangen hast.“
„Was?“ Vera, in Serienkillertheorien gefangen, überlegte und brauchte etwas, bis ihr ihre Theorie von vorhin wieder eingefallen war. „Ja, ich dachte an Hubert.“
„An Hubert ? Warum sollte er? Er ist zwar ein Idiot, aber albern war er eigentlich nie.“
„Naja... du hast doch gesagt, er wollte dir verzeihen, oder? Und du hattest kein Interesse.“
„Und?“ Das kam schärfer heraus, als Sissi es beabsichtigt hatte.
„Ich dachte nur – dass du dich in Gefahr vielleicht an seine breite Schulter flüchten sollst – sehen, dass du es alleine eben nicht schaffst...“
„Hm...“ Sissi überlegte, in ihr fast leeres Glas starrend. „Also, das erste ist Quatsch, tut mir Leid. Hubert ist nicht der Typ, an dessen Schulter man sich flüchten kann. Aber der Typ, der es ja gleich gesagt hat, der ist er schon. Und wenn er mir dieses großzügige Angebot macht und ich lehne es schnöde ab... nein“, sagte sie dann und setzte sich energisch auf. „Die Reihenfolge stimmt nicht, er hätte ja schon vor seinem Anruf wissen müssen, dass ich nein sage. Und so weit reicht seine Phantasie nicht. Ihm sinken doch alle Frauen dankbar in die Arme."
„Komisch“, meinte Vera schon etwas träge, „wenn er schon Gottes Geschenk an die Frauenwelt ist, wieso kann er sich dann so leicht vorstellen, dass du fremdgehst?“
„Männer und Logik?“, schlug Sissi vor und stand auf. „Komm, lassen wir´s gut sein.“ Als Vera gegangen war und die Alarmanlage wieder vorschriftsmäßig blinkte, alles verriegelt und versperrt war und Sissi schon im Bett lag, dachte sie über diese Option noch einmal nach. Hubert? Aber das passte gar nicht zu ihm. Oder doch?
Peter hasste Pressekonferenzen, dabei erfuhr man fast nie mehr, als die Leute einen wissen lassen wollten. Und die Konkurrenz bekam genau das gleiche zu hören. Ein Interview unter vier Augen brachte da ungleich mehr. Aber wenn Irrgang ihn hierhin scheuchte, musste er wohl froh und dankbar sein: Wenigstens war es Politik – oder etwas Ähnliches.
In den letzten Tagen hatte er Schultheater, eine Hundeausstellung, zwei Auffahrunfälle (ausgeschmückter Polizeibericht) und eine Diskussion des Pfarrers von St. Korbinian mit einem Medienfuzzi über den Verfall moralischer Werte gehabt und ziemlich intensiv bereut, dass er nichts Anständiges gelernt hatte, Metzgereigehilfe zum Beispiel. Oder Tankwart.
Dagegen war doch eine Pressekonferenz, die Schmieder und Richter gemeinsam gaben, direkt ein aufregendes Ereignis!
Peter hatte immer schon gewusst, dass er nicht Lokalreporter bleiben, sondern entweder Politik oder – eindeutig zweite Wahl – wenigstens Kriminalfälle zu seinem Spezialgebiet machen wollte. Außerdem wollte er nicht beim MorgenExpress bleiben – dieses beschränkte Provinzblatt! – sondern eines Tages bei einem überregionalen Politikmagazin arbeiten, und da kam eigentlich nur eine einzige Redaktion in Frage. Einmal, als er die Privatgeschäftchen eines Stadtrats aufgedeckt und an die Öffentlichkeit gebracht hatte, hatte er sich schon fast am Ziel seiner Wünsche gewähnt; Kollegen des verehrten Magazins hatten ebenfalls über den Fall berichtet, sich sogar mit ihm besprochen (Irrgang hatte geknurrt), aber das erhoffte ehrenvolle Angebot aus Hamburg war ausgeblieben.
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