„Das ist ja die Krux“, lamentierte Frau Klinkert. „Das Handy liegt auch bei den Sachen im Wohnzimmer. Allerdings mit leerem Akku. Wundert mich bei unserer zerstreuten Professorin allerdings nicht. Sie büffelt nämlich augenblicklich für mehrere Prüfungen an der Uni. Sie hat den Kopf wo ganz anders.“
Auf der kleinen Lichtung im Uferwald und am Wegesrand hatten die KTU-Leute sogar noch Akku-Strahler aufgebaut, um noch eine Weile effektiv arbeiten zu können. Es war zwar noch immer genügend Tageslicht vorhanden. Doch das wurde von der mittlerweile tiefer stehenden Sonne so flach über die Berge am Rande des Edertals ausgesandt, dass sogar die Grashalme störende Schatten warfen.
„Das Licht muss hell sein und von oben kommen“, hatte Gerd Steiner bestimmt. Aber geholfen hatte es nicht mehr sehr viel. Und die Männer in den weißen Anzügen waren auch so ziemlich am Ende ihrer Kräfte.
Schweißnass und ausgezehrt saßen sie zu einer Art Abschlussbesprechung auf ihren Klappstühlen am Rüstwagen der KTU und leerten dabei eine Flasche Mineralwasser nach der anderen.
Kriminalkommissar Lukas, an diesem Tag ja Einsatzleiter, bedankte sich bei den Männern für ihre außerordentliche Leistung. „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht“, sagte er. „Aber für mich muss ich sagen, dass ich heute auf das Ergebnis der grausigsten Tat geschaut habe, die mir bisher im Dienst untergekommen ist.“ Die meisten nickten beifällig. Keiner von ihnen wusste, wie lange er die Bilder des heutigen Tages mit sich herumschleppen würde. Auch keiner von den ganz Hartgesottenen.
Wenig später hatten sie zusammengepackt und ihr Fahrzeug beladen. Steiner, Klaiser, der ‚Freak‘ und Rüdiger Mertz waren sich einig, dass für den Tag alles Nötige getan war und man die Fahrt in die jeweiligen Reviere antreten könne. Lediglich das Absperrband musste wegen eventueller Nacharbeiten am nächsten Tag bleiben.
„Ach du heilige Scheiße, was für ein Aufmarsch“, schnaufte Jens Höver, als er mit dem Streifenwagen an einer Wegegabelung hinter Hannas Badestelle ankam. Drei Polizeifahrzeuge und der Wagen von der KTU. Dazu lauter Uniformierte und Männer in Zivil, die gerade einsteigen wollten.
„Naja, das war ja fast zu erwarten nach all dem, was da über Funk kam“, zog er die Stirn kraus. „Pass bitte auf die Typen auf“, bat er Sarah Renner, die auf dem Beifahrersitz saß und darauf achtete, dass Bonnie und Clyde keinen Blödsinn machten.
Die Beamten hatten die beiden Eindringlinge bei den Klinkerts einfach nach dem amerikanischen Gangsterpaar benannt. Denn die beiden, die jeweils mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt hinten im Wagen saßen, zeigten sich nach wie vor nicht bereit, ihre Identität preiszugeben. Und Papiere hatten sie, wie sich herausstellte, auch keine dabei.
Erstaunt und fast verängstigt schauten sie nach draußen. „Was ist denn hier geboten?“, flüsterte der Muskelmensch. „Die werden doch wohl nicht wegen uns hier sein. Um Himmels Willen.“
Höver sprang aus dem Wagen und ging rüber zu den Kollegen. „Grüß Euch. Schlimm, die Geschichte hier, oder?“
„Allerdings. Du machst Dir keine Vorstellung. Eine Riesensauerei. Sei froh, dass Ihr nicht dabei wart“, entgegnete Mertz, der mehr auf den Boden als dem Kollegen ins Gesicht schaute. „Was treibt Euch denn hierher?“
„Wir haben zwei junge Leute hier im Ort festgenommen, die in ein Haus eingebrochen sind und behaupten, sie hätten die dazugehörige Adresse auf Ausweispapieren heute Vormittag etwa hier gefunden. Hier muss irgendwo ‘ne Badestelle sein, an der alle möglichen Klamotten rumliegen. Wir haben die beiden dabei. Die könnten uns das genau zeigen.“
„Das glaube ich jetzt nicht“, schüttelte Rüdiger Mertz den Kopf. „Ihr habt Leute gefangen, die heute Vormittag hier gewesen sein wollen? Hier an dieser Stelle? Warte mal ‘n Moment, Kollege.“
„Ja, aber was ist denn hier eigentlich genau passiert?“, rief ihm Höver hinterher. Doch Mertz hörte schon nicht mehr hin und war mit einem Satz bei Klaisers Audi.
„Macht mal bitte kurz aus“, rief er Klaus zu und bedeutet sowohl ihm als auch Sven Lukas, noch einmal auszusteigen und mitzukommen. Auch die übrigen Beamten blieben und kletterten wieder aus ihren Fahrzeugen.
„Hier, Kripo-Chef Klaus Klaiser kennt Ihr ja. Und das ist Sven Lukas.“
„Kennen wir auch“, meinte Höver und gab beiden die Hand.
„Die können Dir mehr erzählen“, erklärte Mertz. „Aber erzähl Du den beiden am besten noch mal, wen Ihr da dabeihabt und was die auf‘m Kerbholz haben.“
Während Jens Höver die Geschichte in kurzen Zügen wiedergab, ging er gemeinsam mit den Beamten rüber zum Streifenwagen, um ihnen auch gleich Gelegenheit zu geben, die Festgenommenen in Augenschein zu nehmen. Klaus Klaiser schüttelte während des Berichts fortwährend den Kopf und schaute jetzt durch die Seitenscheibe, um das Pärchen anzusehen.
„Das kann ich gar nicht glauben. Oder könnt Ihr Euch das vorstellen? Die zwei bringen eine Studentin um und gehen dann in deren elterlichen Garten, um rumzuvögeln. Nä! Die …“
„Moment“, unterbrach ihn der Kollege, „ hier ist der Mord geschehen? Wir dachten, dass sei unten an der Ederbrücke passiert.“
„Nee. Die Frau wurde heute Nachmittag dort unten in der Eder gefunden, aber ganz offensichtlich da vorne ermordet.“ Klaus zeigte in Richtung der Stelle, an der Blut am Wegrand gefunden worden war. „Dort müssen sich fürchterliche Szenen abgespielt haben. Die SpuSi ist gerade mit ihrer Arbeit fertig.“
„Das ist ja Wahnsinn“, entfuhr es Höver. „Die beiden behaupten, wie gesagt, sie seien heute Vormittag hier gewesen und hätten an der Stelle den Personalausweis einer Studentin aus dem Ort gefunden. Das sollen sie Ihnen am besten selbst erklären“, fuhr er fort, während er die hintere Tür des Wagens öffnete und den gefesselten Mann herauszog.
„Kommen Sie, raus hier.“ Und zu seiner Kollegin rief er rüber: „Sarah, holst Du bitte die Frau auf Deiner Seite raus?!“
Während der ‚Tarzan‘ auf die Füße gekommen und an Lukas weitergereicht worden war, fragte der unverhohlen, „Ey Bulle, was veranstaltet Ihr denn hier für ‘n komisches Trachtenfest?“
„Ich werd‘ Ihnen helfen, ‚komisches Trachtenfest‘“, konterte Sven. „Packen Sie sich schon mal schön warm ein. Bei Mord verstehen wir keinen Spaß. Vor allem nicht, wenn es sich um eine derart grausame Tat handelt.“
Der gefesselte Spaßvogel wurde weiß wie eine Wand. „Mord?“, kam fast tonlos aus seiner Kehle. Hypernervös räusperte er sich und wechselte dabei die Gesichtsfarbe wie ein Chamäleon. „Mord? Seid Ihr wahnsinnig? Ihr könnt uns doch keinen Mord in die Schuhe schieben“, hüstelte er und wollte sich dem Griff des Kommissars entziehen.
Doch der hielt ihn wacker an der Kette zwischen den Handschellen fest und zog dabei leicht an. Dem Träger schmerzten die Gelenke. „Ihr seid doch alle bekloppt“, rebellierte der, „wir bringen doch niemanden um. Hey, Schatz“, rief er seiner Begleiterin zu, die von Sarah Renner gerade aus dem Wagen geholt wurde, „hast Du das gehört? Die Arschlöcher hier behaupten, wir hätten jemanden ermordet.“
„Waaas? Wiiir?“ ‚Bonnie‘ erstarrte. „Ich …, wir …“, stammelte sie, „wir haben doch niemanden umgebracht.“
Auch die Oberkommissarin wurde blass. „Wie? Die sollen das gewesen sein?“
„Wir waren das auch nicht, Ihr Idioten!“, schrie Clyde lauthals.
„Mäßigen Sie sich“, pfiff Lukas den Einbrecher an, der sich wie ein Tanzbär gebärdete. „Sie gehören nun mal zum engsten Kreis der Verdächtigen. Offenbar sind Sie ja wohl schon an diesem Platz hier gewesen und haben so richtig abgeräumt.“ Das mit dem ‚engsten Kreis‘ war wohl mehr ein Versprecher. Die beiden waren bisher die einzigen Verdächtigen.
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