Mein Wächter war schon zurück und hielt mein Bündel in der Hand. „So schwer ist er auch wieder nicht.“
„Ich weiß. Aber ich weiß nicht, wo die nächste Person ist, die uns helfen kann. Wir müssen uns vielleicht trennen. Wir können ihn aber auch nicht allein lassen.“
Itjen musterte Deaken, dann nickte er. „Du bist die Hüterin.“
„Also Jungs?“, fragte ich die Elfen und mein Blick flog von einem zum anderen. Ro schluckte und schaute etwas schüchtern und bittend zu Elias.
Dieser nickte. „Ich komme mit.“
„Danke.“ Ich zog die Kette hervor und trat noch ein Stück in den Raum, um genug Platz für die Tür zu haben. Dann hob ich den Schlüssel und zeichnete die Runen in die Luft. Hinter mir konnte ich Elias vor Erstaunen den Atem ausstoßen hören, als der Farbklecks erschien, weiter Wuchs und schließlich die Mooreichentür mit ihren wunderbaren Verzierungen vor uns stand.
Ich wandte mich um, gerade nicht in der Lage die Schönheit der Tür zu bewundern. „Wir können.“ Ro tauschte den Platz mit Itjen, dann hoben mein Wächter und Elias den bewusstlosen Deaken hoch. Sie legten sich seine Arme über die Schultern und hielten ihn zwischen sich.
„Ro, sagst du den anderen, wo wir sind?“, bat ich und er nickte. „Ich weiß nicht, wie die Zeit vergeht, während wir weg sind. Macht euch keine Gedanken, falls es länger dauert. Wir kommen zurück“, erklärte ich und sah ihn eindringlich an, um eventuellen Fragen vorzubeugen.
Er nickte wieder.
An Elias und Itjen gerichtet, fragte ich: „Bereit?“ Auch sie nickten knapp.
Ich wandte mich zur Tür und drückte sie auf. Der Noderaum lag dahinter. Ohne hinzusehen, streckte ich die Hände hinter mich und Itjen ergriff eine. Einen Moment später tat Elias es ihm bei der anderen nach und ich zog beide hinter mir durch die Tür. Drei Schritte später stand ich im Keller unter Weave Mansion und schaute über die Schulter. Hinter den Jungs konnte ich noch sehen, wie die Tür sich schloss, dann löste sie sich auf. Bis auf uns war niemand hier. Also drehte ich mich zurück, ließ die Hände der beiden los und eilte zur Tür, die in den Flur führte.
Die Jungs folgten mir bis zum Fahrstuhl, dann wandte ich mich abermals an meinen Wächter. „Ich brauche meine Karte.“ Er streifte das Bündel unbeholfen von der Schulter und ich zog es von seinem Arm. Nach kurzem Wühlen hatte ich die Karte gefunden, drückte den Ruf-Knopf und ein paar Sekunden später glitten die Türen auf. Elias stieß erneut überrascht den Atem aus, doch ich hatte keine Zeit für Erklärungen. Wir stiegen ein, ich hielt die Karte vor den Scanner und drückte H für die Halle. Die Türen schlossen sich und wir fuhren nach oben. Das kurze, sanfte Rütteln irritierte den Elf sichtlich und ein leises Schmunzeln stahl sich trotz der Lage in meine Mundwinkel.
Itjen grinste breit und frech. „Warte mal ab, Elf“, sagte er nur und fing Elias’ verwirrten fast ein wenig ängstlichen Blick auf, der augenblicklich zu mir schoss, als könnte ich ihm helfen.
„Mach ihm keine Angst, Wächter“, wies ich Itjen zurecht und musste nun ebenfalls grinsen. Der Aufzug hielt an und die Türen glitten wieder auf. Ich sah noch das erneute Erstaunen in Elias’ Augen, dann stiegen wir aus. „Ich geh und hole Hilfe. Wartet hier mit ihm.“
„Ich geh zur Küche und hole Eis. Er verbrennt uns sonst noch mit“, sagte Itjen und überließ Deakens Last allein Elias. Der hielt meinen Freund aufrecht und sah mich abermals hilfesuchend an.
„Leg ihn dort hin und warte. Ich bin so schnell, wie ich kann zurück.“
Er folgte meinem Blick zu einem kleinen Sofa in der Eingangshalle, trug Deaken hinüber und legte ihn ab. Ich rannte in die Bibliothek und hinauf zu den Büros. Ohne Klopfen eilte ich in Mays Räume und hatte so viel Glück, wie ich erhofft hatte. Sie saß an ihrem Schreibtisch und war total in irgendwelche Unterlagen vertieft.
Ihr Kopf hob sich, als ich hereinkam. „Fay? Warum bist du hier?“ Ihr Gesichtsausdruck wechselte von fragend zu wissend, dann zu ängstlich. „Was ist passiert?“, stieß sie aus und stand auf.
„Deak ist krank. Er hat hohes Fieber und braucht Hilfe.“
„Wo ist er jetzt?“, hakte May nach und war schon um den Tisch herum und bei mir.
„Unten in der Halle. Er braucht einen Arzt, May. Dringend!“
Sie nickte und lief los. Im Lauf zog sie ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wählte. Ich rannte ihr nach und hörte sie vor mir reden. Sie musste den Notruf gewählt haben, denn sie schilderte nur kurz was geschehen war, wer Hilfe brauchte und wo wir zu finden waren. Wir rannten beide durch die Bibliothek in die Halle und May wurde noch mal schneller, als sie ihren Bruder auf dem Sofa liegen sah. Ihr Telefon fiel ihr aus der Hand und landete auf dem Marmorboden, als sie vor Deaken auf die Knie fiel.
Dann war sie ganz bei ihm, nahm seine Hand und legte ihre andere an seine Stirn. „Er glüht ja! Was ist denn passiert?“, wollte sie wissen, ohne den Blick von ihm zu wenden. Schnell erzählte ich davon, wie er Fieber bekommen hatte und wie die Elfen versucht hatten, es einzudämmen. Sie hörte zu, war jedoch immer noch nur bei ihrem Bruder. Endlich hörten wir den Krankenwagen vorfahren. Itjen lief zum Portal und ließ die Sanitäter und den Arzt ein. Elias wich zurück, um die Männer in den grünen Overalls vorbei zu lassen. Sein Blick flog zwischen ihnen und ihrem Tun hin und her. Er verengte die Augen zu Schlitzen und beobachtete jeden Handgriff der Sanitäter. Dann holte der Arzt zwei Spritzen hervor und zog etwas aus kleinen Ampullen auf. Er gab es meinem Freund und wies seine Helfer an, ihn für den Transport fertigzumachen. Einer lief wieder hinaus und holte eine Trage.
„Muss er wirklich ins Krankenhaus?“, fragte ich dazwischen.
Der Arzt nickte knapp. „Das Fieber ist zu hoch. Er braucht Flüssigkeit und muss überwacht werden, bis geklärt ist, wo es herkommt.“ Er nickte dem zweiten Sanitäter zu, der sich daran machte Deaken an eine Infusion zu hängen.
Elias trat hinter mich und flüsterte: „Was machen die da?“
„Erklär ich dir später“, flüsterte ich ebenso zurück und griff kurz nach seiner Hand. Er drückte meine, dann trat er wieder zurück. Der dritte Sanitäter kam und sie hoben meinen Freund vom Sofa auf die Trage. Der zweite Helfer hielt schon die Infusion und befestigte sie dann an einer Stange mit Haken. Sie schoben ihn hinaus zum Rettungsauto. Der Arzt sprach kurz mit May und sie nickte.
„Ich werde mitfahren, um vor Ort alles zu klären. Bitte warte hier, Fay.“ Sie sah mich fragend und auffordernd zugleich an und ich nickte zustimmend, dann eilte sie davon, um im Krankenwagen mitzufahren. Das große Portal schloss sich und Ruhe kehrte ein. Ich konnte nichts anderes tun, als die schwere Tür anzustarren. Bis hier war alles so schnell gegangen, dass ich jetzt nicht wusste, was ich tun sollte.
Itjen kam zu mir. „Komm mit“, sagte er und fasste mich am Arm. Ich richtete meinen Blick auf ihn und bemerkte erst jetzt, dass einige Schüler in die Halle gekommen waren, um zu sehen, was da vorging. Es waren nicht viele, also waren wohl entweder gerade Ferien oder es war Wochenende. Ich griff wieder nach Elias’ Hand und zog ihn mit in den Speisesaal. Hier war niemand. Ich lotste die beiden an meinen Stammtisch und setzte den Elf auf Lias Platz. Kaum hatte ich an meine kleine Schwester gedacht, da kam sie in den Saal gestürmt.
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