Erneut zog Ryan die Brauen hoch. „Oh oh.“
„Richtig. Oh oh. Tja. Jedenfalls sind wir das nun. Die Thalans mit drei Magier-Wölfen und zwei Skylla-Wölfen.“
„Und Rahel und Otis?“, hakte Ryan nach.
„Sind wohl die Normalsten unter uns.“
„Und ihr? Du und Mum?“
„Wir sind Alphas. Normale Werwölfe mit normalen Wurzeln, aber einem durchaus chaotischen Rudel.“
„Warum habt ihr es uns nicht erzählt?“
„Weil es nicht wichtig war. Wir hätten es aber auch nicht verschwiegen. Wir wollten nur, dass die Betroffenen sich selbst outen, wenn und wann sie es für richtig halten. Bis auf die Perkun-Brüder wissen alle von ihrer Abstammung.“
„Warum dürfen die beiden es nicht wissen?“
Kurz herrschte Stille, in der sein Dad ihn durchdringend musterte, dann sagte er ernst: „Weil sie einzigartig sind. Skylla sind sehr selten und zu 95 Prozent Frauen. Sie gehen keine festen Bindungen ein und die wenigen Männer unter ihnen werden nur für den Fortbestand ihrer Art geduldet. So gut wie nie tut sich eine der Gestaltwandlerinnen mit einem anderen Wesen zusammen. Belege über Nachkommen aus Mischverbindungen gibt es meines Wissens nach keine. Bis auf Gero und Noel.“
„Aber wäre es dann nicht fair, wenn die beiden es wüssten?“
„Wäre es. Aber auch gefährlich. Ich werde es ihnen sagen, wenn sie erwachsen genug dafür sind. Da Noel gerade erst 19 geworden ist und ich es beiden zeitgleich sagen will, wird auch Gero noch warten müssen.“
„Aber du sagst es ihnen?“
„Ganz sicher.“
„Gut.“ Ryan holte tief Luft, hielt sie einen Moment an und stieß sie dann wieder aus. Nach einem Moment nachdenklicher Stille wechselte er zum Ursprungsthema zurück. „Zurück zu den Azur. Wäre es nicht besser, wenn ihr auch wieder von denen loskommt?“
„Vielleicht später. Im Moment stehen wir ganz gut da. Wir haben nur mit ihnen einen Bund und können uns dank unseres jungen Titels noch viel aus allem raushalten. Da wir ihre Tochter haben, werden sie uns wohlgesonnen sein, denn sie wollen die Erben nicht verlieren. Selbst wenn es Azur werden, was nicht ganz so sicher ist, wie Ian denkt, lebt Amber bei uns. Wir werden die Kinder also mindestens in den ersten Jahren nach unseren Maßstäben erziehen und ihnen unsere Sichtweise der Dinge beibringen können. Da spielt die Augenfarbe am Ende keine Rolle.“
„Evans Kinder gehen also nicht an die Azur?“
„Ganz sicher nicht. Ich glaube nicht, dass Amber freiwillig zurückgeht, geschweige denn ihre Kinder in solche Hände gibt. Also werden sie bei uns leben. Ob nun als Achat oder Azur ist vollkommen egal. Sie werden unsere Werte weitertragen, nicht die der Thorburns.“
Ryan nickte. Auch er war sich sicher, dass Amber nicht zurückgehen würde. Sie war immerhin geflohen und das aus guten Gründen. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, dass auch das ein Bluff gewesen sein könnte. Dass Amber gar nicht geflohen, sondern geschickt worden war. Wer sagte ihnen denn, dass sie nicht nur die Unschuldige mimte?
Immerhin hatte sie sich an Ryan rangemacht. Wäre er darauf eingegangen und sie wären erwischt worden, hätte das schwerwiegende Folgen haben können. Bei dieser Theorie blieb nur die Frage, was die Azur davon gehabt hätten.
Sie hätten uns ausgelöscht , überlegte Ryan. Mehr hätten sie nicht gewonnen. Sie hätten einfach ein Rudel beseitigt, das seinen Titel noch keine paar Wochen hatte.
„Dad? Welche Verbindung haben die Achat untereinander?“
Tavis runzelte die Stirn. „Das habe ich dir doch erklärt. Keine, bis auf den Namen.“
„Bist du sicher?“ Ryan setzte sich wieder gerade hin und sah seinen Vater fragend und entschuldigend zugleich an. „Bitte versteh mich jetzt nicht falsch, aber ich habe hin und wieder den Eindruck bekommen, dass selbst du nicht alles weißt.“
Tavis lachte schallend auf. „Habe ich das jemals behauptet?“
„Nein.“ Ryan blieb ernst. „Aber solltest du als jahrelanger Alpha nicht so ziemlich alles wissen?“
„Ich mag ein alter Alpha sein, aber ich bin auch immer noch ein Mensch und mit Sicherheit nicht allwissend. Nehmen wir deine und Ambers Situation. Die war selbst für mich neu. Ich musste mich über das Thema auch erst informieren.“
„Also könnte es sein, dass die Achat doch eine Verbindung haben, du aber nichts davon weißt?“
„Natürlich könnte das sein. Aber wenn es so ist, dann wurde dieses Wissen bisher nicht für mich zugänglich gemacht.“
„Wie meinst du das?“, hakte Ryan nach. Es klang ganz danach, dass selbst seinem Dad einiges Wissen regelrecht vorenthalten wurde.
„Die Diamanten haben bestimmte Sitze, die nur für Alphas geöffnet werden. Und auch dann bekommt man nur mit Genehmigung und immer nur für bestimmte Informationen Einsicht. Also nie alles, wie man es gern will. Als normaler Werwolf hast du dort keinen Zutritt. Es sind Landgüter, die so streng bewacht werden, dass wohl selbst das menschliche Militär keine Chancen hätte, sie einzunehmen. Außerdem sind sie sehr gut versteckt. In diesen Gebäuden wird sämtliches Wissen über unsere Art gesammelt und archiviert. Sie sind mehr als umfangreich bestückt.
Du hättest nun auch das Privileg, diese Aufzeichnungen einzusehen. Ich habe erstmals einen dieser Orte aufgesucht, als deine Mutter mit dir schwanger war. Eben wegen deines - nennen wir es - Ursprungs. Vor Kurzem war ich erneut da, um mich darüber zu informieren, was deine Situation mit Amber angeht. Ich gebe zu, dass ich mir nur Wissen aneigne, dass für unser Rudel und mich von Belang ist. Um es also deutlich zu machen. Ja, mir fehlen definitiv einige Fakten, aber ich denke, ich habe bisher auch ohne sie, einen ganz guten Leitwolf abgegeben.“ Sein Blick wurde fragend und Ryan nickte.
„Hast du. Auch wenn ich zugeben muss, dass es nicht geschadet hätte, wenn du eher von dieser Gensache gewusst hättest. Und was sie mit mir macht.“
„Das ist wahr, aber diesen Fehler habe ich bereits eingestanden und wenn es dich beruhigt, möchte ich dich wissen lassen, dass ich in letzter Zeit sehr viel mehr Zeit in den Archiven verbringe.“
Ryan grinste. „Der Alpha auf der Schulbank.“
Tavis spiegelte es und nickte. „So sieht es aus. Aber zurück zum Thema. Welche Verbindung vermutest du denn unter den Achat? Und warum ist es wichtig?“
Ryan hob unwissend die Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich glaube, die Azur erahnen eine oder wissen vielleicht sogar davon. Selbst Ian hat solche Andeutungen gemacht. Was, wenn sie deshalb uns statt den Rubellit genommen haben? Weil wir dahingehend stärker sein würden. Ian hat auch was gesagt, dass die Seltenheit der Edelsteine eine Rolle spielt. Die Diamanten sind doch aber zum Beispiel auch nicht selten. Wie läuft das?“
Kurz überlegte Tavis, dann antwortete er: „Wegen der Verbindung habe ich keine Ahnung, was er meinen könnte. Wir können aber gern gemeinsam recherchieren. Wenn es etwas diesbezüglich gibt, werden wir im Archiv sicher fündig. Das mit der Seltenheit stimmt. Je seltener ein Edelstein, desto mächtiger die Familie. Aber je mehr Wölfe, desto stärker. Logisch. So gesehen wären seltene und häufige Edelsteine also gleich viel wert. “ Tavis setzte es in imaginäre Anführungszeichen, weil er sich anscheinend auch nicht ganz sicher war.
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