Philippe schaute seinem Freund in die Augen, nickte dann und ließ ihn los.
Während er das Tuch wieder sorgfältig zu Boden gleiten ließ, wusste er, dass aus Fernandos Worten nichts als die schwache Hoffnung sprach, es doch noch aufhalten zu können.
Eine Hoffnung, die er einfach nicht teilen konnte, denn während er darauf wartete, dass das Tor zur Kirche geöffnet wurde, hatte er wieder diese furchtbar quälende Gewissheit in sich, die ihm sagte, dass sie gründlich versagt und der menschlichen Rasse einen unglaublich gnadenlosen Gegner gebracht hatten, der eine blutige Spur über den gesamten Erdball hinter sich herzog, seit er vor fast einem Jahr den ersten von Philippes Art getötet und dabei auch vor unschuldigen Menschenopfern nicht Halt gemacht hatte.
Sie hatten vor so vielen Jahrhunderten versucht, Gutes zu tun, indem sie den Funken göttlicher Energie vor den Fremden beschützen wollten, um ihn an einem anderen Ort wieder zu entfachen, damit er sein Volk noch viele weitere Jahrtausende behüten konnte.
Doch nichts davon war geschehen. Im Gegenteil.
Viele Jahrhunderte später waren sie dabei, schreckliches Leid über die Menschheit zu bringen.
Nur eine Sekunde später wurde das Kirchentor wuchtig aufgestoßen und Philippe konnte zum ersten Mal direkt in die Augen seines Feindes schauen.
Je näher sie Pontevedra gekommen waren, desto stärker spürte er die Hitze des Kristalls in seiner Brust, die ihm anzeigte, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
Ja, seitdem er die unendliche Macht, die sich in ihm befand, wirklich erfahren hatte, konnte er die Anwesenheit weiterer Kristalle förmlich spüren.
Aber eine derart heftige Reaktion wie jetzt hatte er noch nicht erlebt und fast schien es ihm, als stimmte etwas nicht.
Doch das konnte nicht sein. Sein eigener Kristall war unfehlbar.
Er würde den Pater hier treffen.
Als dann der Hubschrauber auf dem Boden aufsetzte, war er der erste, der hinaussprang.
Für eine Sekunde schaute er auf die Kirche, sah wie das Haupttor kurz geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Er musste grinsen.
Natürlich war die Kirche zur Messe gefüllt. Sonst wäre sie nicht derart hell erleuchtet gewesen.
Und der Gedanke, dass dort drinnen Menschen saßen, die jetzt ängstlich und verunsichert waren, erfreute ihn sehr.
Im nächsten Moment drehte er sich zurück in den Frachtraum des Helikopters und sprach zu einem blonden Hünen mit stahlblauen Augen. „Geht wie besprochen in Stellung und tut eure Arbeit. Ich gehe rein. Wenn ihr fertig seid, soll sich der Rest wieder in die Maschinen begeben. Du kommst zu mir!“
Der Blonde nickte und brüllte sofort den Befehl, an die Arbeit zu gehen, zu den sechs weiteren Insassen des Helikopters.
Er selbst bewaffnete sich mit einem M5 Schnellfeuergewehr und machte sich auf den Weg in die Kirche.
Um ihn herum rannten seine Leute ihren Aufgaben zu, verteilten sich im Dorf, umzingelten die Kirche.
Ja, es würde für Philippe kein Entkommen geben und er würde seinem Endziel einen großen Schritt näher kommen.
Eine Sekunde später hatte er das Tor erreicht und trat es mit einem gewaltigen Fußtritt, begleitet von einem bösartigen Schrei, aus dem Schloss.
Philippe hatte ihn noch nie mit eigenen Augen gesehen und es gab nur wenige, die ein Zusammentreffen mit ihm überlebt hatten, um davon zu berichten.
Deshalb hatte er auch nur eine vage Vorstellung von ihm entwickeln können.
Als er ihm jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, wusste er, dass er ganz anders aussah, als in seinen Gedanken und dass er ihn sich so niemals hätte vorstellen können.
Er war sehr groß, über eins achtzig. Von muskulöser, kräftiger, sportlicher Gestalt.
Kahlgeschoren, ein vernarbtes, verwittertes, braungegerbtes Gesicht mit großen, wachen Augen in funkelndem Grün.
Die ganze Gestalt war in schwarzes Leder gekleidet, das so eng am Körper saß, dass es die vorhandene Muskelpracht noch verstärkte und den Eindruck erweckte, als würde der Mann darin gleich herausplatzen.
Dann erkannte Philippe die für seine Begriffe mächtige Feuerwaffe in seinen Händen, bevor er magisch angezogen wurde, von dem breiten, widerlichen Grinsen des Mannes und dem leisen, hässlichen, dunklen Gelächter, das ihn frösteln ließ.
Und das ihm sofort bekannt vorkam!
Er trat durch das Tor und blieb wenige Schritte dahinter einfach stehen, hielt seine Waffe demonstrativ in die Höhe und weidete sich an dem Anblick der erbärmlichen Menschengestalten, die ängstlich und furchtsam in seine Richtung blickten.
Er musste sogar lachen, so sehr gefiel ihm die Macht, die er besaß.
Seine Augen wanderten über die Menschenmenge hinauf zu dem etwas erhöhten Altar, hinter dem sein Opfer kerzengerade und mit versteinertem Gesicht auf ihn herabsah.
Er suchte sofort die Augen des Paters und ließ sie nicht mehr los.
Dann verstummte sein Lachen und zurück blieb nur noch das Grinsen.
So verharrte er für einen Augenblick, bis sich die allgemeine Unruhe in der Kirche gelegt hatte und er sicher war, das seine Worte auch den würdigen Widerhall in dieser großen Halle finden würden.
„Philippe!“ Ein donnerndes, tiefes Dröhnen ging durch das Kirchenschiff, als die unheimlich laute und kräftige Stimme des Mannes ihre Schallwellen durch die Luft jagte. „Ich freue mich, dich wiederzusehen! Wie...geht es dir?“
„Wer bist du? Ich kenne dich nicht!“ Philippe sprach ebenfalls laut und kräftig, aber der Widerhall seiner Stimme war erbärmlich schwach.
„Oh doch, du kennst mich! Besser, als du erahnst!“
„Nenne deinen Namen!“
Der Fremde lächelte bösartig. „Du kannst mich...Carlos nennen!“
„Carlos? Ist das dein richtiger Name?“
„Spielt das eine Rolle?“
„Wenn ich schon sterben muss, will ich wissen, wer mich richtet!“
„Das wirst du noch früh genug erfahren!“
Der Pater zögerte einen Moment. „Gut, dann nimm mich und verrichte dein teuflisches Werk, Carlos. Und dann geh zurück in den Sumpf der Sünde, wo du hergekommen bist!“
„Oh!“ Carlos verlor sein gespieltes Lächeln. „Begrüßt man so einen alten Freund?“
„Du bist kein Freund. Du bist Abschaum. Je eher du von hier verschwindest, desto besser!“ Philippe ging um den Altar herum.
„Sicher, mein Freund. Alles, was du willst. Aber alles zu seiner Zeit. Lass uns doch noch ein bisschen plaudern!?“
„Ich habe dir nichts zu sagen. Töte mich, nimm dir, was du suchst und dann entweihe diesen Ort nicht länger!“
„Herrgott, Philippe, es verletzt mich, wenn du so sprichst. Man könnte meinen, du meinst, was du sagst!“
„Jede Silbe. Mehr, als du es dir jemals vorstellen kannst!“
„Ich kann mir vieles vorstellen, alter Freund. Aber können es deine Schäfchen...?“ Er deutete auf die Menschen in den Sitzreihen. „...auch? Ich nehme nicht an, dass sie die Wahrheit kennen!?“
Philippe wollte etwas entgegnen, aber er zögerte einen Moment.
„Wovon redet er?“ fragte Pedro dann leise dazwischen.
„Das ist nicht wichtig, junger Freund. Es sind nur Lügen. Lügen einer Gestalt des Bösen, die gekommen ist, um ihr Urteil über mich zu fällen und zu vollstrecken!“
„Lügen?“ Carlos lachte einmal bösartig auf. „Lügen sind das, was du diesen erbärmlichen Kreaturen all die Jahre erzählt hast. Wie du sie hinters Licht geführt hast. Sie geblendet hast. Sie benutzt hast. Du nennst mich einen Lügner und bist selber um keinen Deut besser. Du armseliger Idiot!“
„Meine Lügen töten keine Menschen. Deine schon. Und stelle mich niemals auf deine Stufe. Du besitzt keinerlei Würde. Nur der Tod ist die einzig akzeptable Lebensform für dich!“
„Worte, nichts als leere Worte, um deine…Freunde abzulenken von der Wahrheit. Wenn du wirklich so heroisch wärst, wie du dich hier gibst, warum hast du ihnen dann nicht erzählt, wer du wirklich bist?“ Er schaute Philippe fordernd in die Augen.
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