„Also hat er dich provoziert und hätte damit rechnen müssen, dass du so reagierst. Dann hat auch er sein Schicksal selbst gewählt.“
Ich fing Elias’ Blick erneut auf und schüttelte leicht den Kopf. „Du kannst das nicht gut reden.“
„Tu ich auch nicht. Ich zeige dir nur eine andere Seite, damit du erkennst, dass es nicht deine Schuld war.“
Ich senkte den Blick auf meine Hände. „Aber es war meine Schuld. Ich habe gezaubert. Selbst wenn ich es aus deiner Perspektive betrachte, war es immer noch meine Magie. Ich wollte nie eine Waffe führen, weil ich niemanden verletzen wollte. Ich bin kein Mensch, der mit Gewalt Gefechte schlägt, und was habe ich jetzt getan? Ich habe als Waffe benutzt, was ich nie als solche gesehen habe. Du hast keine Ahnung, Elias.“
„Dann erklär es mir“, bat er, nahm meine Hand und drückte sie leicht. „Ich will es verstehen.“
Ich atmete tief ein und wieder aus. „Mein Leben ist so verkorkst. Alles war gut, bis meine Magie mir mein Leben verdreht hat. Es war alles wunderbar. Weißt du, wie man meine Macht nennt?“
„Mentalmagie.“
„Auch. Aber sie hat noch einen anderen Namen. Fantasie.“
Er runzelte die Stirn. „Fantasie? Die hat doch jeder.“
„Ja, aber in meinem Fall hat sie auch etwas Magisches. Deshalb bin ich Hüterin geworden. Ich kann Dinge, die ich mir vorstelle, real werden lassen, weil meine Vorstellungskraft so stark und detailgetreu ist. Wenn ich an etwas denke, kann ich dieses Bild echt werden lassen. So funktioniert meine Magie. Das geht ganz ohne Mana oder Spruch. Ich muss nur daran denken, es mir vorstellen und es wird real. Dafür brauche ich Fantasie.“
Er musterte mich nur abwartend. Sein Blick verriet mir aber, dass er mehr wissen wollte.
„Viele Leute haben es nicht verstanden. Sie dachten, ich sei verrückt und hätte zu viel Vorstellungskraft. Sie wussten nichts von Magie oder dass ich jemand Besonderes werden sollte. Für sie war ich einfach ein Kind mit zu viel Vorstellungsvermögen. Eben nicht ganz richtig im Kopf. Sie haben versucht, mir das auszutreiben, indem sie mich in ein Irrenhaus gesteckt haben. Sie wollten mir nehmen, was mich ausmacht, haben mir meine Zeichensachen weggenommen und mir Medikamente gegen meine angeblichen Halluzinationen gegeben. Doch ich habe es nicht zugelassen. Ich habe mich geweigert, mir meine Fantasie nehmen zu lassen, denn sie war das Einzige, was ich noch hatte. Ohne sie bin ich nichts. Sie ist sozusagen der wichtigste Teil von mir.“ Ich stand auf, holte meinen Skizzenblock und reichte ihn an Elias. „May kam zu mir und brachte mich hierher. Sie und die anderen Professoren erzählten mir, was ich bin und erklärten, dass es gut so war. Und endlich hatte ich wieder das Gefühl akzeptiert zu werden. Ich lernte mit meiner Fantasie, mit meiner Macht, umzugehen. Ich lernte, wie wunderbar sie ist.“ Ich stoppte in meiner Erklärung und Elias schaute auf.
Er hatte in dem Block geblättert und horchte auf, als ich verstummte. „Aber?“, fragte er leise, als wüsste er die Antwort schon.
„Aber jetzt habe ich gelernt, dass sie nicht wunderbar ist. Sie ist gefährlich und tödlich, weil ich sie nicht richtig einsetzen kann. Weil ich nicht in der Lage bin, sie richtig einzuschätzen und so zu nutzen, wie es ein richtig ausgebildeter Hüter tun würde. Aber ohne sie bin ich nichts. Sie ist, was mich ausmacht. Verstehst du? Ich habe mit dem getötet, was ich bin. Ich kann sie also nicht mal von mir schieben, weil ich ohne meine Fantasie nichts wäre.“
Er legte den Block zur Seite und wandte sich nun ganz mir zu. Sorge stand in seinem Gesicht und sogar etwas Angst.
„Elias, ich glaube, ich kann das nicht. Wisterias Hüterin sein, meine ich. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wie ich deine - eure - Welt retten soll. Ich hatte ein halbes Jahr Ausbildung, ein halbes von sieben! Ich dachte, ich weiß alles über deine Welt. Ich dachte, ich wäre bereit und könnte das schaffen. Ich dachte, meine Macht würde das für mich tun. Aber das ist nicht so. Hüter sind mächtige Magier, wenn sie ihre Macht beherrschen. Das tue ich nicht. Das habe ich jetzt verstanden.“
„Sagst du mir gerade, dass du aufgeben willst?“
„Ich weiß nicht. Ich glaube schon.“
„Das kannst du nicht!“, gab er mir eindringlich zurück.
„Ich werde mehr kaputtmachen, als dass ich helfe. Elias, ich ...“
„Nein. Hör auf“, unterbrach er mich. Seine Stimme war ruhig und bedacht, auch wenn ich die Angst heraushörte. „Du wirst nicht aufgeben! Du bist unsere Hüterin! Du wirst unsere Welt retten! Das ist deine Aufgabe!“, sagte er mit Nachdruck, doch ohne jeglichen Vorwurf. „Fay, du kannst uns nicht im Stich lassen“, fügte er an und suchte meinen Blick.
„Das will ich ja auch nicht.“
„Dann tu’s nicht.“
„Aber wie soll ich helfen? Wie kann ich helfen? Ich kann vielleicht zaubern, aber eben nicht richtig. Ich hab nicht mal den Zauber richtig hinbekommen, der Deaks Kleidung ändern sollte. Jeder richtig ausgebildete Hüter hätte das mit Links gemacht. Und ich stand nicht mal unter Druck.“
„Kein Druck? Wenn dein Freund so krank ist? Nach einem Angriff solcher Klasse? Kein Druck?“ Elias zog die Augenbrauen hoch. „Ich würde sagen, das war genug Druck.“
„Finde ich nicht. Wenn das schon Druck gewesen sein soll, was ist dann, wenn’s hart auf hart kommt? Wenn ich doch einem Magier oder einem Drachen gegenüberstehe? Wenn ich zwischen die Fronten gerate oder wenn die Zeit gekommen ist und ich eingreifen muss, weil Wisteria sonst dem Untergang preisgegeben ist? Das ist Druck.“
Wieder musterte er mich. „Gib nicht auf. Bitte. Ich weiß, dass das alles viel ist, was gerade passiert. Und ich kann mir vorstellen, welcher gewaltigen Aufgabe du dich gegenüber siehst. Aber egal was passiert ist oder passieren wird, du bist nicht allein und wirst das auch nicht allein durchstehen müssen.“
„Ich weiß. Trotzdem weiß ich nicht, was ich überhaupt tun kann.“
„Wenn ich dir verspreche, dass wir gemeinsam einen Weg finden werden und dass wir gemeinsam kämpfen werden, versprichst du mir dann, dass du weitermachst? Dass du nicht aufgibst? Wir brauchen dich. Und ob nun ein halbes Jahr oder sieben ganze, du bist eine Hüterin, unsere . Wir zählen auf dich und helfen dir. Aber bitte mach weiter. Also, wie sieht’s aus? Abgemacht?“
Ich schaute in seine dunklen Augen und sah die Aufrichtigkeit darin. Sein Vertrauen in mich, dass ich ... dass wir es schaffen konnten. Ich nickte. „Abgemacht“, sagte ich leise und schluckte.
Wieder hob er die Arme und zog mich an sich. „Danke, kleine Hexe.“
„Gerne doch“, kicherte ich leise aber bedrückt, an seiner Brust.
Er wuschelte mir durchs Haar und ließ mich los. „Ich muss mich noch für was anderes bedanken. Das habe ich bis jetzt nicht getan. Zumindest noch nicht bei dir.“
Ich runzelte die Stirn. „Ach, für was denn?“
„Für mein Leben.“ Er lachte leise. „Wir hatten uns kurz vorher noch darüber unterhalten, dass nur wenige Elfen so ein hohes Alter erreichen, wie unsere Elder. Na ja, ohne dich und Deaken hätte ich jetzt auch keine Chance mehr darauf. Mit ihm habe ich schon geredet und ihm meinen Dank ausgesprochen, doch bei dir hatte ich noch keine Gelegenheit. Also danke, kleine Hexe.“ Er neigte den Kopf.
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