Der alte Captain, der für Mark längst zu einem väterlichen Freund geworden war, entrollte die Karte und zog einen kleinen Kompass hervor. Ein erneuter Blick auf die Uhr und den Stand der Sonne, und Larner steckte die dickbauchige Taschenuhr zurück. Stattdessen zog er nun Tabaksbeutel und Pfeife hervor, stopfte sie und zündete sie mit einem Schwefelholz an. Das alles geschah schweigend und der Captain paffte genüsslich ein paar Züge, während Mark neben ihm saß und geduldig wartete.
Sie beide kannten sich nun ein gutes Jahr und hatten sich gegenseitig schätzen gelernt. Trotz seiner Jugend genoss Mark das Vertrauen des Älteren. Wo dem Sechzehnjährigen die Erfahrung fehlte war First-Sergeant Heller, ein ehemaliger Trapper, zur Stelle, um darauf zu achten dass Mark keine gefährlichen Fehler unterliefen. Es war ein übliches Verfahren, dass erfahrene Sergeants jungen Offizieren zur Seite standen. Jene Lieutenants, die auf ihre Sergeants hörten, hatten gute Chancen zu ausgezeichneten Offizieren zu werden.
„Iste heiß und stark, Capitan“, radebrechte Luigi und reichte Larner einen gefüllten Becher.
Der dankte mit einem freundlichen Lächeln und nippte vorsichtig, um sich nicht zu verbrühen. Etliche Männer saßen jetzt an den Kochstellen, tranken Kaffee und nahmen einen kurzen Imbiss zu sich, der aus Hardtacks und Hartwurst bestand. Die Hardtacks, der berühmte und berüchtigte „Zwieback“ der Armee, bestand aus fingerdickem, luftgetrockneten Teig aus Wasser, Mehl und etwas Salz. Nach einiger Zeit war er so hart, dass man ihn brechen oder einweichen musste und es gab Männer die felsenfest behaupteten, er wäre in der Lage feindliche Kugeln aufzuhalten.
„Schätze, noch gute zweihundert Meilen bis Laramie“, meinte Sam Larner. „Ich bin gespannt was uns dort erwartet. Was ist Ihre Einschätzung, Mark?“
Sam Larner wollte keine Untergebenen die nur stur ihren Befehlen folgten. Er teilte sein Wissen mit seinen Offizieren und Unteroffizieren und stellte sie in die Verantwortung, sich eigene Gedanken zu machen. So lernte man sich gegenseitig kennen und wusste, dass man sich aufeinander verlassen konnte.
„Wir sind weit von unserem Regiment entfernt“, antwortete Mark nach kurzem Zögern. „Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass man einzelne Kompanien von ihrem Stammregiment trennt und so weit hinaus schickt. Also, jedenfalls bei Freiwilligenregimentern und während eines Krieges, da die Teilung von Einheiten immer auch eine Schwächung bedeutet.“
Larner nickte. „Nun, von Ihrem Vater wissen Sie ja, dass reguläre Truppen durchaus weit verstreut ihren Dienst versehen müssen. Aber ich wollte wissen, was Sie vermuten.“
„Was ich vermute, Sam? Dass Jemand dabei ist möglichst schnell eine Truppe zusammenzukratzen. Ich würde mal schätzen, dass es irgendwo brennt und man nicht die Reserven verfügbar hat, um komplette Regimenter aufzubieten. Also behilft man sich mit Flickwerk.“
Larner lachte. „Yeah, ich schätze auch, dass wir Bestandteil einer bunten Patchwork-Truppe werden. Was vermuten Sie, Mark? Probleme mit Rebellen an der Westküste?“
„Nein, Sir. Bis wir uns durch die Wildnis gequält haben, hätte man längst Truppen auf dem Seeweg verschiffen können.“
„Hm, mag sein. Aber ich befürchte eher, dass es irgendwo wieder ein Indianerproblem gibt. Dabei müssten die Roten doch inzwischen begriffen haben, dass der Abzug der U.S.-Truppen aus den Forts ihnen keinen Vorteil geboten hat. Inzwischen sind dort längst Volunteers eingerückt und meist sind deren Einheiten noch wesentlich stärker, als die alte Garnison.“
„Und sie sind rücksichtsloser“, murmelte Mark. „Mein Vater Matt hat immer wieder gesagt, die regulären Truppen hätten ein Interesse daran, den Frieden zu bewahren, während Freiwillige oft jede Gelegenheit nutzen, um sich mit den Indianern anzulegen.“
„Freiwillige dienen meist in den Regionen, in denen sie auch als Zivilisten leben. Da hat sich im Verlauf der Jahre so Einiges gegen die Indianer angestaut.“
„Reiter aus Westen nähert sich!“, wurde ein Ruf hörbar, der von anderen Männern aufgenommen und weitergeleitet wurde. Einige der Kavalleristen erhoben sich und sahen dem Unbekannten neugierig entgegen.
Corporal Tanner zog die Wimpellanze aus dem Boden und hob das Feldzeichen ein wenig an, damit der fremde Reiter es besser erkennen konnte.
„Einer von uns“, kommentierte Bill Jefferson, der für die Schärfe seiner Augen bekannt war.
Es gehörte eine Menge Mut dazu, alleine zu reiten. Ein Pferd konnte stürzen, es gab Banditen, gefährliches Raubwild und es gab immer wieder Indianer, die sich, trotz bestehender Verträge, vielleicht als Krieger bewähren wollten.
Der Reiter hatte ein Reservepferd dabei, trug Lederkleidung, aber einen schwarzen Militärhut mit der gelben Quastenschnur der Kavallerie. Er erkannte den Wimpel und trabte nun auf diesen zu.
„Logan“, stellte er sich vor. „Zivilscout. Ist das hier die fünfte Wisconsin?“
„Zumindest ihre H-Kompanie“, bestätigte Larner und reichte Logan die Hand.
Der Scout nahm dankbar einen Becher Kaffee entgegen und langte dann in seine große braune Umhängetasche. „Wusste nicht, ob ich Sie noch abfangen kann. Musste vorher noch eine andere Einheit suchen. Habe Befehle für Sie, Captain.“
„Nun, Sie werden wohl schwerlich zum reinen Vergnügen durch das Indianergebiet reiten, Mister Logan. Aber jetzt stärken Sie sich erst einmal.“ Larner deutete auf einen freien Platz und öffnete den versiegelten Umschlag, den Logan ihm überreicht hatte. Er entfaltete das Schreiben, las es, las es erneut und ließ es dann sinken. „Cardigan, blasen Sie den Offiziers-Ruf.“
Eigentlich galt das Signal nur Offizieren, doch in diesem Fall versammelte es die Sergeants der Kompanie bei ihrem Captain. Larner wartete, bis Heller und die anderen vier Sergeants eingetroffen waren, bevor er ihnen allen mitteilte, was die neuen Befehle besagten.
„Nun, Gentlemen, die neuen Orders besagen, dass wir nicht bis Laramie marschieren müssen. Stattdessen geht es noch gute zwanzig Meilen den Niobrarah entlang. An der Einmündung des Snake River sollen wir mit weiteren Unionstruppen zusammentreffen, die sich dort unter dem Kommando von Brigade-General Jonessy versammeln.“
„Jonessy?“ Die Frage kam von First-Sergeant Heller, dem ehemaligen Trapper. „Reden Sie hier von „Wild Bill“ Jonessy, Sir?“
„Nun, hier steht nichts von einem „Wild Bill“, aber der Mann soll William Jonessy heißen“, antwortete Larner.
Heller nickte. „Dann ist es Wild Bill.“
„Sie kennen ihn, Jim?“
„Ein verdammt guter Westmann und Fallensteller, Sir“, meinte der First-Sergeant. „War mal zusammen mit ihm und einer Jagdgruppe in den Black Hills. Er mag nicht so bekannt wie Bill Hickock sein oder dieser Buffalo Bill Cody, aber es gibt kaum einen besseren Westmann. Wusste nicht, dass er jetzt bei der Armee gelandet ist.“
„Nun, das geht wohl einigen so“, kommentierte Mark. Heller grinste breit, da er die Anspielung verstanden hatte.
„Sagen Sie, Mister Logan, wissen Sie zufällig warum Jonessy eine Truppe versammelt? So weit entfernt von jeder Garnison? In den Befehlen steht nichts darüber.“
Logan schlürfte von seinem Kaffee. „Es heißt dass die Rebellen sich mit einigen Indianern verbündet haben und vom Süden in den Norden vorstoßen.“
„Verdammt“, knurrte Larner. „Genau das, was wir schon vor Monaten befürchtet haben. Sagen Sie, Mister Logan, haben Sie unterwegs irgendwelche Anzeichen für Unruhe unter den Sioux beobachten können?“
„Ein paar Jagdtrupps, aber nichts was auf Kriegsvorbereitungen hindeutet.“ Logan zuckte mit den Schultern. „Allerdings bemerkt man das bei den Roten häufig erst dann, wenn es zu spät ist.“
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