Wolfgang Breuer
Ein Wittgenstein-Krimi
Dieses Buch ist ein Roman. Handlung und Personen, wie Täter und Opfer, sind frei erfunden. Allerdings spielen darin auch real existierende Personen im sehr realen Wittgensteiner Land eine gewichtige Rolle. Diesen Menschen schulde ich für ihr freundschaftliches Einverständnis dazu meinen aufrichtigen Dank. Sie machen die Geschichte ein ganzes Stück weit authentischer. Bezüge zu und Anspielungen auf Ereignisse des aktuellen Zeitgeschehens sind ebenso gewollt wie notwendig.
Wolfgang Breuer
Am Fenster
Ein Wittgenstein-Krimi
Cover: unter Verwendung einer Zeichnung von
Herbert Kleinbruckner-Gautam ( www.bildhauergautam.de)
Foto Coverrückseite: W. Breuer
Autorenfoto: Fotoatelier Christiane
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© Winter 2020
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Print: ISBN 978-3-96136-090-1
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Montag, 4. Februar
Dienstag, 5. Februar
Mittwoch, 6. Februar
Donnerstag, 7. Februar
Freitag, 8. Februar
Samstag, 9. Februar
Montag, 11. Februar
Dienstag, 12. Februar
Mittwoch, 13. Februar
Donnerstag, 14. Februar
Freitag, 15. Februar
Christof Feistauer saß am Fenster seines Wohnzimmers und schaute hinaus in den Abend. Dort, wo vor seinem Haus die noble Laaspher Privatstraße ‚Schloßberg‘ in die ‚Schloßstraße‘ mündet, war um diese Zeit zwar nie besonders viel los. Trotzdem. Dort zu sitzen und hinauszuschauen war für den 62-jährigen Mann so etwas wie ein Blick in das Schaufenster des Lebens.
Feistauer war auf einen Rollstuhl angewiesen und deshalb zuletzt nur noch ganz selten aus dem Haus gekommen. Bei dem augenblicklichen Wetter wäre ihm ein Ausflug an die frische Luft sogar völlig unmöglich gewesen. Es schneite nämlich seit Tagen so heftig, dass sogar die Räum- und Streudienste in Schwierigkeiten gerieten.
Und das hatte dazu geführt, dass sich selbst dort oben am Berg, am gefühlten Arsch der Welt, gelegentlich großes Kino vor seinen Augen abspielte. Autos, die ihren Fahrern nur widerwillig gehorchten, schlitternde, stürzende Fußgänger und tags zuvor eine richtig derbe Karambolage mit hohem Sachschaden.
Der Fahrer eines sündhaft teuren Mercedes hatte an der Einmündung aus dem ‚Schloßberg‘ die Vorfahrt eines nicht minder teuren BMW zwar beachtet, war ihm aber dennoch mit stehenden Rädern voll in die Seite gerauscht. Der Aufprall war ebenso gewaltig wie das anschließende Geschrei der streitenden Fahrzeuglenker.
Nur gut, dass die Autofahrer mit Mobiltelefonen ausgestattet waren. Der schwerbehinderte Frührentner hätte nämlich nur ungern seinen Logenplatz am Fenster aufgegeben, um Rettungsdienst und Polizei zu alarmieren.
Frederik Tiemann vom Bauhof der Stadt Bad Laasphe kannte die Gefahren an der Einmündung zur Genüge. Denn er fuhr den Schneepflug, der die Chaussee zwischen dem Zentrum Laasphes unten und dem Internat Schloss Wittgenstein hoch oben auf dem Berg zu räumen und möglichst schnee- und eisfrei zu halten hatte.
Tiemann liebte seinen nagelneuen Unimog, der die ziemlich steil ansteigende Strecke hinauf zum ehemaligen Sitz derer zu Sayn Wittgenstein Hohenstein sonst fast spielend nahm. Doch in diesen Tagen musste sich selbst sein „Jorch“, wie er das orangefarbene Kraftpaket getauft hatte, etwas mehr anstrengen, um der Schneemassen Herr zu werden.
Und jedes Mal, wenn er vor dem Hause Feistauer so richtig Gas gab, oder wenn er nur die Einmündung der für ihn sonst uninteressanten Privatstraße räumte, schaute er rüber zu dem Mann mit dem freundlichen Gesicht und winkte ihm zu. Christof am Fenster hob stets einen Arm und erwiderte den Gruß.
Tiemann hatte an diesem Montag Spätdienst und gegen 18 Uhr seine erste Tour am Streusalzdepot gestartet. Noch immer sandte der Himmel Unmengen an Schnee zur Erde. Was die Winterdienstler maßlos ärgerte. Denn schon eine Stunde nach jedem Räumeinsatz war von der zuvor geleisteten Arbeit fast nichts mehr zu sehen.
Es würde wieder eine heftige Nacht werden. Dessen war sich Frederik bewusst. Vor allem die Steigungs- und Gefällestrecken, von denen es in und um Bad Laasphe nicht eben wenige gibt, bedurften bei solchem Schneefall einer besonderen Behandlung. Spätestens, wenn am frühen Morgen der Berufsverkehr einsetzen würde, mussten all diese Straßen in optimalem Zustand sein. Und gerade hinauf zum Schloss war üblicherweise mit einem höllischen Ansturm von motorisierten Lehrern und ‚Externen‘ der Internatsschule zu rechnen.
Natürlich winkte der Mann im Rollstuhl auch diesmal, als Tiemann seinem ‚Jorch‘ so richtig die Sporen gab und mit röhrendem Motor an dessen Haus vorbeidonnerte. Das Licht der Straßenlaterne an der Einmündung verlieh Feistauers Gesicht einen leicht goldenen Schimmer.
„Was für ein armer Hund“, brummelte der Schneepflugkutscher vor sich hin. „Den ganzen Tag über hängt er am Fenster, um wenigstens etwas Abwechslung in dieser Tristesse zu haben. Das ist doch kein Leben, sowas.“
In der Stadt wusste man wenig über den Mann, der vor knapp sechs Jahren das alte, ziemlich baufällige Haus dort oben am Berg gekauft und nach aufwendigen Renovierungsarbeiten bezogen hatte. Bar bezahlt habe er die ‚Bruchbude‘, hatte deren Verkäufer in Frederiks Stammkneipe getönt und daraufhin Serien von Lokalrunden geschmissen.
Damals war der neue Besitzer noch ein durchaus ansehnlicher und sportlicher Typ, den man häufig bei Waldläufen beobachten konnte. Aber er war immer allein. Sein einziger Freund schien sein perlschwarzer 7er BMW mit fremder Zulassung zu sein, den er wenigstens einmal die Woche mit Schlauch und Schwamm vor dem Haus putzte.
Dann aber waren er und sein Auto urplötzlich verschwunden. Und kaum jemand vermisste den Sonderling, der bis dahin Kontakte zu den Menschen im Ort weitgehend vermieden hatte und nahezu jeder Begegnung aus dem Weg gegangen war.
Nur Hannelore Knop, der Verkäuferin in seiner Lieblingsbäckerei in der Königstraße, war sein Fehlen aufgefallen. Denn Christof Feistauer hatte dort mindestens zweimal, manchmal sogar dreimal pro Woche frische Brötchen eingekauft und samstags auch noch ein Bauernbrot mitgenommen.
Über ein freundliches „Bitte“ und „Danke“ waren die beiden jedoch nie hinausgekommen. Ein Zustand, den er vermutlich nie bedauerte. Wohl aber Frau Knop, eine verwitwete Endvierzigerin. Der Mann hätte nämlich durchaus in ihr Beuteschema gepasst.
Entsprechend entsetzlich war für sie das Wiedersehen mit ihm rund acht Monate nach dessen urplötzlichem Verschwinden. Als nämlich direkt vor der Bäckerei ein Rolli-Taxi anhielt und dessen Fahrer bei ihr zwei Kaiserbrötchen, zwei Roggenbrötchen und ein Bauernbrot einkaufte. Exakt das, was der Verschwundene immer bestellt hatte.
Als der Fahrer den Laden verließ, hatte die Verkäuferin einen neugierigen Blick durchs Schaufenster in den Fahrgastraum des Transporters gewagt. Und dort entdeckte sie zu ihrem großen Entsetzen den von ihr so verehrten Mann in einem Rollstuhl. Mit aufgedunsenem Gesicht und stierem Blick.
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