Matt Dunhill lehnte sich in die Polster zurück und blickte aus dem Fenster. Zug Nummer „73“ fuhr nun schon eine Weile am südlichen Ufer des Niobrarah River entlang. Die Landschaft war abwechslungsreich. Ebenen, Hügel und Berge lösten sich ab. An weiten Teilen der Strecke lagen Laubwälder, die nun, im Winter, kahl und unwirtlich wirkten. Dazwischen gab es den üblichen Mischwald und auch ausgedehnte Nadelwälder. Matt liebte die immergrünen Bäume. Im Winter sahen sie aus, als habe sie jemand mit Puderzucker überschüttet. Gelegentlich erkannte er die Rauchfahne eines Gebäudes oder einer Feuerstelle. Das Gebiet war nur dünn besiedelt, denn Nebraska war noch Territorium und würde erst in einigen Jahren zu einem regulären Mitgliedsstaat der Union werden.
Der Conducteur war in den hinteren Waggons gewesen und kehrte nun in den Passagierwagen zurück. Er gehörte, wie auch die übrige Zugbesatzung, zum zivilen Personal der Bahngesellschaft. Auf der Uniform und dem runden Kepi des Manns lag eine dünne Schicht Schnee. Er musste eine Weile auf der hinteren Plattform des Wagens gestanden haben und war dort dem Schneefall ausgesetzt gewesen. Vielleicht hatte er ein Pfeifchen oder eine Zigarre geraucht, denn in den Wagen war ihm dies, im Gegensatz zu den Fahrgästen, verboten. Jetzt rieb er fröstelnd die Hände aneinander und streckte sie dem Ofen entgegen. Sein Blick traf den von Matt. „In zwei Stunden dürften wir die Station Lenningstown erreichen, Sir. Von dort sind es nur hundert Meter bis zum Depot.“
Es gab ein Versorgungsdepot der Union in Lenningstown und aufgrund der Uniform war der Bahnbedienstete wohl der Meinung, dass Matt dieses aufsuchen wolle. Als dieser nun den Kopf schüttelte und erklärte, er wolle seine Frau in der Stadt treffen, überlegte der Conducteur kurz. „Tut mir leid, Sir. Von der Station sind es fast vier Kilometer bis zur Stadt. Die Station wurde wegen dem Depot errichtet und das liegt nun einmal ein Stück außerhalb. Sie können aber sicher ein Pferd beim Stationsvorsteher leihen. Außerdem schickt der Storebesitzer von Lenningstown sicher seinen Wagen, weil er nachsehen will, ob wir eventuell Fracht für ihn dabei haben und, natürlich, wegen der Post.“
Matt dankte für die Auskunft und ließ sich einen heißen Kaffee geben. Normalerweise befanden sich die Bahnstationen in der Stadt, doch in Lenningstown hatte es sich anders ergeben. Nach der Landkarte lag die Siedlung recht günstig im Knotenpunkt zwischen Sioux City, Laramie und den Forts Randall und Grattan. Man hatte Lenningstown daher als Standort für ein Versorgungsdepot gewählt und dort den Haltepunkt der Bahn eingerichtet, da es hauptsächlich um den Umschlag militärischer Güter ging.
Für Matt war die Entfernung kein Problem. Falls er kein Transportmittel fand, würde er die Strecke eben zu Fuß zurücklegen. Da Kavalleristen ihre Pferde regelmäßig führten, um deren Kräfte zu schonen, war Matt Fußmärsche durchaus gewohnt.
Das Signal der Dampfpfeife wies darauf hin, dass sie sich der Station näherten. Matt gürtete Revolver und Säbel um und nahm seinen Koffer auf. Er schien der einzige Fahrgast zu sein, der hier den Zug verlassen würde. Er nickte den anderen freundlich zu und trat auf die vordere Plattform des Wagens hinaus. Fallender Schnee und schwacher Wind empfingen ihn. Er schlug den Kragen seines dunkelblauen Offiziersmantels hoch und zog das gelb gefütterte Cape etwas enger um die Schultern. Neugierig sah er sein Ziel näher kommen.
Rechts war, in einem Abstand von einem bis zu drei Kilometern von dem Gleis der Bahnlinie, der Niobrarah River zu erahnen. Zwischen beiden verlief die Straße der Overland Mail Route, die von den Postkutschen und Frachtwagen benutzt wurde. An diesem Stück des Niobrarah gab es keinen der Trails, welche die Siedlertrecks bevorzugten.
Ebenfalls rechter Hand kamen die Gebäude der Bahnstation und des Depots näher. Die Anlage der Bahn bestand aus einem kleinen Stationsgebäude, einem Schuppen und dem typischen Wasserturm. Das Depot war hingegen unerwartet groß. Matt bemerkte jedoch kaum Bewegung in der Anlage und auch nur drei der großen Frachtgespanne, welche die Armee gerne zum Warentransport verwendete.
Ein gutes Stück hinter dem Depot, weiter westlich, erhoben sich die ersten Häuser der Siedlung. Auch sie lag direkt am Flussufer und zog sich an diesem entlang. Für die ersten Siedler von Lenningstown war es einfacher gewesen, sich das Wasser aus dem Fluss zu holen, statt erst einen Brunnen zu bauen. Inzwischen war dies sicher nachgeholt worden, denn der Ort umfasste mehrere Straßen und Dutzende von Gebäuden. Der Conducteur hatte Matt berichtet, dass dort rund vierhundertfünfzig Menschen lebten.
Matt hielt sich am schmiedeeisernen Handlauf fest, als der Zug abbremste. Der Lokführer verstand sein Handwerk und brachte ihn exakt am Stationsgebäude zum Stehen. Hier gab es noch keinen Bahnsteig. Matt machte einen kleinen Satz, anstatt zu warten, bis man die dreistufige Tritthilfe brachte, die es vor allem den Damen erleichterte, den Höhenunterschied zwischen dem Erdboden und der ersten Sprosse der Einstiegsleiter zu überwinden.
Während der Major auf das kleine Gebäude zuging, war hinter ihm metallisches Hämmern zu hören. Routinemäßig überprüfte das Zugpersonal das Fahrwerk der Wagen und die Kupplungen, während Lokführer und Heizer Holz und Wasser auffüllten und das Gestänge des Antriebs schmierten.
Matt Dunhill bemerkte die Drähte der Telegrafenleitung, die von dem Gebäude ausgingen. Hier trafen sich die Nachrichtenstränge aus vier Himmelrichtungen. Für die Stadtbewohner wäre es wohl sehr umständlich, sich für jedes Telegramm zur Station zu begeben. Matt vermutete daher, dass man in Lenningstown ein zusätzliches Telegrafenbüro installiert hatte.
Ein Sergeant und vier Soldaten waren mit einem Wagen vom Depot gekommen, doch diesmal gab es keine Fracht für sie. Als Matt sich an den Stationsvorsteher wandte, um sich nach einem Pferd zu erkundigen, erbot sich der Unteroffizier, ihn in die Stadt zu fahren. Matt nahm das Angebot gerne an, wohl wissend, dass es nicht nur Höflichkeit war, die den Mann zu seinem Vorschlag getrieben hatte. Er und seine Männer waren gewiss neugierig, was ein Major hier zu suchen hatte, der sich zudem für die Stadt und nicht das Depot interessierte.
Die vier Infanteristen nahmen hinten auf der Ladefläche Platz, wo sie ein wenig von der Plane geschützt waren, während Matt vorne neben dem Sergeant saß, der das Gespann dirigierte.
Matt machte kein Geheimnis aus dem Grund seines Besuchs und zu seiner Überraschung nickte der Unteroffizier lächelnd. „Ihre Lady ist schon vor zwei Tagen angekommen, Sir. Eine wirklich feine Dame, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Sie sagte zwar, dass sie hier jemanden erwartet, aber ich wusste nicht, dass Sie das sind. Ich habe Ihre Lady zum Union Star gebracht. Das beste Hotel hier im Ort.“
„Und das einzige“, kam eine spöttische Stimme von der Ladefläche.
Der Sergeant warf einen scharfen Blick nach hinten und lächelte dann wieder. „Yep, Sir, ist das einzige Hotel, aber der Laden ist in Ordnung. Natürlich nicht mit den Hotels in den großen Städten zu vergleichen, aber auch keine billige Absteige, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben. Äh, darf ich fragen, ob Sie auch ins Depot kommen?“
„Das werde ich ganz sicher, Sergeant. Das gebietet schon die Höflichkeit.“
„Dachte mir schon, dass Sie ebenfalls ein echter Gentleman sind, Sir“, brummte der Sergeant. „Wissen Sie, Sir, die meisten Offiziere, die hier einmal durchkommen, die reden gar nicht erst mit unsereinem. Dabei sind wir alle froh, wenn wir einmal aus erster Hand hören, wie es an der Front zugeht.“ Der Mann sah Matt entschuldigend an. „Sehen Sie, Sir, viele von uns sind jetzt seit über einem Jahr in dieser Einöde und außer ein paar alten Zeitungen und hin und wieder einem Brief sind wir praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Würde man nicht Fracht bringen, die von Wagentrecks abgeholt wird, dann könnte man glatt glauben, man hätte uns hier vergessen.“
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