»Vielen Dank, ehrenwerter großer Direktor Zheng He. Mein Herr wird entzückt sein, dich zu empfangen.«
Der Bote verließ das Büro rückwärts und begleitet von tiefen Verbeugungen. Zheng He widmete sich bereits wieder seiner Arbeit. Er glich die neuesten Kostenaufstellungen aus den Werften mit den budgetierten Zahlen ab, stellte dabei eine Handvoll Abweichungen fest und schrieb Anweisungen an seine Vorarbeiter. Sie sollten die Differenzen in den nächsten zwei Tagen kontrollieren und ihm Rechenschaft darüber ablegen. Danach widmete sich Zheng He den letzten Frachtaufstellungen. Er hatte für den Bau der Schiffe ein Heer von Administratoren eingesetzt. Sie führten über die gesamte Logistikkette genauestens Buch, vom Schlagen der Bäume im fernen Hunan, über den mühsamen Transport mit Ochsenkarren nach Nanjing, bis hin zur Verarbeitung in die zuvor exakt berechnete Anzahl an Balken und Brettern. So gelang es Zheng He, den Materialverlust in Form von Abfallholz und Diebstählen auf ein Minimum zu senke und rund drei Prozent der Gesamtkosten gegenüber dem Voranschlag einzusparen. Er hatte auch von Anfang an ein Programm zur Sicherung der Qualität eingeführt. Einige Konstrukteure waren für die Überwachung der Richtlinien ausgebildet worden und sandten ihre regelmäßigen Berichte direkt an Zheng He. Sie kontrollierten nicht nur das angelieferte Material auf Fehler, sondern sorgten auch für die zielgerichtete und umsichtige Verarbeitung aller Einzelteile. Jedes Brett, jedes Tau, jedes Stück Segel musste erst ihr Gütesiegel erhalten, bevor es überhaupt auf das Gelände der Werft gelangen durfte. Dank der umsichtig geplanten Anlieferung verkürzte sich die Bauzeit der Schiffe um die Hälfte und Zheng He konnte doppelt so viele Einheiten in derselben Zeit erstellen. Gleichzeitig war sichergestellt, dass die fertigen Dschunken dem höchsten Qualitätsanspruch gerecht wurden. Zheng He war überzeugt davon, die besten Schiffe der Welt gebaut zu haben.
Um halb acht legte der kaiserliche Eunuch das Schreibzeug auf die Seite, wusch sich Gesicht und Hände mit einer duftenden Seife und trocknete sie sorgfältig ab, bevor er sich ein frisches Gewand überzog, aus dem Haus trat und sich in seine ständig bereitstehende Sänfte setzte.
Er traf um Viertel nach acht auf dem Anwesen des Kaufmanns ein, wie es die Höflichkeit gebot. Hsia Yuan-chi erwartete ihn persönlich an der Pforte seines Hauses, eine überaus deutliche Bestätigung dafür, wie wichtig dem Kaufmann die Unterredung mit Zheng He war.
Die beiden so ungleichen Männer traten nach der förmlichen Begrüßung nebeneinander durch das breite Eingangsportal in das große, ganz aus Stein gebaute Haus. Zheng He erschien mit seinen fast zwei Metern Körpergröße, der breiten Brust und der mächtigen Taille wie ein urzeitlicher Riese neben dem feisten, kaum eins siebzig großen Kaufmann. Die Türwächter und Diener des Hauses traten vor Ehrfurcht unwillkürlich einen halben Schritt zurück, als die beiden mächtigen Männer an ihnen vorbeischritten.
Der Kaufmann hatte eine äußerst großzügige Tafel herrichten lassen, die keine Wünsche offenließ. Dutzende von Schälchen und Platten boten viele verschiedene Speisen an. Zheng He erkannte die berühmten kandierten Aale aus Neijang und es fehlten nicht einmal die äußerst seltenen schwarzen Eier der Python aus dem fernen Bengalen. Wie wichtig dem Händler diese Besprechung war, erkannte der kaiserliche Eunuch auch an diesem auserlesenen und äußerst kostspieligen Mahl.
Die beiden Männer setzten sich, bedienten sich ungeniert aus den herrlichen Porzellangefäßen und aßen eine ganze Weile lang, wobei Zheng He angemessen lobende Worte für die delikaten Speisen fand. Beide Männer beherrschten die Etikette der Höflichkeit in Vollendung, gaben sich darin keinerlei Blöße. Es schien allerdings, als ob der Blick des Kaufmanns immer unsteter, zwischendurch aber auch immer wieder lauernd wurde, je länger ihr Beisammensein andauerte.
Endlich fand Hsia Yuan-chi den Mut, das Gespräch auf sein eigentliches Anliegen und den Grund für die Einladung zu lenken.
»Ehrenwerter Zheng He. Es hat mich mit außerordentlicher Freude erfüllt, als ich erfuhr, dass unser göttlicher Kaiser dich zum Admiral der Schatzflotte bestimmt hat. Einen fähigeren Mann für diese verantwortungsvolle Aufgabe dürfte in ganz China kaum zu finden sein.«
Zheng He wusste, dass dies eine glatte Lüge war. Er hatte bereits vor Monaten erfahren, mit welchen Mitteln der Kaufmann versucht hatte, ihn hinter seinem Rücken beim Kaiser anzuschwärzen. Nichts hatte der Händler unversucht gelassen, um einen ihm nahestehenden General als Flottenführer ins Gespräch zu bringen. Es war allerdings selbst auf den zweiten Blick für niemanden am Hof verständlich, warum der Kaiser ausgerechnet ihn, einen in der Seefahrt völlig unerfahrenen Eunuchen, zuerst mit dem Bau der riesigen, Ozean tauglichen Flotte betraut hatte und ihm nun sogar das Kommando übertrug. Doch Kaiser Yung-Lo hatte das Organisationstalent und den Durchsetzungswillen seines Chef-Eunuchen schon vor langer Zeit erkannt und setzte bei diesem Projekt auf dessen Können. Und die bisherigen Erfolge beim reibungslosen Bau der Schiffe gaben dem Kaiser uneingeschränkt Recht. Warum sollte das Multitalent Zheng He darum nicht auch als Kommandant der Flotte großes leisten?
Gelassen und ohne dem Kaufmann seine Gedankengänge zu zeigen, antwortete Zheng He: »Dass die Wahl unseres göttlichen Kaisers Yung-Lo gerade auf mich gefallen ist, hat viele Menschen überrascht, nicht zuletzt auch mich selbst. Das Vertrauen unseres himmlischen Kaisers ist eine hohe Ehre und ein großer Ansporn für mich.«
Die Augen des reichen Kaufmanns funkelten, denn er hatte den leichten Spott aus den Worten des Eunuchen herausgehört, genauso, wie es Zheng He beabsichtigt hatte. Doch Hsia Yuan-chi schluckte den aufsteigenden Groll über den anmaßenden Eunuchen hinunter und lächelte ihn weiterhin auf eine aufgesetzt freundlich wirkende, möglichst gewinnende Art an, die jedoch auch ein wenig schmierig wirkte.
»Wie ich hörte, wird die Schatzflotte eine sehr starke Kampfkraft besitzen. Es sollen mehr als zehntausend Soldaten mitgenommen werden?«
»Weit über zwanzigtausend, ehrenwerter Hsia Yuan-chi.«
»Und bei einer Besichtigung der Werften sah ich auch, dass die Schiffe sehr stark gebaut sind und über eine ausgezeichnete Bewaffnung verfügen, sogar über weitreichende Kanonen.«
»Ja, die Reise über die Ozeane soll von allerlei Gefahren begleitet sein«, antwortete der Eunuch ausweichend. Doch der Händler bohrte sogleich nach.
»Allerdings sollen es allesamt Landkanonen auf Rädern sein, wie ich hörte, und von daher wohl kaum auf den Schiffen zu gebrauchen.«
Hsia Yuan-chi konnte das Lauern in seiner Stimme nicht völlig unterdrücken. Die Neugier brannte zu stark in ihm, endlich herauszufinden, was denn der chinesische Kaiser tatsächlich mit seiner riesigen Schatzflotte beabsichtigte. Sein Erlass sprach bloß von Reisen nach dem Westen und nannte keine spezifischen Gründe dafür. Viele am Hof und in der gesamten Hauptstadt spekulierten darum seit Monaten darüber, was die wirklichen Pläne ihres Herrschers waren.
Wollte er vielleicht die vor langer Zeit verlorene chinesische Provinz Annam zurückerobern? Wollte der Kaiser zu diesem Zweck eine starke Truppe weit im Süden, zum Beispiel in Champa absetzen und von dort aus das Königreich Annam bedrohen, während er gleichzeitig ein Heer von Norden aus durch Burma hindurch aussandte, um auf diese Weise Annam in die Zange zu nehmen? Oder plante Yung-Lo gar einen Feldzug gegen das mächtige Siam? Das expandierende Reich im Süden war bereits den früheren chinesischen Kaisern ein Dorn im Auge gewesen. Siam hatte in der Vergangenheit Teile von Java besetzt und bedrängte seitdem Sumatra.
Читать дальше