»Bisher nicht. Wir haben den Leinpfad vom Bootshaus bis hierher abgesucht. Keine Fußabdrücke, die auf Gerangel hindeuten, kein Blut – nichts. Der Heli und das Boot sind noch unterwegs. Abwarten.« Der Einsatzleiter grüßte mit der Hand an seiner Mütze und stieg in den Wagen, der von seinem Fahrer bereits vorgefahren war.
Wehling hatte die Haustüre zufallen lassen. Er schellte.
»Macht nichts. Die Tür ist schwer, das Schloss leichtgängig. So fällt sie leicht zu. Ist uns auch schon passiert«, schmunzelte die Frau des Hauses.
Eine Tasse durfte sie noch nachschenken, dann wollten die Beamten sich auf den Weg machen.
Wehlings Handy schellte. Die Zentrale hatte den Halter des gesuchten Fahrzeugs identifiziert. Es handelte sich um eine Vespa 125, zugelassen auf einen Herrn Westhoff, Blumenstraße 118, ganz in Ihrer Nähe ihres Standortes.
Er fragte Frau Kötter nach dem Namen.
»Den kennen wir gut. Er ist unser Nachbar, wenn auch einige hundert Meter entfernt. Er bewohnt das zweite Haus auf dieser Straße. Sie kommen auf dem Rückweg daran vorbei.«
»Was können Sie über ihn sagen?«
»Ein angenehmer Mann. Ich mag ihn. Er grüßt immer freundlich, wenn er uns begegnet. Manchmal unterhalten wir uns mit ihm. Wir kommen ab und an mit dem Fahrrad an seinem Haus vorbei. Er beschäftigt sich häufig in seinem Garten. Dann halten wir an und plauschen ein wenig. Warum fragen Sie, Herr Wehling?«
»Ihm gehört die blaue Vespa, die Sie gesehen haben, Frau Kötter.«
»Das stimmt! Ich kenne das Fahrzeug, aber er selbst ist nicht gefahren, Herr Wehling. Das weiß ich genau. Willi sitzt ganz anders auf dem Bock. Er hätte auch gewinkt. Ganz sicher. Er war es nicht.«
»Wir werden ihm einen Besuch abstatten.« Er trank seinen Kaffee aus und nickte Tracke zu.
****
Zehn Minuten später schellten sie bei Westhoff an. Als niemand öffnete, statteten die beiden Kollegen dem Garten einen Besuch ab. Alles ordentlich gepflegt und sorgfältig verschlossen. Die Tür zu einem Holzverschlag quietschte langsam hin und her. Es war ein einfaches Gartenhäuschen für allerlei Gerätschaften. Die Mitte war ausgespart. Der Spur und dem Abdruck des Ständers auf dem Holzboden nach, war es der Stellplatz für die Vespa. Sie inspizierten das Tor. Es war nicht aufgebrochen, aber frische Reifen- und Trittspuren waren auf dem Bretterboden gut zu erkennen.
»Was gibt’s hier zu entdecken?!« Ein älteres Ehepaar erschien hinter einem Golf mit aufgeklapptem Heck. Der Mann hielt einen Einkaufskorb in der Hand, die Frau einen Beutel mit Äpfeln.
»Herr Westhoff? Wir sind von der Wasserschutzpolizei. Mein Name ist Tracke, mein Chef, Polizeimeister Wehling.« Sie zeigten ihre Ausweise.
»Was suchen Sie auf meinem Grundstück?« Er bemerkte seinen leeren Schuppen. »Was ist passiert? Hat jemand meine Vespa gestohlen?«
»Sie besitzen ein blaues Motorrad?«
»Vespa 125«
»Herr Westhoff, wann haben Sie das Motorrad zum letzten Mal gefahren oder gesehen?«
»Vespa! Heute früh war ich damit zum Bäcker. Ich habe Brötchen geholt. Zum Einkaufen sind meine Frau und ich mit dem Wagen gefahren.
»Guten Tag meine Herren, angenehm.«
»Wie lange waren sie unterwegs?«
»Wir waren eine Runde spazieren. Es war kurz nach neun Uhr. Danach haben wir bei Edeka eingekauft. Anschließend sind wir zum Essen in die Dorfschänke. Jetzt sind wir hier. Gibt es etwas zu besprechen? Lassen Sie uns hineingehen. Sie könnten die Kartoffeln tragen.«
Tracke half gern. Wehling trug die Milch. Damit waren den beiden die schwersten Dinge bereits abgenommen. Durch eine quietschende Hintertür betraten sie die Küche. Seine Frau blickte Westhoff missfällig an.
»Heute Nachmittag. Das Öl steht schon auf der Spüle«, entschuldigte er sich unaufgefordert.
Die Beamten sollten sich setzen.
»Herr und Frau Westhoff, wie Sie schon richtig vermutet haben, wurde Ihr Mofa, ich meine Ihre Vespa entwendet. Wir können nicht ausschließen, dass sie bei einem Verbrechen benutzt wurde.«
»Bitte?«
»Wir können aus kriminaltechnischen Ermittlungen leider keine Auskunft geben. War das Fahrzeug gesichert?«
»Ich habe die Maschine im Schott abgestellt. Der Schlüssel befindet sich im Kasten. Ich sichere es außerdem immer mit einer Kette an der Dachstütze. Aber …« Er wurde verlegen.
»Heute nicht?«, ahnte Hallstein
»Es könnte sein, dass ich es heute nicht gesichert habe, denn ich wollte nach dem Frühstück zum Einkaufen. Aber dann sind meine Frau und ich mit dem Auto gefahren. Kartoffeln und Milch passen schlecht zusammen in die Box.«
Wehling fischte sein Handy aus der Innentasche.
»Wehling … wo? … schicken Sie mir bitte die Daten und die Aufnahme aufs Handy … Danke. Melden Sie es an die Kollegen der Straßenpolizei.« Er legte auf und wollte es gerade wieder in die Jackentasche stecken, als sich eine Nachricht meldete.
»Herr Westhoff, ist das ihre Vespa?«
Die Maschine lag auf der Böschung vom Leinpfad zum Deich. Der Fahrer war offensichtlich gestürzt. Westhoff kamen die Tränen.
»Meine schöne Maschine! Es ist zum Heulen. Wer tut so etwas? Verdammte Drecksau! Hoffentlich hat er sich die Knochen gebrochen. Wo haben Ihre Leute sie gefunden?«
»Sie liegt einige Kilometer von hier auf der Deichböschung. Die Kollegen der Straßenpolizei sind informiert. Sie werden sich in Kürze bei Ihnen melden.«
Ein Wink zu Tracke und sie fuhren los.
2. Kapitel – Dienstag, 10. September
Berendtsen kam gerade aus der Mittagspause, als Uschi ein Telefonat der Kriminaldirektorin Vera Zimmermann durchstellte, der Leiterin des Polizeipräsidiums.
»Hallo Vera, was gibt’s Neues?«
»Albert, ich brauche deine Hilfe. Könntest du kurz zu mir ins Büro kommen?«
Berendtsen hatte es nicht weit. Wenige Minuten später stand er vor seiner ehemaligen Freundin im Büro.
»Gut siehst du aus. Braun gebrannt und gut erholt. Wie war es im Indischen Ozean? Hat es dir gefallen?«
»Wunderbar. Es war ein Traum. Diese Natur … jede Menge bunter Vögel, Kaffeeplantagen, Vanillepflanzen habe ich gesehen und Flughunde, Riesenschildkröten. Das Hotel … ein Traum. Weißer Sand, Palmen, Hängematte … aufmerksames Personal servierte Drinks und Burger auf Wunsch direkt an den Liegestuhl«, seufzte sie. »Nimm Platz. Kaffee?«
»Gerne.«
Als alles eingerichtet war, begann sie:
»Hast du zurzeit viel Arbeit, Albert?«
»Wie man’s nimmt. Mir hat man das Qualitätsmanagement aufgebrummt. Das ist keine schwere Arbeit, aber nervig. Es steht eine Revision an. Du kennst die Arbeit, die auf einen zukommt. Es müssen eine Menge Blätter gewälzt und eine Wagenladung Ordner gestapelt werden«, seufzte er. »Ich glaube manchmal nicht, dass das ganze Verfahren Sinn macht. Ich sehe ein, dass ein Procedere festgehalten werden muss, damit jeder weiß, woran er sich halten kann oder muss. Ich möchte nur zu gerne wissen, wieviel Leute danach handeln. Nun gut, es ist wie es ist. Wir wollen uns nicht beklagen.« Er trank einen Schluck, wischte sich den letzten Tropfen von der Unterlippe und vermutete: »Deswegen hast du mich nicht hergebeten, Vera.«
»Wann ist die Revision angesetzt?«
»Dreißigster September. Eine ganze Woche ist angesetzt, aber erfahrungsgemäß dauerte es bei dem alten Revisor nur bis donnerstags, weil er gut vorbereitet war und Hallstein und Frau Bremer gut mitziehen. In diesem Jahr kommt ein neuer Mann. Ich kenne ihn nicht. Er nimmt die Revision zum ersten Mal ab, wie mir zu Ohren gekommen ist. Die Formulare habe ich in diesem Jahr alle online gestellt, so dass man sie ausdrucken kann, wenn sie gebraucht werden. Man muss sich nicht mehr mit den Fotokopien beschäftigen. Das hat immer aufgehalten. Außerdem kann man sie am Rechner ausfüllen und als Datei speichern. Das sieht nicht nur ordentlicher aus. Es geht auch flotter. Ich denke, er wird das so abhaken.«
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