Sie nickte und schloss die Tür, dann deutete sie auf Evans PC-Stuhl und nahm selbst auf dessen Bett platz. „Ich denke, ich weiß schon, um was es geht“, meinte sie leise.
„Ja, das denke ich auch. Um es also gleich auf den Punkt zu bringen. Ich leite jetzt ein Rudel mit Kaya. Sie ist meine Freundin und Leitwölfin. Du weißt, warum ich das getan habe?“
„Wegen mir.“
„Auch. Vorwiegend.“ Einen Moment lang sah er sie nachdenklich an, dann fragte er: „Wie geht’s dir?“
„Allgemein? Gut. Ich bin immer noch sehr froh, hier zu sein, auch wenn ich Bain und Adrian wirklich vermisse. Aber da Xander nun dein Beta ist, ist diese Stelle bei Evan und mir wieder frei. Vielleicht kann Adrian herkommen, wenn Tavis zustimmt.“
„Das wäre cool. Er ist ein netter Kerl.“
„Ja.“
„Und wie geht es dir so?“, fragte Ryan erneut, wies auf sie und meinte ihren Wolf.
Amber schien es zu verstehen, denn sie antwortete: „Im Moment ist es ganz okay. Irgendwie ... ich weiß nicht. Es ist seltsam.“
„Was denn genau?“
„Darf ich offen sein, ohne dass du es falsch verstehst?“, fragte sie und wirkte unsicher.
„Klar, deshalb bin ich hier. Ich hatte gehofft, wir können das jetzt endlich klären.“
„Ja, das können wir. Hoffe ich. Also, es ist seltsam, weil ...“ Sie stoppte und atmete tief durch. „Ich will dich immer noch.“ Sie kniff die Augen zusammen und es machte den Anschein, als hätte sie Angst vor seiner Reaktion. Er sagte nichts und wartete, dass sie weitersprach. Mit noch immer geschlossenen Augen sagte sie: „Als du letztens zur Tür reingekommen bist, war es, als würde eine Welle von Energie durch mich fahren.
Ich hatte dich schon gefühlt, als du Brandon betreten hattest. Und als du dann da warst, war es wie ... wie ... meine Wölfin hat geheult und ich hatte Mühe, sie zu halten. Das hatte ich noch nie. Eher war es umgekehrt. Es fällt mir sonst schwer, sie rauszulassen. Nur wenn du in der Nähe bist, geht es leichter. Aber irgendwie auch nicht. Ich weiß auch nicht. Und dann kam Kaya. Ich hab gleich gemerkt, dass ihr etwas teilt, und meine Fähe wurde irgendwie sofort still.“ Jetzt schaute Amber zur Decke und an ihm vorbei, nur nicht ihn direkt an.
Ryan runzelte die Stirn. „Also ... stehst du jetzt noch auf mich?“, fragte er eine Tonlage höher.
Sie lächelte verlegen und ängstlich zugleich. Ihr Blick fiel auf ihre Hände im Schoß. „Ich weiß nicht. Ich mag dich. Immer noch. So war es schon seit der Gasse damals. Aber irgendwas war immer zwischen uns. Erst meine Verweigerung, ein Wolf zu werden, dann meine Familie und die Ehe mit Evan. Jetzt dein Posten und Kaya ...“
„Eure Ehe besteht auch noch“, unterbrach er sie.
„Ja“, sagte Amber und klang niedergeschlagen. „Ich hätte aber dich gewählt.“
Ryan nickte nur.
Endlich schaute sie auf und in seine Augen. „Ich würde es noch tun.“ Kurz schwieg sie und fügte dann traurig an: „Aber du hast jetzt Kaya.“
„Und du bist und bleibst Evans Frau. Das wird sich nicht ändern.“
„Es hätte sich ändern können. Irgendwann in der Zukunft. Wir lieben uns nicht.“
„Hast du noch immer nicht verstanden, dass wir Thalans nicht so leben? Ein Partner!“
„Ich habe es verstanden und ich habe mit Evan darüber gesprochen. Ryan, wir bleiben kein Paar. Also doch schon, aber nur so lange bis einer von uns einen anderen findet. Wir wollen beide glücklich werden und in dieser Ehe werden wir das nicht.“
Ryan verengte die Augen und musterte das Azurmädchen. „Ihr müsst Kinder haben.“
„Noch steht das im Raum, ja.“
„Erzähl“, forderte er, weil er im Gefühl hatte, dass sie etwas wusste, das er selbst wissen sollte.
„Peter Hay ist hier“, sagte sie leise. „Er hat Evan und mich um Hilfe gebeten. Wir beide wissen auch, warum Ian bei dir ist. Die beiden wollen aus dem Bündnis mit den Azur raus und sie wollen ihre Familie rausholen. Evan will das auch für die Thalans. Wenn das Bündnis nicht mehr besteht, müssen wir auch keine Kinder mehr bekommen.“
„Und du musst zurück zu deiner Familie.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das müsste ich nur, wenn wir uns innerhalb des Bundes trennen. Ich gehöre jetzt zu euch. Wenn wir herausfinden, was meine Eltern genau planen, können wir aus der Allianz raus und Evan und ich können uns später scheiden lassen.“
„Dann erzähl uns doch, was deine Eltern vorhaben!“, stieß Ryan aus. „Du hast doch gesagt, du weißt es! Warum machen wir den ganzen Dreck hier, wenn alles mit einem Fingerschnippen erledigt wäre?!“
Wieder sah Amber eingeschüchtert aus. „Weil ich nicht viel weiß und erst recht nichts Genaues. Es ist zu wenig und zu unbestätigt, um irgendwas zu riskieren.“
„Hast du es Dad erzählt?“
„Ja.“
Unwillkürlich wurde Ryan wütend. Tavis hatte ihm gegenüber nichts erwähnt. Er würde ihn darauf ansprechen. Wenn sein Dad Informationen hatte, musste er sie teilen. Sie arbeiteten gemeinsam auf ein Ziel hin und das konnten sie nur erreichen, wenn es keine Geheimnisse mehr gab.
Kurz schloss er die Augen, atmete durch, um sich zu beruhigen, und sah Amber dann wieder an. „Gut. Okay. Lassen wir das Thema erst mal. Wir sollten zuerst unsere Fronten klären. Ich habe keine Lust auf irgendwelche Anwandlungen von dir.“
Getroffen wandte sie den Blick ab. „Natürlich.“
„Also, du hast Gefühle für mich?“
Sie nickte.
„Auch wenn es nicht relevant ist. Welcher Art sind sie genau?“
„Meinst du, ob ich dich liebe?“
„Ja.“
„Ich weiß nicht. Ich fühle mich zu dir hingezogen. Ob es nur mein Wolf ist oder auch mein Mensch, kann ich nicht sagen.“
„Hast du dich im Griff?“
„Ich denke schon.“ Sie lächelte leicht amüsiert. „Deine Familie hat mir mehr als ein Mal und noch deutlicher klargemacht, was mein Fehler war, und sie hatten recht. Ich gebe mir wirklich Mühe, hoffe aber, du verzeihst mir, wenn ich schwach werde.“
„Wir werden sehen, wie diese Schwäche sich auswirkt.“
Ihr Lächeln verschwand. „Ja. Aber darf ich dich auch etwas fragen?“
„Sicher.“ Er hob eine Hand, damit sie offen sprach.
„Wie ist es bei dir? Hat sich was geändert?“
Er hob die Schultern und pustete die Luft aus. „Bis jetzt ist alles gut. Es mag hart klingen, aber du bist gerade nicht mehr als eine Fähe im Rudel meines Dads und meine Schwägerin. Ich hoffe, es bleibt so.“ Nun musste er grinsen. „Kaya würde ausrasten.“
Amber lachte leise. „Bestimmt. Man merkt ihr den Alphaposten aber an. Ich glaube also, mein Wolf wird sich in ihrer Nähe sowieso zurückhalten.“
„Hast du so wenig Einfluss auf deine Fähe? Du redest, als könntest du sie nicht kontrollieren?“
„Manchmal habe ich das Gefühl, sie übernimmt die Kontrolle.“
„Das tut sie nicht. Niemals. Wir sind Menschen, mit der Fähigkeit Wolf zu werden. Vergiss das nie und nutze deinen Wolf nicht als Ausrede. Alles was dein Wolf hat, hat sie von dir. Was dir fehlt, fehlt ihr auch. Was du tust, tut sie auch. Du bist dein Wolf. Dein Wolf ist, wer du bist.“
Читать дальше