„Nicht ohne Genehmigung des Eigentümers!“ Der ältere Beamte wurde allmählich etwas scharf. Er hatte aber Recht, fand Sissi. Dieser Dalberg würde sich bedanken! „Wer hebt schon Wertsachen in Kisten im Keller auf!“, meinte sie also. „Und dieser Dalberg ist wohl auch noch nicht so alt, dass man eine gewisse Demenz annehmen könnte. Ich kenne ihn zwar nicht, aber Sie können sich an das Maklerbüro wenden. Oben habe ich die Adresse.“
„Jetzt ist´s aber genug“, fand der ältere Beamte, „wir sind hier doch nicht das Bundeskriminalamt. Kommen Sie, Hertl, wir schreiben jetzt einen Bericht. Einen kurzen . Und Sie hören auf, hier eine Staatsaffäre zu vermuten.“ Er nickte Sissi knapp zu und schob seinen eifrigen Kollegen die Kellertreppe hinauf.
„Wenn noch etwas vorkommt, dann melden Sie sich bitte wieder bei uns!“
„Das passiert ja automatisch“, antwortete Sissi, „wenn die Alarmanlage wieder bei Ihnen losgeht. Kann ich außerdem noch irgendwas tun, um einen zweiten Einbruch zu verhindern?“
Er drehte sich auf der Kellertreppe nach ihr um. „Anrufbeantworter, Alarmanlage, oben Licht brennen lassen, ein zweites Namensschild...“
„Ja, das weiß ich doch schon. Sonst nichts?“
„Sonst nichts. Und wenn wieder etwas vorkommt, sollten Sie mit Ihrem Vermieter sprechen. Versuchen Sie, die E-Mail-Adresse rauszukriegen.“ Das schien Sissi eine vernünftige Idee zu sein. Schließlich musste sie ihm ja nicht gleich die Ohren – oder besser die Mailbox – voll jammern, aber so für den Notfall...
Halb drei, stellte sie fest, als sie dem Polizeiwagen nachsah; wahrscheinlich würde sie morgen entweder über ihren Akten oder spätestens im Meeting einschlafen. Wenigstens hatte sie eine ziemlich brauchbare Ausrede!
Er hätte sich nicht darauf einlassen sollen, aber sie hatte im ersten Moment so nett und vernünftig gewirkt. Jetzt saß er da, trank Diet Coke mit viel Eis ( No ice nahm hier anscheinend niemand zur Kenntnis) und lauschte notgedrungen.
Shelley hieß sie, war sechsundzwanzig (sowieso viel zu jung für ihn), blond, dunkel braun gebrannt, sportlich und sehr entschieden in ihren Ansichten.
Bei der Vorspeise – Blattsalate ohne Dressing, denn Salate waren gesund und das Dressing leider nicht fettfrei – hatte er alles über ihre Ernährungsgewohnheiten erfahren. Seine vorsichtige Anmerkung, ob Geschmack und persönliche Vorlieben denn für sie gar keine Rolle spielten, stieß nicht auf Verständnis – man aß, um den Körper zu pflegen. Der Körper war schließlich ein Tempel!
Nur schien keine sehr eindrucksvolle Gottheit drin zu wohnen, dachte Valentin schlecht gelaunt und stocherte in seiner Pasta herum. Shelley hatte Pasta verschmäht – Kohlenhydrate waren Gift, und das Öl in der Spaghettisauce natürlich sowieso. Dafür schmeckte die Sauce aber himmlisch, nur waren die Spaghetti a) etwas zu weich und b) viel zu kurz, so dass man sie nicht wickeln konnte. Aber das schien hier ohnehin nicht üblich zu sein.
Shelley aß stattdessen eine gebackene Ofenkartoffel (waren das keine Kohlenhydrate?) mit fettfreiem, glutenfreiem, ungesalzenem Quark. Sah auch absolut geschmacksfrei aus. Frauen, die keinen Spaß am Essen haben, haben auch keinen Spaß an der Liebe . Wer hatte das gesagt? Tucholsky? Keine Ahnung. Heute müsste man das wahrscheinlich sowieso geschlechtsneutral formulieren. Oder war das auf Männer gar nicht anwendbar?
Er fuhr zusammen, aber Shelley hatte gar nicht gemerkt, dass er nicht zugehört hatte. Für sie war das Leben ohnehin kein Spaß, sondern eine ernste Aufgabe, aus der man einen Erfolg machen musste. Erfolg war Glück.
Er unterbrach sie, um sich zu erkundigen, was sie eigentlich unter einem Erfolg verstand. Sie sah ihn perplex an und setzte dann zu einer zunächst stockenden, dann zunehmend flüssigeren Stellungnahme an. Valentin lauschte und kämpfte zerstreut mit seinen Spaghetti. Also, Erfolg bedeutete, einen tollen Beruf zu haben, zu heiraten, Kinder zu bekommen, ein schönes Haus zu haben, die Kinder zu erfolgreichen Menschen heranzuziehen und später mit genügend Geld in Rente zu gehen. Eigentlich klang das ganz vernünftig. Beruf, Privatleben – wünschte er sich denn etwas anderes?
Doch, als Shelley weiter ausholte, merkte er, dass es doch etwas anderes war. Das begann schon beim Beruf: Ein toller Beruf war für sie einer, bei dem sie einen künftigen Ehemann treffen konnte. Valentin erkundigte sich, was sie denn beruflich machte, und es stellte sich heraus, dass sie Empfangsdame bei einem sehr teuren Zahnarzt war. „Ist das interessant?“, fragte er naiv.
„Aber ja. Wissen Sie, mein Chef macht vor allem Überkronungen und Kieferkorrekturen, und da kommen viele erfolgreiche junge Männer hin. Mit schiefen Zähnen kann man doch nichts werden im Leben!“
Das war Valentin neu, aber zeigte ihr gehorsam seine Zähne, hoffend, dass keine Kräuter aus der Sauce dazwischen hingen. Sie nickte billigend. „Ganz anständig. Ein bisschen weißer könnten sie vielleicht sein, da gäbe Ihrem Lächeln etwas Strahlendes, wissen Sie. Wie bei einem Hollywoodstar. Und der Eckzahn da steht ein kleines bisschen schief – mit einer Spange könnte man das-“
„Shelley, ich bin fünfunddreißig und leite eine Firma. Ich laufe bestimmt nicht mit einer Zahnspange herum wie ein pickliger Teenager, da mache ich mich doch lächerlich. Außerdem hat mein Zahnarzt nichts an meinem Gebiss auszusetzen.“
„Ja, sicher – aber das war ja auch in Europa, nicht? Wenn Sie hier Erfolg haben wollen, müssen Sie wirklich perfekt aussehen. Wie das gesunde Leben persönlich. Sie sollten auch öfter lächeln.“
„Warum?“
„Weil das eine positive Ausstrahlung vermittelt, und das ist wichtig. Und Gemeinschaftsgefühl, alle müssen sich einbezogen fühlen.“ Dumm war Shelley nicht, sie schien nur nicht zu merken, wie hohl das alles war.
„Ich kann nicht lächeln, wenn mir nicht danach zumute ist“, wandte Valentin also ein, aber das wurde abgetan.
„Das ist egoistisch. Sie lächeln, um anderen ein gutes Gefühl zu geben.“
„Und was ist mit mir? Ich meine, ich fühle mich doch auch nicht besser, wenn mich die anderen permanent angrinsen.“
„Nein?“
„Nein. Ich fühle mich gut, wenn mein Leben in Ordnung ist, und das ist es nicht.“
„Dann bringen Sie es in Ordnung, sonst werden Sie nie Erfolg haben.“
„Erfolg in welcher Hinsicht?“
„Das hatten wir doch schon! Gute Geschäfte, eine nette Ehefrau, Kinder...“
Valentin seufzte. „So einfach ist das nicht.“
„Ja, weil Sie nicht die richtige Ausstrahlung haben! Positiv ist das Zauberwort! Sie müssen sich mehr bemühen. Und Sie ernähren sich falsch – sagen Sie bloß, Sie wollen auch noch ein Dessert essen?“
„Oh ja“, antwortete Valentin, „das brauche ich jetzt. Ein Stück Apfelkuchen.“
Shelley schüttelte sich. „Apfelkuchen? Mit Sahne womöglich?“
„Nein. Ich mag keine Sahne.“
„Wenigstens etwas. Haben Sie keine Angst um Ihren Cholesterinspiegel?“
„Nein, der ist in Ordnung. Shelley, es gibt auch in Europa Ärzte und Gesundheitschecks, und einmal im Jahr reicht ja wohl, oder? Solange alles im grünen Bereich ist, kann ich doch leben, wie es mir Spaß macht!“
„Spaß!“ Sie winkte wieder ab. „Ein bisschen fun zwischendurch mag ja mal ganz nett sein, aber Sie dürfen doch das große Ziel nicht aus den Augen verlieren – dass Sie aus Ihrem Leben einen Erfolg machen!“
„Ich möchte lieber Freude an meinem Leben haben. Ob später Erfolg auf meinem Grabstein steht, kann mir doch egal sein.“
„Das ist ja morbide!“ Sie beäugte den Apfelkuchen missbilligend, der gerade vor ihn hingestellt wurde. Valentin beschloss, das Thema zu wechseln, weg von seinen Verfehlungen. „Und wie soll Ihr künftiger Ehemann sein? Oder haben Sie ihn schon gefunden?“
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