Wir hatten den Fluss erreicht und Kibira zog sich aus und legte Ihre Sachen sorgfältig unter einen Baum. Darauf bettete sie behutsam den kleinen Connor, der zufrieden schlief. Ich schaute mich unsicher um, es war für mich nicht normal, splitterfasernackt über eine Wiese zum Fluss zu laufen. Da aber Kibira mit größter Selbstverständlichkeit nackt zum Fluss ging, entledigte ich mich schnell meiner Kleidung und beeilte mich, ins Wasser zu steigen. Während wir uns gründlich wuschen und das kühle Wasser auf der Haut genossen, fragte Kibira: „Wo bist du denn angekommen?“ Ich lächelte unsicher. „Beim ersten Mal auf den Hügeln, die hinter dem Dorf liegen und dieses Mal, naja….“ Ich wand mich verlegen und sagte dann schnell: „In einer Matschkuhle irgendwo dahinten im Wald.“ Ich wies mit dem Finger vage in die Richtung. „Oh, da musstest du ja doch einige Zeit zu Fuß bis zum Dorf gehen“, sagte Kibira mitfühlend. „Nein“, sagte ich und verzog das Gesicht. „Dornat hat mich gefunden und freundlicherweise mitgenommen.“ Kibira konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Er hat dich aus einer Matschkuhle gezogen und du bist so mit ihm zurück ins Dorf geritten? Die ganze Strecke hinter ihm auf dem Pferd?“, fragte sie und um ihren Mund begann es zu zucken. „Ja, so war es wohl“, sagte ich knapp und kaute auf meiner Unterlippe. Dann prusteten wir beide zeitgleich vor Lachen los. „Schade, dass ich das nicht gesehen habe“, japste sie. „Jetzt verstehe ich auch, warum Torge und er gestern so gelacht haben, als er von seinem Ausritt erzählte. Ich hab nicht mitbekommen, was so komisch gewesen ist, nur dass er viel länger als geplant für die Strecke gebraucht hat.“ Ich verzog das Gesicht. „Schön, dass er sich über mich amüsiert“, sagte ich trocken. Sie bespritzte mich mit Wasser und ich quietschte.
Vom Baum her war ein leises Greinen zu hören. „Connor“, sagte Kibira und zuckte mit den Schultern. „Bleib du ruhig noch etwas im Wasser, ich schaue nach ihm. Als sie mir den Rücken zuwandte und ans Ufer kletterte, entdeckte ich eine Tätowierung auf ihrem Schulterblatt. Ich konnte im ersten Moment nicht genau erkennen, worum es sich handelte. Neugierig versuchte ich, das Zeichen näher zu betrachten, ohne dass ihr mein Blick auffiel. Das Symbol auf ihrer Schulter schien dem Muster auf meinem Amulett sehr ähnlich. Ich beschloss, später auf jeden Fall danach zu fragen. Sanft berührte ich das Amulett an meinem Hals. Seit ich hier war, war es ruhiger geworden, es brannte nicht mehr auf meiner Haut, sondern war angenehm warm und es schien mir fast Teil meines Körpers geworden zu sein. Ob ich es je wieder abnehmen würde? Die Erinnerung an die Versuche verursachte mir eine Gänsehaut.
Nachdem ich mich gründlich gewaschen hatte, fühlte ich mich das erste Mal seit meiner Ankunft hier wirklich bewusst, lebendig und außerdem sehr sauber. Ich kletterte ans Ufer und ließ mich neben Kibira ins Gras plumpsen, sie schaukelte den kleinen Connor sanft hin und her und hatte die Augen geschlossen.
Irgendwann seufzte sie und sagte dann: „Wir sollten uns langsam auf den Weg machen. Wenn die Erntewagen zurückkommen, wird jede freie Hand gebraucht.“ Sie streckte sich und grinste dann breit. „Gut, dass ich nach der Geburt von Connor dreißig Tage nicht an den Gemeinschaftsarbeiten teilnehmen muss. Das Abladen der Wagen ist wirklich höllisch anstrengend.“ Ein zufriedenes Lächeln umspielte jetzt ihren Mund.
War mir das Dorf vorhin noch wie ausgestorben vorgekommen, so war ich nun beeindruckt von den vielen Menschen, die zwischen hoch beladenen Pferdewagen hin und her eilten. Hunde bellten aufgeregt und Pferde wieherten. Auf den Wagen standen zumeist junge Männer und warfen das gebündelte Heu ab. Alle anderen schleppten die Bündel in zwei große hölzerne Scheunen, wo wieder andere damit beschäftigt waren, alles möglichst platzsparend zu stapeln. Kibira winkte einem großen blonden Mann zu, der auf einem der Wagen stand. Ich vermutete, dass das ihr Mann Torge sein musste. „Da bist du ja“, hörte ich Faolanes weiche Stimme. Sie gab mir einen sanften Schubs und schon stand ich in der Reihe der Träger, wurde mit Heu beladen und trug es in Richtung der Scheune. Ich reichte die Bündel einer jungen Frau, die mit dem Stapeln beschäftigt war. Es war warm und stickig im Inneren der Scheune und ich überlegte gerade, ob ich später nicht noch einmal zum Fluss gehen sollte, als ich eine bekannte Stimme an meinem Ohr vernahm. „Sauber hätte ich dich fast nicht erkannt“, sagte Dornat und grinste frech. Heu hatte sich in seinen dunklen Haaren verfangen und er sah einfach unverschämt gut aus. Ich wusste nicht recht, was ich antworten sollte und beschränkte mich auf ein knappes Hallo. Ehe ich weiter über eine passende Erwiderung nachdenken konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Ich ging wieder in Richtung Wagen, um die nächste Ladung Heu in Empfang zu nehmen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als endlich auch der letzte eintreffende Wagen abgeladen war. Alle waren müde und erschöpft und doch herrschte überall eine fröhliche, freundliche Stimmung. Meine Arme schmerzten, ich hatte schrecklichen Durst und auch schon wieder Hunger und doch fühlte ich mich so gut, wie schon lange nicht mehr. „Wenn du mich sehen könntest Mara“, murmelte ich leise. Kibira tauchte plötzlich vor mir auf und sagte fröhlich: „Da hast du ja deine Feuerprobe gleich bestanden. Geht es dir gut?“
„Eigentlich prima“, sagte ich ehrlich, „außer, dass ich wohl das zweite Bad an diesem Tag nehmen sollte.“
Sie lachte und sagte dann: „Geh dich doch rasch waschen, später kommst du mit Faolane zu uns, ich habe gekocht.“ Müde und zufrieden ging ich zur Hütte zurück. Niemand schenkte mir besondere Beachtung, alle lächelten freundlich oder ignorierten mich einfach. Faolane war schon da, reichte mir einen Becher mit frischem, kühlem Wassern und goss dann Wasser aus einem Eimer in eine große tönerne Schüssel. Dazu reichte sie mir einen Lappen. „Hier kannst du dich waschen“, sagte sie freundlich.
„Kibira hat uns zum Essen eingeladen“, sagte ich, während ich mich gründlich wusch. „Ich war mir sicher, dass ihr euch gut verstehen würdet“, sagte sie und lächelte zufrieden. Setz dich, ich helfe dir mit den Haaren“, sagte sie weich. Während sie meine Haare mit einem Hornkamm entwirrte, sang sie leise vor sich hin. Ich fühlte mich unendlich geborgen und beschützt. Sie flocht mein Haar zu einem dicken Zopf.
Die Sonne stand bereits rot am Horizont, als wir uns auf den Weg zur Hütte von Kibira und ihrer Familie machten. Überall im Dorf brannten Feuer vor den Hütten, Menschen saßen zusammen, aßen und lachten, mir schien die Idylle fast zu perfekt, um erträglich zu sein.
Kibiras Hütte stand am anderen Ende der Siedlung. In einem kleinen Pferch neben dem Haus gackerten Hühner und ein kurzbeiniger, gescheckter Hund kündigte lautstark unser Kommen an.
Hinter dem Haus gab es eine Feuerstelle, außerdem standen dort ein langer Holztisch und zwei Bänke auf denen bunte Kissen lagen. Rings herum waren Fackeln und Kerzen aufgestellt, die alles in ein weich flackerndes Licht tauchten. „Da seid ihr ja“, hörte ich Kibiras zwitschernde Stimme hinter mir. Sie trug einen großen Topf, aus dem es himmlisch duftete. Hinter ihr erschien der große blonde Mann, den ich bereits auf dem Heuwagen gesehen hatte. Er hatte den schlafenden Connor auf dem Arm. „Das ist Torge und das ist Lana“, stellte Kibira uns kurz vor. „Hilfst du mir mit den Tellern?“ fragte sie mich. Ich betrat hinter ihr die Hütte, die sich nicht deutlich von Faolanes Zuhause unterschied. Hier war alles etwas chaotischer, ein Vorhang aus Fellen teilte einen Schlafbereich ab und an den Wänden hingen Zeichnungen, die scheinbar mit Kohle auf Leinenstoff gefertigt worden waren, der straff auf Holzrahmen gespannt war. Ich betrachtete aufmerksam die Zeichnung eines Gesichts. Obwohl die Hütte nur von flackernden Talglichtern erhellt wurde, erkannte ich sofort Torges markante Züge. „Das ist toll, wer hat das gezeichnet?“, fragte ich und wand mich dem nächsten Bild zu, dass eine ältere Frau zeigte. „Ach“, sagte Kibira verlegen, „das war ich, während der letzten Wochen der Schwangerschaft war mir so fürchterlich langweilig.“ In diesem Moment betrat die Frau von der Zeichnung die Hütte. Sie drückte Kibira herzlich. „Das ist meine Schwiegermutter“, sagte sie. Die Frau betrachtete mich kurz prüfend, eilte dann aber hinaus, um Faolane zu begrüßen und Torge ihren Enkel abzunehmen.
Читать дальше