„Na, was nicht ist, kann ja noch werden“, meinte Peter aufmunternd. Ihr Mann hatte darauf bestanden, das war ja wohl ein Witz! Jeder wusste doch, dass der arme Hund total unter dem Pantoffel stand.
Sie seufzte noch kummervoller, und Peter bedankte sich hastig für das Interview, bevor sie ihm noch erzählen konnte, aufgrund welcher gynäkologischen Probleme der kleine Florian keine Geschwister mehr bekommen würde.
Hätte sie das wirklich getan?, fragte er sich, während er auf seine Verabredung wartete. Wahrscheinlich nur, wenn er von einer Frauenzeitschrift gekommen wäre. Tränendrüse... Da kam sie schon, sichtlich erleichtert. „Miriam spielt mit zwei sehr netten Mädchen und hat mich ganz lässig weggewunken. Tja, ich schulde Ihnen einen Döner, oder?“
„Wie man´s nimmt. Im Interview hat sie´s dann doch zugegeben.“
„Das gilt nicht, wir haben wegen der Rede gewettet.“ Sie warf einen spöttischen Blick auf die Breitl, die gerade von zwei anderen Journalisten befragt wurde und sicher wieder die Dosenpfandgeschichte zum Besten gab, wie Peter den Gesten zu entnehmen glaubte.
„Kommen Sie, ich muss bald zur Arbeit.“
„Wo arbeiten Sie?“
„In der Rathausbuchhandlung, halbtags. Ich heiße übrigens Carola Klein.“ Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. „Peter Lachner.“
Carola bestand darauf, die Döner zu zahlen, und sie schlenderten, ab und an abbeißend und sich Tzatziki aus dem Mundwinkel wischend, Richtung Markt.
Er fand sie nett. Rein äußerlich nicht sein Typ (zu klein und zu „fraulich“), aber mit gesundem kritischen Urteil über die Lokalpolitik und trockenen Humor gesegnet. Als sie im Gespräch ihren Freund erwähnte, verspürte er so etwas wie Erleichterung und schalt sich im Stillen sofort einen eingebildeten Esel – wer war er, dass alle Frauen sofort hinter ihm her sein sollten?
Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und Carola versprach, nach dem Bericht über die Kindergarteneröffnung Ausschau zu halten.
Peter eilte in die Redaktion zurück, um den Artikel zusammenzuhauen und dann mit frischen Tapes die Damen und Herren – wohl eher nur Herren – der Local Agenda zu interviewen.
Die Local Agenda war eine Art Privatclub von jungen Unternehmern, die sich von der traditionellen Mittelstandsvereinigung nicht so recht vertreten fühlten – hauptsächlich IT-Branche, aber auch Petersen von XP gehörte dazu und einige leitende Angestellte größerer Firmen. Frischer Wind und gesunder Menschenverstand, danach schienen sie zu handeln. Bis jetzt allerdings hatten sie hauptsächlich ihr eigenes Netzwerk aufgebaut, das schon eine beachtliche Konkurrenz zum traditionellen Filz in Leisenberg darstellte. Peter brannte darauf, zu erfahren, was diese Leute von Schmieder, Richter und Breitl hielten.
Der Umschlag musste dort sein, da waren sie sich ganz sicher. Dort, wo sie vorher gesucht hatten – nicht vorsichtig genug, der Inhaber hatte prompt Anzeige erstattet, aber natürlich war dabei nichts herausgekommen – war er jedenfalls nicht gewesen, da hatte ihre Quelle offensichtlich versagt. Oder die Informationen waren nicht mehr aktuell genug gewesen.
Natürlich hatten sich auch jetzt wieder ungeahnte Schwierigkeiten aufgetan: Zunächst hatte es geheißen, das Haus stehe leer, aber sorgfältige Observation hatte zutage gefördert, dass das nicht stimmte. Wieder ein Stolperstein! Aber länger warten konnten sie auch nicht, dazu war der Inhalt des Umschlags wirklich zu brisant.
Er las sich die Liste durch: Das zweite Foto zeigte wieder die beiden Uniformträger, aber dieses Mal mit einer weiblichen Leiche. Wessen Leiche das war, wusste er nicht, und er war sich ziemlich sicher, dass er es auch gar nicht wissen wollte. So etwas war bestimmt ungesund.
Ungesund war das Foto auf jeden Fall auch für die Karrieren der beiden Uniformträger – da konnten sie sich bestimmt nicht so schnell wieder rausreden.
Als sie sich gerade mit dem klemmenden Türschloss abmühte (wieso klemmte das eigentlich seit Neuestem dauernd?), hörte sie, wie drinnen das Telefon klingelte. Eigenartig – wer hatte denn die Nummer? Vera, Nadine und dieser komische Seidenaber wussten nur ihre Handynummer; der Festnetzanschluss lief ja auch gar nicht auf ihren Namen. Eigentlich hatte sie geglaubt, das Telefon sei gar nicht angeschlossen. Nun, ganz offensichtlich doch, so penetrant wie es klingelte! Endlich hatte sie die Tür auf, ließ all ihren Kram fallen, warf die Tür zu und stürzte an den Apparat. „Hassfurter?“
Schweigen am anderen Ende, dann ein leises Klicken. „Arschloch“, schimpfte Sissi in den toten Hörer, „wenn du dich verwählst, könntest du dich ja wenigstens entschuldigen!“ Sie knallte den Hörer auf die Gabel.
Naja, vielleicht hatte er damit gerechnet, Dalberg oder Freudenreich zu hören, entschuldigte sie ihn (oder sie?) später, als sie ihre Einkäufe in die Küche schleifte und verräumte. Aber dann hätte er ja wohl nachfragen können!
In den letzten beiden Wochen hatte sie sich eigentlich ganz nett eingewöhnt, aber zeigen mochte sie diese Behausung doch lieber niemandem. Vera platzte vor Neugierde, aber Sissi war entschlossen, sich mit ihr lieber in der Stadt zu treffen und ihr, wenn überhaupt, das Haus erst zu zeigen, wenn der Alkohol einen freundlichen Schleier über die Hirschgeweihe und die düstere Täfelung gelegt hatte.
Nadine hatte bisher nur ins Handy gejammert, sie hatte da nämlich so einen undefinierbaren Rückenschmerz, vielleicht Ischias oder ein Bandscheibenvorfall. Jedenfalls würde sie über kurz oder lang im Rollstuhl sitzen und Holger würde sie verlassen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Holger ja überhaupt, er hatte so gar kein Verständnis für sie und ihre zarte Natur, wie ja alle Männer, wenn man es genau nahm. Rücksichtslos bis dorthinaus, man musste sich ja nur anschauen, wie Hubert mit Sissi umgesprungen war, einfach em-pö-rend! Sissi grinste, während sie die Gurke schälte und nach einem Hobel suchte. Keiner da, wie zu erwarten.
Nadine fand alle Männer immerzu empörend, vor allem Hubert – das freilich zu Recht – und ihren eigenen Holger, der eigentlich eine Engelsgeduld mit ihr hatte und sie auf das Netteste umsorgte. Bis Nadine bei einem Treffen im bequemsten Sessel installiert war, ein Kissen ihren Rücken stützte und sie auch garantiert keinen Zug verspürte, das konnte dauern. Und bis sie das richtige, stille, aber nicht zu stille Mineralwasser hatte, dauerte es noch länger.
Nadine war schon eine Nummer! Aber sie tat das alles nicht, um Holger herumzuscheuchen, sie glaubte wirklich, eine zarte Konstitution zu besitzen, und nur Sissi durfte ihr ab und zu sagen, ihr fehle gar nichts außer einem Tritt in den Hintern. Dann pflegte Nadine zart zu kichern und noch etwas pflegebedürftiger dreinzuschauen.
Sissi hackte die Gurke mit dem Messer in Scheiben und kippte einen Beutel Dressing darüber, ließ alles etwas ziehen und brach eine Baguettesemmel auseinander. Ein reichlich frugales Abendessen, aber Vera hatte heute Walnusslebkuchen ins Büro mitgebracht, und die wollten abgebüßt sein.
Sobald sie alles auf dem Couchtisch arrangiert und den MorgenExpress aus der Tasche gezogen hatte, klingelte ihr Handy. Typisch! Mürrisch ging sie dran, denn jetzt wollte sie wirklich essen und Zeitung lesen.
„Elisabeth?“
Nur einer nannte sie Elisabeth!
„Hubert? Was willst du denn noch? Ich denke, du bist heilfroh, wenn du von mir nie wieder etwas hörst? Nicht, dass es mir so viel anders ginge, übrigens.“
„Naja... was sagt man nicht alles im ersten Zorn – berechtigten Zorn...“
„Schon darüber ließe sich streiten, aber wozu noch. Was willst du? Ich werde doch nicht Gott behüte irgendeins deiner Geschenke mitgenommen haben? Das täte mir Leid. Sag mir, was es ist, und ich schicke es mit Kurier.“
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