Wolfgang Breuer
Ein Wittgenstein-Krimi
Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.
Wolfgang Breuer
Windbruch
Ein Wittgenstein-Krimi
Coverfoto: Wolfgang Breuer
Autorenfoto: Fotoatelier Christiane
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eISBN 978-3-96136-049-9
Print-ISBN 978-3-96136-048-2
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Donnerstag, 18. Januar
Freitag, 19. Januar
Samstag, 20. Januar
Montag, 22. Januar
Dienstag, 23. Januar
Wieder so eine knallharte Sturmbö, die das ganze Haus erzittern ließ. Das seit Tagen angekündigte Orkantief ‚Friederike‘ hatte mit ungebremster Kraft nun auch Wittgenstein erreicht. Ronja Körner jagte es einen Schauer nach dem anderen über ihre blasse Haut.
Seit Stunden ein Dauerzustand bei ihr. Schon, als sie noch im Bett lag. Nur jetzt schien der Orkan derart an Stärke gewonnen zu haben, dass er dazu geeignet war, sie in ein Ganzkörper-Kondom aus Gänsehaut zu hüllen. Und das ihr, der gebürtigen Ostfriesin.
In ihrem Geburtsort Norddeich, glaubte sie sich zu erinnern, konnten Stürme nicht so garstig sein. Aber wer weiß, vielleicht lag das lediglich daran, dass man dort gewohnt war, die passenden Häuser als Schutz gegen solche Unbilden der Natur zu bauen. Und dass es deshalb drinnen nicht so wummerte, wenn die Böen versuchten, einst mühsam errichtete Gebäude zu zerlegen.
Ronja übte sich in Sarkasmus, als ihre Freundin Mina Nölke anrief und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Während sie vom Bad runter ins Wohngeschoss lief, war ihr nämlich ein alter friesischer Bauernwitz eingefallen. Danach hatte Fiete seinen Nachbarn Hein nach einem Unwetter gefragt: „Na, hat der Sturm Dein Scheunendach auch kaputt gemacht?“ Darauf hatte Hein geantwortet: „Weiß nich´, hab´s noch nich´ wiedergefunden.“
Mina schüttelte sich vor Lachen und meinte: „Dann kann´s Dir ja so schlecht nicht gehen. Kommst Du heute Nachmittag zum Dienst?“
„Da bin ich mir noch nicht so sicher. Ich warte lieber erstmal ab, wie sich das weiterentwickelt. Ich bin gestern schon vorsichtshalber mit dem Bus gefahren. Weil ich kein Risiko bei dem angekündigten Sturm eingehen …“ ‚Wumm‘! Ein ohrenbetäubender Knall unterbrach die Unterhaltung. Kurz darauf hörte man ein rollendes Scheppern. Ronjas Gänsehaut bohrte sich in die Maschen ihres dicken Strickpullovers.
„Lieber Himmel. War das etwa bei Dir?“, kam die erschreckte Frage der Freundin aus dem Hörer.
„J… ja. Das war draußen, hier direkt am Haus. I… ich schau mal nach, was das war.“ Vorsichtig lugte Ronja aus dem Küchenfenster. Aber sie sah dort nichts Außergewöhnliches. Zwar wirbelten überall Äste, Zweige und jede Menge Unrat herum. Aber nichts, was diesen Höllenkrach hätte verursachen können.
Aber sie wollte unbedingt wissen, was da abging. Denn das dröhnende Scheppern kam bedrohlich näher.
Doch dann war plötzlich Stille. Kein Laut war mehr zu hören. Als habe der Sturm eine Atempause eingelegt. Es war absolut windstill. Das konnte sie vom ihrem Fensterplatz aus sehen. Selbst die Fichten unten an der Straße, deren Spitzen sich vorhin noch bedrohlich in Richtung Boden gebogen hatten, standen, als sei nichts geschehen.
„Hey, was is´n los?“, rief´s von Minas Seite aus dem Telefon. „Haaallooo…!“ Aber Ronja hatte jetzt nur noch ein Ziel: So schnell wie möglich raus auf den Balkon und nachsehen, was da so unglaublich laut geknallt hatte. Das Mobilteil ihres Telefons hielt sie in der Linken, mit der Rechten öffnete sie die Balkontür.
Sie konnte später selbst nicht beschreiben, was sich Sekundenbruchteile später abgespielt hatte. Jedenfalls lag Ronja, als Feuerwehr und Rettungsdienst nach Freisägen des Weges zu ihrem Haus gefunden hatten, bewusstlos im Wohnzimmer.
Die Balkontür war nur noch ein Loch. Ein Flügel lag mit zerborstener Scheibe im Haus, der andere wackelte, an einer Angel hängend, im Sturm hin und her. Im Haus herrschte das Chaos.
„Scheiß offene Bauweise!“, hatte der erste Feuerwehrmann lauthals geschimpft, als er per Leiter über den Balkon gekommen war und die Hausherrin mit leichten Ohrfeigen ins Hier und Jetzt zurückgeholt hatte. „Hätten Sie Türen zwischen den einzelnen Räumen, wäre hier nicht alles durcheinander geflogen“, versicherte er ihr, während er Ronja vom Fußboden aufhalf.
‚Ein echter Menschenfreund‘, dachte sich der Rettungssanitäter, der sich der jungen Frau kurz nach der handfesten Erweckung angenommen hatte. Denn die Belehrungen des Floriansjüngers nahmen kein Ende.
Ronjas Benommenheit wich langsam. Und es griff die entsetzte Erkenntnis Platz, dass der Neubau drinnen dem Vorhof einer Müllhalde alle Ehre gemacht hätte.
„Guck mal, ob die Jalousie noch funktioniert. Falls ja, lass´ sie bitte runter!“, brüllte der Sani dem Feuerwehrmann gegen den wieder aufkommenden Sturm zu. „Und die anderen gleich mit. Wer weiß, was heute noch alles durch die Gegend fliegt.“
Dem Sturm trotzend fuhren die elektrischen Rollläden kurz darauf nach unten. So wurde es leiser im Haus. Aber keineswegs schöner. Die Deckenlampen flammten auf, als es drinnen dunkler wurde. Hatte ein findiger Elektriker erdacht und bei den befreundeten Körners zum Selbstkostenpreis installiert. Das war aber auch so ziemlich alles, was, außer der Küchenzeile, ohne Läsionen geblieben war.
„Lieber Gott. Wie soll ich das alles wieder in Ordnung bringen?“, redete die Hausherrin noch ein wenig benommen vor sich hin. Das war doch alles neu hier.“
„Ich bitte Sie, Frau Körner“, schaltete sich der Rettungssanitäter ein, der gerade ihren Blutdruck messen wollte, „seien Sie froh, dass Sie das hier überlebt haben. Ziemlich unbeschadet sogar, wie mir scheint. Haben Sie Kopfschmerzen?“
Unweigerlich griff sich seine Patientin an den Hinterkopf. „Ja, Kopfschmerzen und ´ne Beule“, rieb sie sich die malträtierte Stelle. „Erst am zweiten Adventswochenende waren wir mit dem Umzug fertig. Und jetzt ist alles in Trümmern. Wie soll ich das bloß Leon erklären? Der wird wahnsinnig.“
„Leon ist Ihr Mann?“
„Ja. Und er ist auf Geschäftsreise seit gestern. Erst Potsdam, dann Luckenwalde, glaube ich.“
„Kenn´ ich, liegt in Brandenburg. Schön da“, machte der Mann vom Rettungsdienst Konversation.
„Ja. Er baut dort einen großen Industriekomplex. Mein Mann ist Ingenieur. Er hat sich auf solche Projekte spezialisiert.“ Sie schüttelte sich, als wäre sie von einem plötzlichen Fieber überfallen worden. „Oh Gott, wenn er von diesem Desaster hier erfährt. Wo ist denn überhaupt mein Handy?“, wurde Ronja plötzlich unruhig.
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