„Was? Der traut sich was!“
„Der hat doch bis heute nicht kapiert, was er gemacht hat. Stell dir vor, er wäre großmütig bereit, mir zu verzeihen!“
Vera lachte schallend los. „Was will er dir verzeihen? Dass er dich auf eine falsche Anschuldigung hin sofort rausgeworfen hat?“
„Genau. Er glaubt ja immer noch, dass Frajos Behauptung stimmt. Ich hab natürlich gesagt, kein Interesse...“
„Blöder Hund. Aber Sissi, sogar du musst zugeben, es gibt auch noch bessere Kerle.“
„So wie deinen Ulf, was?“ Sissi betrachtete zufrieden die Pizza, die soeben vor sie hingestellt wurde. „Zum Beispiel.“ Vera attackierte ihre Cannelloni, nachdem sie noch kräftig Parmesan darüber gestreut hatte. „Und was ist jetzt mit dem Knaben, den du auf der Fete aufgetan hast? Ich hab vorhin genau gemerkt, dass du mir ausgewichen bist!“
Sissi grinste schief. „Viel ist da nicht. Er ist ganz nett, das schon.“
„Was macht er?“
„Öffentlichkeitsarbeit bei free.systems . Sonst weiß ich noch nicht so viel über ihn.“
„Noch zu haben?“
„Keine Ahnung. Vera, ich suche wirklich keinen zum Heiraten. Das hatte ich schließlich schon mal. Und ich habe Bernd nur auf dieser Fete getroffen und seitdem einmal mit ihm telefoniert. War ganz lustig. Ach ja, und heute wollte er mich auf irgend so einen Empfang mitnehmen, aber da war ich nicht so scharf drauf.“
„Sissi, spinnst du? Du hättest mit ihm weggehen können? Und stattdessen futterst du mit mir Pasta?“
„Pizza“, verbesserte Sissi und feixte. „Ich mache mich eben rar. Und außerdem mache ich das, worauf ich Lust habe. Jetzt krieg dich wieder ein, das heute Abend wäre irgendwas Stocksteifes gewesen – mehr so politische Kreise, glaubst du, ich will den Zweiten Bürgermeister kennen lernen?“
„Woher kennt er den denn?“
Sissi zuckte die Achseln und kaute genussvoll. „Es geht das Gerücht, dass die Stadtverwaltung ihre Finanzsoftware auf free.systems umstellen will. Na, und als Pressefuzzi... So was, denke ich. Aber wenn es dich beruhigt, wir gehen am Montag in die Neue Galerie, zu dieser Eröffnung der Klimt-Ausstellung. Soll zwar nicht so toll sein, aber du siehst, ich bin ganz brav.“
Vera nickte mit vollem Mund und kaute dann heftig. „Weißt du, ich hab eine komische Erfahrung gemacht. Wenn du mit einem Typen rumziehst, auch wenn er nicht so der absolute Glücksgriff ist, dann tauchen sofort noch ein paar andere auf. Na, und dann hast du gleich die fette Auswahl. Da ist dann vielleicht der Richtige dabei.“ Sissi lachte. „Vera, du bist so süß! Der Richtige ... was guckst du eigentlich für Filme an?“
Vera blieb ernst. „Ich glaube wirklich, dass es irgendwo den Richtigen gibt.“
„Den einen und einzigen?“ Sie nickte heftig.
„Glaubst du, das ist immer der gleiche? Man ändert doch auch seine Vorlieben... Hast du dich nie in einen verknallt, bei dem du heute gar nicht mehr verstehst, was du an ihm gefunden hast?“
„Wer hat das nicht? Aber das war dann einfach nicht der Richtige.“
Sissi aß kopfschüttelnd weiter. Dass Vera so romantisch war? Eine ausgefuchste Finanzexpertin und knochenharte Verhandlungspartnerin? Vor ihrem Wechsel zu Coen & Preuß hatte sie bei einer Investmentbank gearbeitet – erfolgreich. Und träumte von Mr. Right? Kaum zu glauben!
Andererseits hatte Vera sämtliche Folgen von Ally McBeal auf Video...
Zu Hause angekommen, hörte Sissi erst einmal ihren Anrufbeantworter ab. Wieder diese komischen Anrufe: Atmen, Schweigen, Auflegen – obwohl es jetzt hieß Hassfurter und Geigelsteiner. Sie rief Vera, die fassungslos die düstere Täfelung und die Jagdtrophäen betrachtete, und spielte ihr das Band noch einmal vor. Vera schauderte. „Soll das Terror sein? Aber warum sagt er denn dann nichts?“
„Er?“
„Ach komm, Frauen machen so was Blödes nicht.“ Sie grinste. „Die machen anderen Blödsinn, und wenn, ärgern sie ihre Exkerle.“ Sie wurde wieder ernst. „Aber das da – das finde ich gruselig. Und dazu noch diese dunkle Hütte... Mensch, Sissi, gefällt´s dir hier etwa?“
„Unsinn! Du weißt doch, ich wollte bloß was Möbliertes für ein halbes Jahr. Ich fange jetzt an, mir etwas Richtiges zu suchen.“ Das Telefon klingelte, und Sissi fiel ein, dass der Anrufbeantworter noch nicht wieder lief. „Geigelsteiner“, brummte sie in den Hörer. Atmen, Schweigen, Auflegen.
„Was soll das?“, fragte sie dann Vera verzweifelt. „Du hast Recht, er sagt ja nicht mal was Schauriges, etwa, dass er gleich kommt und ein Messer hat. Und wenn ein Mann drangeht, ist es ihm anscheinend auch egal.“
„Lass eine Fangschaltung einrichten“, schlug Vera vor. „Dann haben sie den Kerl schnell.“
„Ich weiß nicht... die Gespräche dauern ja nie lange genug, oder? Braucht man da nicht immer ein paar Minuten?“
„Hast du mal mit der Polizei gesprochen?“
„Ja, nach diesem Einbruchsversuch. Die haben mir ja zum Anrufbeantworter geraten. Ich hab schon überlegt, ob ich den Anschluss abmelde – aber das Internet läuft auch darüber.“
„Das kannst du doch faken, oder?“
„Bitte?“
Vera grinste schlau. Keine Romantik mehr, wenn es darum ging, einen blöden Kerl fertig zu machen! „Pass auf, wir suchen uns irgendeine Nummer, die stillgelegt ist, und nehmen die Bandansage auf. Und das überspielen wir dann auf deinen Anrufbeantworter.“
„Du meinst, die drei Pfeiftöne und die Geisterstimme Kein Anschluss unter dieser Nummer ? Hm – meinst du, das wird was?“
„Probieren wir´s aus. Hast du ein Telefonbuch?“
„Nö. Hier lag eins von 98/99, aber das hab ich weggeschmissen. Brauch ich ja doch nie.“
„Egal, pass auf, wir nehmen eine richtig schöne Schnapszahl, solche Nummern gibt´s nie.“ Sie tippte 111222333 ein und wartete, dann legte sie hastig wieder auf. „Scheiße!“
„Was denn?“
„Hätte ich mir denken können. 111 ist der Katastrophenschutz, dann klickt es gar nicht mehr weiter. Also, so schon mal nicht. Was hast du hier für Anfangsziffern?“
„Keine Ahnung, steht das nicht auf dem Apparat?“
Vera las mühsam 546. „Okay, Waldburg fängt immer mit 54 an... Altstadt mit 24, Leiching mit 74... Probieren wir was mit 53 aus, vielleicht gibt´s da ja nichts.“ Sissi bezweifelte, ob das funktionierte – und das tat es auch nicht: Vera lauschte, stotterte eine Entschuldigung und legte hastig wieder auf. „Grins nicht so! Ich will dir schließlich bloß helfen!“
„Ich grinse doch gar nicht“, behauptete Sissi und wandte sich hastig ab. „Magst du was trinken?“
„Campari Soda“, bestellte Vera und wählte schon wieder. Als Sissi mit den beiden Gläsern aus der Küche zurückkam, sah Vera sehr zufrieden aus. „Hier, unter 555 6789 gibt´s eine Bandansage. Hat deine komische Stereoanlage auch ein Mikro?“
„Stereoanlage? Haha, das ist ein besseres Kofferradio. Aber ein Mikro muss da irgendwo sein...“ Sissi suchte, öffnete alle Klappen, das CD-Laufwerk, das Kassettendeck, das Batteriefach und fand endlich ein winziges und garantiert recht leistungsschwaches Mikrofon – und nach längerem Suchen auch noch eine Kassette, auf der noch Platz war. Sie nahmen die Bandansage auf, hörten sie sich an - toll klang es nicht, aber einigermaßen echt – und überspielten sie schließlich auf den Anrufbeantworter. Dann zog Vera ihr Handy heraus und rief an, lauschte, kicherte und schaltete wieder aus. „Klingt nicht wirklich gut, aber es geht. Verblüffend müsste es schon wirken.“
Sissi bedankte sich für die technische Hilfe und seufzte. „Ich wüsste trotzdem gerne, wer das macht – und warum eigentlich. Du hast schon Recht, wenn mich jemand vergraulen will, müsste er auch mal was Bedrohliches sagen.“
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