„Fay!“, rief sie aufgeregt und ich fing sie auf, als sie mir in die Arme sprang. Sofort bemerkte ich den Wachstumsschub, den sie gehabt hatte. Sie schluchzte heftig an meiner Schulter und auch mir liefen Freudentränen über die Wangen. „Du bist wieder da“, hauchte sie dann in mein Ohr und ich ließ sie runter, um sie ansehen zu können. Es fehlte nicht mehr viel und sie würde mich in der Größe einholen. Ein Kopf vielleicht, nicht mehr. Abermals drückte ich sie an mich. Himmel, wie viel Zeit war hier vergangen?
„Ihre Schwester“, hörte ich Itjen leise sagen.
Ich wandte mich zu den Jungs um. „Lia, das sind Itjen und Elias. Jungs, meine kleine Schwester“, stellte ich sie stolz vor.
„So klein bin ich gar nicht mehr“, murrte sie und wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Ich war - für mein Empfinden - höchstens eine Woche fort gewesen und hatte dabei gar nicht bemerkt, wie sehr sie mir gefehlt hatte. Sie und ihre kindlich unschuldige Art.
„Stimmt. Du bist ganz schön gewachsen. Wie lange waren wir denn weg?“, fragte ich und strich ihr über den Kopf.
„Fast sechs Monate.“
Mein Blick schnellte zu den großen Fenstern und tatsächlich schneite es draußen. „So lange? Bei uns waren es nur ein paar Tage“, gab ich ihr niedergeschlagen zurück. „Ich hab so viel verpasst.“
„Nicht schlimm, Fay. Ich erzähle dir alles. Aber erst mal erzählst du mir, was da gerade los war. Die sagen alle, ein Krankenwagen war hier und hat jemanden abgeholt.“ Ihr Blick huschte über Elias und Itjen. „Wo ist Deak?“
„Die waren wegen ihm hier. Er ist krank geworden. Aber sie können ihm helfen“ fügte ich schnell an, denn Lia riss erschrocken die Augen auf. „Er bekommt Hilfe. Alles gut.“
Sie atmete hörbar aus, dann schaute sie zu Elias, der ihren Blick kurz erwiderte und dann mich fragend ansah. „Ist er ein Elf?“, fragte Lia geradeheraus und ich kam nicht umhin zu bemerken, dass eine gewisse Abneigung in ihrer Stimme mitschwang.
„Ja, ist er. Sei nett zu ihm. Er hat Deaken sehr geholfen.“
„Mhh“, raunte sie, musterte ihn argwöhnisch und schaute wieder zu mir hoch. „Er sitzt auf meinem Platz.“
Ich lachte. „Du blöde Kuh. Setz dich doch woanders hin“, giftete ich schwesterlich gemein. Sie verschränkte nur die Arme vor der Brust und sah wieder den Elf auffordernd an. Der seufzte, stand auf und zog Lia den Stuhl zurecht. Sie setzte sich provokativ und würdigte ihn keines Blickes.
„Kommst du mit, was zu essen holen, Elias?“, fragte ich und deutete mit dem Kopf Richtung Ausgabe. Er nickte und folgte mir.
Auf halben Weg schloss er auf und meinte: „Sie mag mein Volk nicht, oder?“
„Sie mag dich nicht“, korrigierte ich ihn und er stutzte.
„Warum denn? Sie kennt mich doch gar nicht.“
„Nein. Aber sie weiß was und zieht eigene Schlüsse daraus.“
„Was weiß sie denn?“
„Ist nicht weiter wichtig“, wich ich aus und schnappte mir ein Tablett. Er musste nicht wissen, dass Elfen schon immer etwas Faszinierendes für mich hatten. Ich bedeutete ihm, es mir gleich zu tun, und auch Elias nahm eines.
Er musterte es. „Ist das Holz?“
„Plastik. Was willst du essen?“
Sein Blick glitt über die Ausgabe. „Was ist das da?“ Er deutete auf ein Stück Tiramisu.
„Das ist eine Art Kuchen. Ein Dessert mit Alkohol und Kaffee für die älteren Schüler.“ Ein Punkt, in dem uns die Professoren echt vertrauten. Immerhin gab es genug Minderjährige hier.
„Alkohol klingt gut.“
Ich lachte. „Na dann nimm es dir.“
„Einfach so? Gibt es hier keinen Wirt?“
„Nein. Du darfst alles essen, was du willst. Ich denke, die schreiben es auf meine Rechnung.“
„Du musst nicht für mich bezahlen. Dann esse ich lieber nichts.“
Wieder grinste ich. „Iss ruhig. Das geht schon klar. Ich weiß auch nicht, wie lange wir hierbleiben. Vielleicht kommt May erst morgen zurück.“
„Ich habe gerade Wildschwein gegessen. Ich komme gut eine Weile ohne was aus“, meinte er und stellte das Tablett wieder ab.
„Wenn du meinst.“ Ich lud zwei Sandwiches, einen Pudding und drei Cola auf meins. „Willst du wenigstens was trinken?“
„Was ist das, was du da hast?“
„Cola. Probier mal, ist echt lecker.“ Ich reichte ihm ein Glas, er roch daran, trank einen winzigen Schluck und verzog das Gesicht.
„Das ist widerlich süß“, meinte er. „Und es hat Blasen drin. Ist das noch gut?“
Erneut musste ich lachen. „Ist es. Keine Sorge, das muss so sein. Aber die haben hier auch Tee und Kaffee.“
„Ich glaube, dann nehm ich lieber einen Kaffee“, meinte er und stellte das Glas wieder auf mein Tablett. Ich holte ihm einen und wir wandten uns zum Gehen. Im Augenwinkel sah ich ihn noch mal einen Blick auf das Tiramisu werfen. Also drückte ich ihm alles was ich trug in die Hand - er musste es kurz ausbalancieren - und schnappte mir das Tablett, was er vorher gehabt hatte, dazu einen Teller mit dem Dessert. Den Kaffee nahm ich ihm auch aus der Hand und stellte ihn mit auf mein neues Tablett, dann ging es zurück zum Tisch. Er folgte mir grinsend. Lias Blick war die ganze Zeit auf uns gerichtet gewesen und sie behielt ihn auf Elias geheftet, als der das Essen abstellte. Ich stellte seine Sachen ebenfalls ab und deutete auf den Platz, auf dem ich sonst saß.
Er zog sich gerade den Stuhl zurück, da räusperte Lia sich. „Das ist Fays Platz.“ Sie hatte die Arme wieder verschränkt und warf dem Elf einen bösen Blick zu. Der schaute fragend zu mir.
Ich schüttelte nur den Kopf. „Passt schon, setz dich. Hier gibt’s genug Stühle.“ Mein Blick ging zu Lia und ich versuchte ihr verständlich zu machen, dass sie sich benehmen sollte. Dann setzte ich mich neben sie und verteilte das Essen.
„Die will ich nicht“, knurrte sie leise, als ich ihr eine Cola hinstellen wollte.
„Seit wann trinkst du keine Cola?“, hakte ich verwirrt nach und sah sie stirnrunzelnd an.
„Ich trinke Cola. Nur nicht solche, an der irgendwelche Elfen dran rumgesabbert haben.“
„Lia! Was soll das denn?!“, tadelte ich sie und riss die Augen auf.
Sie wandte sich mir zu. „Das ist so gemein von dir, Fay!“, fuhr sie mich ihrerseits an. „Du weißt, dass das falsch ist!“
„Was redest du bitte? Was ist denn los mit dir?“
„Mit mir ist gar nichts los! Aber ich sehe, was mit dir los ist!“ Sie streckte den Finger aus und stieß ihn mir schmerzhaft gegen den Arm.
„Was?“ Meine Stimme glitt eine Tonlage höher.
Sie stand wutentbrannt auf, so, dass ihr Stuhl nach hinten umkippte. „Das hätte ich nie von dir gedacht!“, giftete sie mich noch mal an, drehte ab und rannte halb aus dem Saal. Ich konnte nicht mehr tun, als ihr fassungslos nach zu starrten.
Itjen stand auf, kam um den Tisch und stellte ihren Stuhl wieder auf, dann ließ er sich darauf fallen. „Die ist ja drauf“, meinte er trocken und schnappte sich ein Sandwich.
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