Wolfgang Breuer
Ein Wittgenstein-Krimi
Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.
Wolfgang Breuer
Mords-Stünzel
Ein Wittgenstein-Krimi
Cover: unter Verwendung einer Zeichnung von
Herbert Kleinbruckner-Gautam ( www.bildhauergautam.de)
Rückseite: Foto von Herbert Kleinbruckner-Gautam
Autorenfoto: Fotoatelier Christiane
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eISBN 978-3-96136-022-2
Print ISBN 978-3-96136-021-5
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Sonntag, 12. Juni
Montag, 13. Juni
Dienstag, 14. Juni
Mittwoch, 15. Juni
„Junge, kannst Dü mäa äwe mul helfe, hie dä Ohänga aus’m Dreck ze zieh?“ „Kienhewersch Winfried“ hatte sich an einen jungen Mann gewandt, der gerade dabei war, die Rückseite eines Marktstandes zu demontieren.
Doch der Angesprochene, den er eigentlich für den Junior vom „Schaumwaffel-Willi“ aus Aue gehalten hatte, schaute ihn nur etwas irritiert an. Von dem Wittgensteiner Platt hatte er kein Wort verstanden und fragte: „’tschuidigen’s, wos moanans?“
‚Mist, das iss’n Ausländer’, dachte der Bauer aus Rinthe und wollte gerade abdrehen. Aber der Mann fragte nochmals, diesmal auf Honoratioren-Bayerisch: „Wo-mit-konn-i-Eahnahöij-fen?“
Damit kam etwas mehr Licht ins Dunkel der Konversation. Also versuchte es auch Winfried erneut: „Es wäa schön, wenn De ma mal helfen könntest, hier an mei’m Pferdeanhänga. Ich krich den net aus dem Dreck da raus.“ Das war jetzt Wittgensteiner Hochdeutsch. Der Bayer lächelte und kam näher. Ging doch!
Benedikt, Sohn eines Loden- und Trachtenhändlers aus Lenggries in Oberbayern war ein ausgesprochen netter Typ. 22 Jahre alt und augenblicklich, während der Semesterferien, mit den Eltern auf Tour quer durch die Republik. Natürlich war der ‚Bene’, wie ihn alle nannten, bereit, dem Manne zu helfen, der sich durch ein ganz unglückliches Rangiermanöver direkt hinter dem Trachten-Stand festgefahren hatte. Sein Tandemanhänger steckte zwischen zwei Buchen fast bis zu den Achsen im aufgeweichten Boden. Und Winfrieds alter 230er Mercedes bekam die Karre nicht mehr raus.
Es war Sonntag, Tag eins nach dem sage und schreibe 184. Stünzelfest. Die große Tierschau mit Prämiierung, Markt und Rummel. Wieder war es ein grandioses Ereignis, das bei tollem Wetter über fünfzehntausend Menschen auf den herrlichen Waldfestplatz gelockt hatte. Und nun waren Händler aus aller Herren Länder dabei, ihre nicht verkauften Waren und ihre Stände zusammenzupacken und den Heimweg anzutreten.
Am späten Abend hatte es plötzlich wie aus Kübeln gegossen. Da war keiner von ihnen bereit, seinen Krempel zusammenzupacken und dabei patschnass zu werden. Der Abbau musste halt jetzt passieren.
Nur noch von den Laubbäumen fiel der eine oder andere Regentropfen herunter. Ansonsten schwante wieder so etwas wie Sommer über Wittgenstein.
Landwirt Winfried Stremmel, Hausname „Kienhewersch“, war am Morgen zu Fuß hergekommen. Denn er hatte über Nacht seinen Pkw samt Pferdeanhänger hier stehen lassen. Weil der Wallach, den er mit dem Hänger üblicherweise transportierte, gestern seinen Besitzer gewechselt und Winnie dieses lukrative Geschäft anschließend mit vielen Gläsern Pils, diversen Kurzen und dem legendären „Bullenauge“ begossen hatte. Seine Trinklaune war fast grenzenlos.
Trotzdem ging aber irgendwann vor seinem geistigen Auge ein rotes Lämpchen an. Denn der Mann aus Rinthe hatte absolut keinen Bock auf dauerhaftes Zufußgehen, weil ihm im Suff sein Lappen abgenommen worden war. Mit 61 kriegt man den Führerschein in der Regel nur noch mit tausend Klimmzügen wieder. Und das war ihm sogar in seinem „wahne sträwen Kopp“ erinnerlich geblieben.
Also hatte er sich von einem Taxi heimfahren lassen. Das war gar nicht so teuer. Denn seine Nachbarn, Ulla und Helmut Dreisbach, hatten zur selben Zeit dasselbe Fahrtziel. Und so wurden die Kosten für den Trip geteilt.
Noch billiger war jetzt nur noch sein Fußmarsch hierher. Ein Kraftakt zwar, nach der Stallarbeit. Aber die frische Luft, die er bei der Wanderung rauf nach Stünzel gegen letzte Alkoholausdünstungen in seiner Lunge tauschte, ließ ihn richtig munter werden. Der durchaus ansehnliche, schlanke Mann mit dichtem, grauem Haar fühlte sich fit wie ein Turnschuh.
Benedikt Raitmaier hatte sich inzwischen die Lage genauer angesehen und dem Winnie angeboten, seinen BMW-Offroader ganz vorne dran zu hängen. „Des dearft’ reich’n. Dann ziag ma Sie samt Daimler do heraus. Obschleppseil hob’ i dabei. Is des a Wort?“
„Jo, kimma su mache …, äääh … können wa so machen“, grinste der Hilfebedürftige und ging schon mal zu seinem Auto, um die vordere Anhängeschlaufe für das Schleppseil ausfindig zu machen. Häufig hatte er die in den 23 Lebensjahren seines Diesels nicht benutzen müssen. Aber jetzt galt’s.
Ein paar Minuten später hatten sie das Gespann zusammengebunden. Und der ‚Bene’ war langsam angefahren. Doch es ging nicht so recht vorwärts. Darum erhöhte der BMW-Fahrer die Drehzahl. Dreck spritzte auf die Frontscheibe von Winfrieds Wagen. Des Offroaders breite Schlappen drehten auf dem nassen Boden durch. Trotz „Four-Wheel-Drive“. Früher nannte man das „Allrad-Sperrdifferenzial“.
‚Jetzt bloß den Scheibenwischer auslassen’, dachte sich der Landwirt. ‚Sonst hast du gleich den größten Schmier vorne drauf und siehst gar nix mehr.’
Aber es klappte einfach nicht. Und der junge Bayer kapitulierte erst einmal. Er stieg aus und kam zum Daimler zurück. „Des woa fei a saublede Idee. Wos hoidn’s dovon, dess ma den Hänger abkoppijn und z’erst a moij schaugn, des mia mit die zwoa Autos do naus kimma? Mia hätt’n sofoart an Traktor hoi’jn soijn.“
„Die Idee hatte ich auch schon. Awwa hia is ja keina weit und breit“, ärgerte sich Stremmel, der sich langsam in den Slang seines jungen Helfers reingehört hatte. „Kein Schwein mit’m Schleppa da.“
„Doch, do kimmt oana!“, rief der Bene begeistert aus. „Un wos fir an Brumma!“ Tatsächlich näherte sich ein riesiges Gefährt. Der Bayer rannte quer zwischen halb zerlegten Buden und Wagen zum Hauptweg, hielt den Treckerfahrer an und erklärte ihm in breitem, alpenländischem Slang, wo der Hase im Pfeffer lag. Der Mann auf dem mächtigen Deutz begriff offenbar sofort und nickte. Kurz darauf hatte er erst den BMW und dann den Mercedes samt Hänger am Haken und zog sie fast behutsam aus dem Dreck. Eine prachtvolle Demonstration von Stärke war das, für die sich die Männer im Schlamm brav bedankten.
„So, i muass jetz’ a. Pfia Di, meijn Liawa“, rief der Benedikt, holte das Schleppseil ein und stieg in seinen BMW, um wieder vor den Stand seiner Eltern zu fahren. Winnie, glücklich wieder auf halbwegs trockenem und festem Boden zu stehen, wollte es ihm gleich tun. Doch er musste zunächst die Fußmatten einsammeln, die er am Morgen als Unterlage für seine durchdrehenden Räder in die Pampe am Boden gelegt hatte. „Meine Herrschaften, sin’ die dreckich“, motzte er vor sich hin, als er die vor Matsch triefenden Teile mit weit ausgestreckten Armen und spitzen Fingern zu seinem Anhänger schleppte. Die Seitentür vorne war unverschlossen geblieben und leicht zu öffnen. Wie immer, wenn nichts drin war. So konnte er die schmierigen Matten einfach mit Piff um die Ecke in den Hänger feuern und sich vom Acker machen.
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