„Lady Layni. Bitte ...“
„Halts Maul! Nichts mit Lady Layni! Was hattest du vor? Was hast du da gerade getrieben? Wolltest du mich umbringen?! Du feiges Arschloch! Keine Eier in der Hose, um mich zu erschlagen oder mit meinem Dolch zu erstechen?“ Sie nickte zu ihrer Waffe, an seinem Gürtel. Layni hatte sie ihm für die Dauer der Reise überlassen und bereute es gerade zutiefst.
„Nein! Um Himmels willen! Ich wollte nicht ... ich habe nur ...“ Er verstummte, als Layni die Sehne bis zum Anschlag zurückzog.
„Was willst du von mir?!“, knurrte sie. „Antworte schnell und ehrlich und vielleicht lasse ich dich dann am Leben.“
Er schluckte und hatte sichtlich Mühe, die Worte zu formen. „Ich brauche dich. Ich soll, also ich muss meinen Auftrag erfüllen, damit ich mich würdig zeige.“
„Was hat das mit mir zu tun?“
„Delian hat gesagt, du bist die Richtige. Ich muss zurück nach Tau und meinen Auftrag abschließen und ich brauche Schutz.“
„Als Magier? Verarschen kann ich mich allein!“
„Ich bin kein Magier. Noch nicht.“
„Was hast du dann da gerade gemacht?“
Wieder schluckte er. „Meine Herrin will ab und an einen Bericht von mir und ich habe ...“
„Magie gewirkt!“, knurrte sie abermals.
„Nur das! Ich kann nicht mehr! Ich schwöre!“ Er hatte sichtlich große Angst, Layni könnte die Bogensehne loslassen. „Diesen Zauber lernen alle Botschafter, wenn sie in der Lage dazu sind. Ich bin es und seit ich es weiß, möchte ich Magier werden. Also nicht direkt Magier. Aber das würde ich auch lernen. Ein wenig.“ Er sprach hastig und abgehackt. Seine Furcht strahlte über die kurze Distanz wie eine Feuersbrunst.
„Ihr seid das Letzte!“, spuckte Layni ihm vor die Füße. „Du hast keine Ahnung, wie viele meiner Freunde durch die Hand oder besser den Mund eines Hexers gestorben sind! Ihr seid feige und niederträchtig. Ihr sprecht Sprüche und rafft eure Gegner dahin, ohne dass sie eine Chance zur Gegenwehr haben! Ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen! Hintenrum und ohne Skrupel! Ihr seid ein erbärmliches Pack von Missgeburten!“
Dáire wurde noch blasser, als er zuvor schon geworden war, und ließ die Hände sinken.
Layni zielte. „Gib mir nur einen Grund, dich nicht zu erschießen“, sagte sie ruhig, aber bestimmt.
„Ich habe dir nichts getan.“
Stille trat ein und Layni verengte die Augen. War das sein Versuch?
Kläglich. Mehr als kläglich.
Er tat einen mutigen Schritt auf sie zu. „Ich hätte dich mehrmals erschlagen können, oder?“
Sie lachte kurz auf. „Du, mich, erschlagen? Du träumst wohl.“
„Ich habe genug Gifte bei mir, um dich dreimal ins Jenseits zu befördern.“
„Feiges Pack. Wie ich’s gesagt hab!“
„Ich hab’s nicht getan, weil ich es gar nicht will! Warum auch? Du hilfst mir schließlich.“
Sie musterte ihn genau. Seine Augen und seine Haltung zeigten keine Lüge.
Es bestand keine Feindschaft zwischen Söldnern und Magiern. Es gab lediglich einen Zwist, weil beide so unterschiedlich kämpften. Aber Zwiste gab es überall. Laynis Abneigung hing voll und ganz an der Tatsache, dass Magier ihrer Meinung nach nicht fair kämpften. Sie standen meist am Rande des Geschehens und rissen unzählige Menschen in den Tod, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und viele - zu viele - davon, waren ihre Freunde gewesen.
Dáire schwieg und ließ sie nachdenken.
„Wirf mir meinen Dolch her“, forderte sie ihn auf und er tat es, ohne zu zögern. „Du bist noch kein Magier?“
„Nein“, antwortete er sofort.
„Aber du willst einer werden?“
„Ja, fast. Ich möchte Alchemie studieren, da gehört das ein bisschen dazu.“
„Und du denkst allen Ernstes, ich würde dir dabei helfen? Wusste Delian, was du bist?“
„Er wusste es.“
„Er weiß, dass ich euch verabscheue. Lieber würde ich mir eine Seuche an den Hals holen, als einem von euch zu helfen.“
„Das hat er auch gesagt. Deshalb habe ich dir gegenüber geschwiegen.“
„Du weißt es und hast mich trotzdem angeheuert? Du bist wirklich dümmer, als ich dachte. Hast du zu keiner Zeit damit gerechnet, dass ich es rausfinde?“
Er zuckte leicht mit den Schultern. „Ich habe gehofft, es würde nicht rauskommen, bis wir in Tau sind.“ Wieder trat Stille ein, die diesmal er brach. „Wirst du mir trotzdem helfen?“
„Ein Massenmörder zu werden? Welche Tassen fehlen dir denn im Schrank?!“
„Nicht alle Magier werden Krieger. Die meisten sind eher Gelehrte oder Heiler“, versuchte der Elende, sie zu beschwichtigen. „Ich will kein Krieger werden. Ich will forschen.“
„Dafür brauchst du Magie?“
„Ja. Wie gesagt, ich möchte Alchemie studieren, in Richtung Heilung. Magie ist dafür extrem hilfreich.“
Erneut musterte Layni ihn lange. „Wer sagt mir, dass du nicht lügst? Tau?“, fragte sie noch mal nach, obwohl sie wusste, was ihr Reiseziel war.
„Niemand kann dir das sagen. Aber sieh hin. Ich weiß, dass du es selbst erkennst. Und ja, Tau.“
Jetzt, wo er das Thema ansprach, fiel ihr etwas aus Teneths Geschichte ein. Tau war einstmals das Hoheitsgebiet der Elfen gewesen. Auch sie waren der Magie kundig, doch sie waren, soweit Layni wusste, vor vielen Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, ins Nichts verschwunden. Ihre Blutlinien hatten sich wohl einfach immer weiter verdünnt, weil sie zu wenige gewesen waren und irgendwann, waren sie verloren gegangen. Nur einige wenige Magiekundige hatten sich gehalten und ihr Erbe fortgeführt. Layni hätte aber nicht gedacht, dass Dáire dazugehörte oder es wollte. Es waren sehr wenige und sie hielten sich bedeckt. War er einer dieser Nachkömmlinge?
Nein . Er hatte erwähnt, er stamme aus dem Süden. Teneths Geschichte war selbst für Layni faszinierend, wenn man bedachte, dass sie keinerlei Interesse an magischen Dingen hegte. Früher hatte es in der Welt Magie im Überfluss gegeben, bis sie immer weniger geworden war und seit einigen Jahren quasi nicht mehr wirklich existent. Einige begehrten sie, andere heiligten sie, viele - wie Layni - verachteten sie und noch mehr interessierten sich einfach nicht dafür.
„Ich habe dir nichts getan“, wiederholte Dáire sein Argument, ihn nicht zu erschießen. „Ich habe nie jemandem etwas getan und ich habe es auch nicht vor“, fügte er an.
Die Sehne in Laynis Hand entspannte sich leicht. Sie tötete keine Unschuldigen. Er war unschuldig und er log nicht. Da stand der einstmals Fremde vor ihr, unbewaffnet und unschuldig und Layni hatte zugesagt, ihm Geleitschutz zu bieten. Er war ein Auftraggeber, wie jeder andere. Bis auf die Tatsache, dass er Magier war oder werden wollte. Und das wollte Layni nicht.
Unvermittelt wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt. Hinter Dáire im Gehölz bewegte sich was. Der Botschafter schien es nicht zu hören. Sein Blick war noch immer abwartend auf Layni gerichtet. Ihre Augen huschten von seinem Gesicht, in die Dunkelheit hinter ihm. Er sah es und wandte sich um, um zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit gefangen hatte. Noch bevor er sich richtig gedreht hatte, kam aus dem Gebüsch eine gewaltige Raubkatze auf ihn zu. Den Kopf gesenkt, den Oberkörper leicht nach unten geneigt, als wolle sie jeden Moment zum Sprung ansetzen.
Dáire machte einen Schritt zurück und das Tier folgte. Es knurrte leise und gefährlich. Ein zweiter Schritt vom Botschafter und eine Wurzel an seiner Ferse brachte ihn zu Fall. Die Raubkatze sah ihre Chance und schnellte vor. Mitten im Flug traf Laynis Pfeil sie und bohrte sich tief in den Brustkorb des Untiers. Es schrie auf und landete unsanft auf dem Boden, unweit von Dáires Füßen. Der zog sie hastig weg und rappelte sich auf. Layni hatte den Bogen gesenkt, hob ihren Dolch vom Boden auf und ging zum Angreifer. Ohne ein Wort trennte sie dem Tier die Kehle durch und beendete sein Leiden. Dann wandte sie sich zurück und trat auf ihren Auftraggeber zu.
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