Was sehr Gutes war Rübenkraut, ein zähflüssiger, schwarzer Melassesirup. Oder Apfelkraut, etwas weniger bitter. Honig war selten. Wenn, dann der von Langnese, das sei der einzig echte, weil er flüssig blieb und beim Umdrehen eine eiförmige Blase bildet. Die Werbung log schon damals! Meist aber hatten wir Kunsthonig, irgendein zäher, übersüßer Stoff, der in den Zähnen brannte, vor allem, wenn man vorher einen Apfel gegessen hatte, das war billiger. Die Krönung aller Brotaufstriche aber war Mutters selbst im Backrohr eingedicktes Pflaumenmus. Dieses durfte nur unter Aufsicht gegessen werden. Zu schnell hätten wir einen der Steinguttöpfe, in denen es aufgehoben wurde, leer gehabt. Echte Butter gab es bisweilen sonntags. ‚Gute Butter‘ wurde sie genannt. Was wir werktags Butter nannten, war Margarine. Der Küchenherd heizte die ganze Wohnung. War es sehr kalt, steckten wir die Füße in das offene Backrohr. Gerade, wenn es auf Weihnachten zuging, legte unsere Mutter oft Äpfel in das Backrohr und machte die Klappe zu. Wir vergingen inzwischen vor Ungeduld. Bald erfüllte ein so verlockender Duft nach Advent die Stube, dass wir alle paar Minuten zur Gabel griffen und das Rohr aufmachten, um zu probieren, ob sie noch nicht gar waren. Unter der Hitze fingen die Äpfel an, sich zu blähen. Stach man hinein, so trat zischend ein Safttropfen aus. Ging die Gabel leicht hinein, war der Apfel durch. Das Warten darauf, dass er abkühlte, so dass man ihn anbeißen konnte, wurde zur Ewigkeit. Lieber die Lippen verbrennen oder den Gaumen, als noch länger warten!
Unter dem Bett im Schlafzimmer der Eltern lagerten wie ein Teppich verschiedene Apfelsorten, die das sonst etwas muffige Zimmer mit ihrem herbstlichen Duft erfüllten. Zum Apfelholen durften wir da rein. Ansonsten war uns der Zutritt dahin nicht erlaubt. Vorbei waren die Zeiten, an denen wir sonntags zu den Eltern hineinschlupfen konnten und etwas kuscheln! Wir zwei hatten unser eigenes Zimmer. Im Herbst ging Vater in der Nähe in eine Obstplantage zum Äpfel pflücken. Für mich war es die größte Freude, mitkommen zu dürfen. Ich nagte an den Äpfeln, die ich im Gras gefunden hatte, um die Wurmstellen herum. Ich kam mir vor wie im Schlaraffenland. Davon hatte die Mutter uns neulich vorm Einschlafen eine Geschichte vorgelesen. Ich versuchte mich auch etwas im Leiterklettern. Doch so ganz geheuer war mir das nicht. Ich sammelte lieber die Äpfel auf, die dem Vater beim Pflücken herunterfielen. Der Obstbauer, in blauer Schürze und Strohhut, half meinem Vater und erzählte bisweilen einen Witz. Ich verstand nicht viel davon und lachte mit, wenn sie lachen mussten. Einmal zeigte er mir seine weißen Zähne und fragte, ob wir das Geheimnis seiner guten Zähne wissen wollen. „Zweimal täglich Zähne putzen!“ antwortete mein Vater. „Falsch geraten!“ antwortete der Apfelmann. „Nie Zähne putzen! In meinem ganzen Leben habe ich nicht einmal die Zähne geputzt! Viel Äpfel essen. Vor allem abends einen, und die Zähne sind sauber für die Nacht!“ Das merkte ich mir gerne. Und so machte ich es. Die Zahnbürste blieb unberührt. Niemand bemerkte es.
Im Sommer und Herbst nahm mich mein Vater manchmal mit zum Pilze suchen. Er selbst aß nie welche, suchte aber für sein Leben gerne. Der ganze See, an dem wir wohnten, war eingezäunt als Trinkwasser-Schutzgebiet. Hier und da erlaubte ein kleines Türchen den Eintritt für Befugte. Was eine Fuge war, wusste ich schon, also fühlte ich mich wie ein Befugter. Vater klappte die kleine Klinge seines Taschenmessers auf und steckte sie in das Schloss, das innen ein vierkantiges Loch hatte. Und schon sprang es auf und ließ uns ein. Hier wuchs viel Heide, ein paar weitästige Kiefern, ein paar magere Eichen und die kerzengleichen Wacholder. Aber all das interessierte uns wenig. Unser Blick suchte den Boden ab. Und langsam zeigten sie sich uns: Steinpilze, mit ihrem hellbraunen Hut, Braunkappen, noch mit Sand und Kiefernnadeln behaftet, Pfifferlinge, halb unterm Laub verborgen, Birkenpilze auf ihrem leicht gekrümmten Stil, der oft madig war. Und viele, viele ‚Speckpilze‘. Unsere Suche glich einer Schatzsuche, einem Wettlauf, wer die meisten Pilze fand! Die ich am schönsten fand, waren aber die Fliegenpilze. Doch diese waren verboten wie die Äpfel vom Baum in der Mitte des Paradieses. Nur Hexen können diese essen! Etwas Vorsicht war auch geboten wegen der Kreuzottern, die hier, wie in jedem Paradies, auf der Lauer lagen. Aber die sonnten sich lieber, als dass sie kleine Jungen bissen. Wir putzten die Pilze schon weitgehend beim Pflücken, den Rest machte ich zuhause, während die Mutter schon Zwiebeln schnitt. Eigentlich mochte ich die nicht, aber in ein Pilzgericht gehörten sie rein. Bald duftete es bis nach draußen. Niemand brauchte die Anderen zum Essen zu rufen, die Nasen führten sie auf dem kürzesten Wege zum Tisch. Bald saßen wir vor einem Teller voller glänzender Pilze, dazu eine Scheibe trockenes Brot, ein Glas Wasser, und wir fühlten uns wohler als die Reichsten dieser Welt!
Wir wohnten an einem See. Darauf schwammen Boote und darin schwammen Fische. Mit beidem hatten wir, von Kind auf, dauernd zu tun. Klar, dass mein Bruder immer alles besser konnte. Aber auch ich war nicht schlecht im Angeln. Ich konnte noch nicht lange laufen, da drückte mir schon jemand eine kleine Angel in die Hand. Bald konnte ich den ‚Köder‘ (dieses Wort war komischerweise beim Angeln erlaubt!) an den Haken stecken, ohne zugleich meinen Finger aufzuspießen. Im Mund kaute ich etwas Brot, knetete eine Kugel, brach davon ein Bisschen ab, formte ein Kügelchen, das schön den Haken verstecken würde, und spießte es auf. Der Rest war für später oder diente zum Anfüttern. Oder ich knetete eine Pellkartoffel zu einem Teig. Wie erschrak ich, als es zum ersten Mal zuckte und der Schwimmer versank! Fast hätte ich die Angel losgelassen! Zum Glück war mein Vater neben mir, der mir half. Nachher war es gerade dieser Augenblick der Aufregung, wenn es anbiss, der mir die größte Freude beim Angeln machte. Ich fühlte mich wie eine Katze, wenn sie auf die Maus springt. Dann der ‚Kampf‘ mit dem Fisch, das Ermüden und das Herausziehen. Aber natürlich auch das Essen!
Sehr gut gingen auch die Regenwürmer, einmal das erste ‚Iiihh-Gefühl‘ überwunden. Es kam auch darauf an, welche Fische man angeln wollte. Für Raubfische, wie Zander oder Hechte brauchte man einen Setzfisch oder einen Blinker. Doch dafür war ich noch nicht geschickt genug. Meist fingen wir die großen Bräsen, flache Fische mit vielen kleinen Gräten darin, manchmal Uckeleien und Rotaugen. Mit dem Regenwurm auch manchmal einen Barsch, der auf dem Rücken, wie ein Drachen, eine mit harten Stacheln versehene Flosse aufstellen konnte. Stolz präsentierte ich diese meiner Mutter, die somit nicht mehr zum Fischhändler brauchte. Später lernte ich dann auch, sie zu töten, mit einem gezielten, heftigen Stockschlag auf das Genick. Manchmal, vor allem, wenn das Biest wild zappelte, erwischte ich meine Hand. Zumindest spürte ich so, wie dem Fisch gerade zumute war! Als ich schon ein Taschenmesser hatte, nahm ich sie gleich aus. Ein Schnitt vom Arschloch (das durfte ich aber nicht sagen!) bis vor zum Unterkiefer, vorsichtig, nicht die Galle erwischen, anschließend ein Schnitt von oben, hinter den Kiemen durch das Rückgrat, dann auf jeder Seite bis an den Bauchschnitt. Jetzt den Kopf mit allen daran hängenden Innereien nach hinten aus dem Fisch ziehen. Und alles im hohen Bogen zurück in den See. Dort schwamm all das eine Weile wegen der dranhängenden Luftblase, bis ein Raubfisch sich daran gütlich tat. Oft traten wir vorher auf die Luftblase, die dann zerknallte wie eine Knallerbse. Einmal hatte mein Bruder ein kleines Rotauge gefangen und wollte es gerade an den Steg ziehen, da schnellte ein Hecht aus dem Wasser und verschluckte seinen Fisch. Fast brach die Angel. Aber wir bekamen beide heraus. Mein Vater legte bei Nacht Aalschnüre. Vielleicht, weil das verboten war, oder weil die Aale, schlangengleiche Fische, nur bei Nacht wandern. An einer den Mühlbach durchquerenden starken Schnur befanden sich mehrere kurze Angelschnüre mit Würmern oder einem Stückchen Fisch daran. Aale waren ein Festessen! Man konnte Fische auch in Reusen fangen, Drahtröhren aus Hühnergeflecht, die auf jeder Seite einen trichterförmigen, an der Spitze offenen Eingang haben. Hob man diese aus dem Wasser, dann blinkte es darinnen wie die Sterntaler. Durch eine kleine Klappe schüttelte man die Fische dann ins Boot und versenkte die Reuse erneut. Auf der anderen Seite des Sees, noch hinter der Insel, wohnte der Fischer Bombosch. Für mich war er der Meister im Fischräuchern, und sein Räucheraal war der König der Fische!
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