»Ich fragte dich, ob du die beiden Posten von Patrik zusätzlich übernehmen kannst? Viel hat er eh nicht gearbeitet, der faule, versoffene Hund. Das sollte für dich doch kein Problem sein?«
Silver nickte: »Nein, natürlich nicht, Vater, ich mach das.«
Diesmal kam die Anrede flüssig und sicher über seine Lippen. Doch er bemerkte den leicht spöttischen Blick seines Bruders auf sich ruhen.
»Ich leite die Übergabe heute noch in die Wege, beauftrage unsere Anwälte mit der Übertragung der Unterschriften«, warf Reginald ein, »wäre aber bestimmt gut, wenn du dich in den nächsten Tagen mal persönlich in den Büros zeigst.«
Als Leiter der Rechtsabteilung saß Reginald im eigentlichen Zentrum der Macht, erfuhr alles, was das Familienunternehmen betraf, beeinflusste oder veränderte.
Beinahe wie bei Vater und Rupert , dachte Silver mit einigem Erschrecken, Reginald sitzt im Hintergrund, spannt seine Fäden und lässt in zunehmendem Masse mich die Drecksarbeit erledigen. Auch die Idee für den Schlägertrupp in Glasgow kam von Reginald. Doch mit deren Organisation war Silver betraut worden.
Der Rest des Essens verlief schweigend oder exakter ausgedrückt brütend . Oldman McPhearsen brauchte sich nicht mit seinen Söhnen geschäftlich abzustimmen, denn er hatte vor seinem Rücktritt aus den Aufsichtsräten und Vorständen genügend Stabsstellen in all seinen Unternehmen geschaffen, die parallel zu ihrer Tätigkeit für die Firma die Arbeit seiner Söhne überwachten und ihm darüber berichteten. Manchmal wusste der Oldman sogar rascher und genauer Bescheid über ein aufkommendes Problem als seine Söhne. Und das rieb er ihnen immer wieder und noch so gerne unter die Nase, wollte ihnen so klar machen, wo sie sich noch zu verbessern hatten.
Nach dem Kaffee verabschiedeten sich Reginald und Silver wortkarg vom Vater. Der hob bloß seine rechte Hand zum Abschied, als würde er Lakaien entlassen.
Die beiden Brüder gingen den langen Flur entlang, nebeneinander, im Gleichschritt, sprachen nicht miteinander, blickten nur geradeaus und fixierten die breiten Türflügel des Portals, durch das sie endlich wieder aus dem auf Bedfort Castle überall spürbaren Zwang und eisernen Willen ihres harten Vaters entkommen konnten. Als sie die breite Sandsteintreppe hinunterstiegen, atmeten sie beide befreit auf, schüttelten sich an ihrem Ende kurz die Hände, wandten sich ihren Fahrzeugen zu.
Reginald hatte sich in einem Bentley herbringen lassen und sein Fahrer öffnete für ihn bereitwillig die Hintertür, drückte sie hinter ihm sanft ins Schloss, stieg vorne ein und fuhr sogleich los.
Silver war bei seinem Jaguar stehen geblieben, hatte sich eine Zigarette aus dem vergoldeten Etui gezogen und angezündet, sog ihren Rauch tief in seine Lungen ein, stieß ihn nur langsam, aber nicht mit sichtlichem Genuss wieder aus. Sein Rauchen wirkte eher so, als wollte er einen schlechten Geschmack aus seinem Mund, dem Rachen, der Luftröhre und seinen Lungen vertreiben, vielleicht das Fluidum von Bedfort Castle. Die Zigarette war noch nicht einmal zur Hälfte geraucht, da warf er sie zu Boden und trat ihre Glut aus, setzte sich hinters Steuer und fuhr los. Hart drückte er das Gaspedal durch und die Kieselsteine stiebten hoch in die Luft und bis zu den untersten Stufen der Steintreppe hinüber. Der Milliarden-Erbe war noch nicht durch das schmiedeeiserne Tor auf die Landstraße gelangt, als bereits ein Bediensteter mit Besen und Schaufel in der Hand aus einem der Nebengebäude eilte und mit dem Wegwischen begann.
*
»Hallo Schatz. Bist du zu Hause?«
Michael Langton hatte aufgeschlossen und war in den Flur getreten, der die einzelnen Räume des Apartments miteinander verband, rief seine Frage laut in Richtung des Wohnzimmers.
»Brüll doch nicht so herum«, kam eine recht gehässige Antwort durch die offenstehende Türe zurück.
Michael seufzte leise, hängte seine Lederjacke an einen Bügel und diesen an einem der Haken an der Garderobe auf, legte seinen Schlüsselbund in den schweren Vulkanstein-Aschenbecher auf der Ablage, ging in die kleine Küche hinüber, nahm sich eines der noch nicht gespülten Gläser vom Abtropfbrett und füllte es am Wasserhahn, trat damit zurück in den Flur und dann ins Wohnzimmer. Gin Davis lag auf der Couch und blätterte in einem Modeblatt. Sie blickte schräg an der Zeitschrift vorbei ihren Freund abwartend an, kaute dabei wie eine Kuh und blies dann einen Kaugummi zum Ballon auf, bis dieser platzte und sie die Überreste mit den Lippen und der Zunge wieder in ihren süßen Mund zurückschob.
»Erfolg gehabt?«
Ihre Stimme drückte keine Hoffnung aus, eher Häme. Michael schüttelte verneinend und resigniert den Kopf.
»Nein. Sie haben sich für einen anderen Makler entschieden, der wohl etwas günstiger war. Jedenfalls haben sie mir das in ihrer Absage geschrieben.«
Gin Davis setzte sich abrupt auf, starrte ihren Freund wütend an.
»Du Schlappschwanz. Du Niete. Wie haben sie dich denn diesmal ausgebootet? Haben sie wieder auf die Tränendrüse gedrückt? Oder was? Wie kannst du dich immer wieder von allen möglichen Leuten treten lassen, du Wurm? Du Versager. Du hast mir doch erzählt, sie hätten den Vorvertrag bereits unterzeichnet? Wie können sie dann noch abspringen? Los. Rede endlich.«
Sie war aufgesprungen, stand wie die Rachegöttin in Person vor ihm, starrte ihn zornig und aufgebracht an. Ihre Wangen hatten sich vor Wut gerötet und ihre Augen ließen Blitze in die seinen zucken. Herrlich lebendig war sie anzusehen, diese gertenschlanke Amazone, dieses wilde Weibsbild, diese Ausgeburt der himmlischen Hölle, wie Michael seine Freundin in Gedanken manchmal nannte, vor allem nach dem wilden Sex, mit dem sie ihn immer und immer wieder begeisterte, der alles von ihm forderte und ihm auch alles zurückgab.
Michael konnte die Verärgerung seiner Freundin durchaus verstehen. Denn immerhin hatte er ihr noch vor zwei Tagen versprochen, nach dem Abschluss des anstehenden Maklergeschäfts für sie die Fuchspelzjacke in der Boutique an der On Lan Street zu kaufen. Sobald der Vertrag über die Damenbinden unter Dach und Fach gewesen wäre, wollten sie zudem endlich wieder einmal groß Ausgehen, im Above & Beyond Essen gehen und dort vor all den schwerreichen Pinkeln angeben, danach im Beijing Club bis zum Morgengrauen tanzen. Doch nun kam er mit einer weiteren seiner Niederlagen zu ihr zurück. Überhaupt war sein neues Unternehmen äußerst zäh gestartet und kämpfte ums Überleben. Die Vermittlung von dreißig Millionen Damenbinden an eine große Drugstore Kette in den USA hätte ihm für das nächste halbe Jahr Miete und Essen bezahlt.
»Ach, Ginnie, sie konnten sich leider auf die Ausstiegsklausel beziehen. Ich musste nachgeben.«
»Und wie viel haben sie locker machen müssen?«
Ihre Frage klang kalt, aber auch gierig, aus ihrem sonst so süßen Mund, deren schmale Lippen in perfektes Dunkelrot getaucht waren, zugleich Sinnlichkeit wie Zügellosigkeit versprachen.
»Fünfzehnhundert US-Dollar«, gab er kleinlaut bekannt.
»Nur fünfzehnhundert? Warum nur fünfzehnhundert? Du hast gesagt, das Geschäft brächte dir mindestens Zwanzigtausend ein? Und dann speisen Sie dich mit fünfzehnhundert ab?«
»Sollte ich für ein paar Tausender mehr mit denen etwa vor Gericht ziehen?«
Das erste Mal an diesem Tag zeigte sich ein klein wenig Härte in seiner Stimme, auch wenn sie wohl weniger aus innerer Stärke, als vielmehr aus genervter Verzweiflung geboren war.
»Die sitzen letzten Endes doch eh am längeren Hebel, können den Fall über drei Instanzen ziehen und darauf warten, wie mir die Kohle ausgeht.«
Gin ließ sich auf das Sofa zurück plumpsen, beachtete ihren Freund nicht länger, starrte stattdessen auf den Fußboden, der mit einem langhaarigen, weißen Kunstfaserteppich ausgelegt war. Sie dachte angestrengt nach, war immer noch aufgebracht und wütend.
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