„Wenn er vorbei ist. Was wenn er nie vorbei ist? Oder nicht in deinem Leben? Was wenn du fällst?“
„Dann ist das so. Wenn ich falle, muss mich wenigstens keiner betrauern. Ich wünsche das niemandem.“ Ein Kloß setzte sich in Tias Kehle fest und Tamara sagte nichts mehr. „Ich gehe schlafen.“ Sie erhob sich, ohne ihren Tee angerührt zu haben, und ging ins Zelt. In voller Montur ließ sich auf ihr Lager sinken. Die Geräusche der anderen draußen beruhigten Tias aufgewühlten Gedanken. Trotzdem fand sie erst spät in der Nacht in den Schlaf.
Irgendwann war auch Tamara ins Zelt gekommen. Tia wusste, dass sie noch bei Imar gewesen war. Die beiden waren das absolute Traumpärchen und er war der Grund, warum Tamara ihr unbedingt eine Beziehung aufschwatzen wollte. Sie war glücklich und wollte, dass ihre beste Freundin es auch war. Selbst wenn die es nicht wollte.
Der laute Weckruf des Hornbläsers schallte durchs Lager. Tia hatte kaum geschlafen, war aber trotzdem sofort wach. Ihr fehlte die Auslastung der Kämpfe. Sie hatte zu viel Energie, die sie nicht abbauen konnte. Ein paar mehr Übungseinheiten würden ihr guttun, doch für den Moment würden diese warten müssen. Zwei Tage hatten sie pausiert, um die Pferde ausruhen zu lassen und ihre Vorräte aufzustocken. Heute würde die Reise weitergehen.
Tia stand auf und trat aus dem Zelt. Viele Reiter waren schon dabei ihre Sachen zu packen. Die Feuerstelle glühte noch etwas, also nahm Tia zwei Becher, füllte sie mit Wasser und Kräutern und stellte sie in die Glut, dann ging sie zurück ins Zelt. Tamara hatte das Horn gewollt überhört und sich in ihren Decken vergraben. Tia rüttelte sie sanft und lächelte, als ihre Freundin murrte.
„Das kommt davon, wenn du nachts nicht schläfst“, grinste Tia und machte sich daran, ihre Sachen zu packen.
„Dafür habe ich wesentlich mehr Spaß als du“, gab ihr Tamara zurück und stand nun ebenfalls auf. „Alles Gute zum Geburtstag, übrigens“, grinste sie verschlafen und rieb sich die Augen.
„Danke“, lächelte Tia zurück, während sie ihre Habseligkeiten einsammelte. Sie nannte nicht viel ihr Eigen. Ein kleines Bündel mit Sachen und ein winziger Lederbeutel mit persönlichen Dingen. Darunter die Halskette ihrer Mutter und ein Ring ihres Vaters. Sie trug beides nicht, sie behielt sie nur gut verwahrt bei sich. Gerade hatte sie ihr Schlaflager zusammengerollt, als es am Zeltpfosten klopfte.
„Ja?“, rief sie fragend nach draußen.
„Wir kommen wegen eurer Sachen“, schallte eine tiefe Männerstimme herein.
„Wir sind gleich fertig“, antwortete Tia und warf Tamara einen nun mach schon - Blick zu. Diese verdrehte die Augen und beeilte sich nun etwas mehr, ihre Sachen zu packen. Tia schnappte sich ihr Bündel und ging wieder hinaus. Draußen standen Henn und Woran mit zwei Packpferden. Woran nahm ihr das Bündel ab und machte sich daran, es einem der Pferde auf den Rücken zu schnallen.
„Tamara hat wieder verschlafen, was?“, fragte Henn derweil und grinste breit.
„Du kennst sie doch“, grinste Tia zurück und bückte sich, um den Tee aus der Glut zu holen. Sie reichte Tamara einen Becher, als diese endlich aus dem Zelt trat. Henn nahm auch ihr die Sachen ab und band sie an das zweite Pferd, während Woran bereits begann, sich am Zelt zu schaffen zu machen.
Eine richtige Rangfolge, bis auf Heras und seine zwei Unteroffiziere, gab es zwar in der Kavallerie nicht, doch wer zuletzt kam, musste helfen, das Lager auf- und abzubauen. Henn und Woran waren zwei der letzten zehn gewesen. Sie hatten sich in Jolan der Reiterei angeschlossen und Tia mochte beide gern.
Überhaupt war es in der Einheit sehr harmonisch, was nicht zuletzt auf die Mischung zurückzuführen war. Tia hatte schon ganz andere Situationen erlebt. Damals, als sie noch Knappin in Lohven gewesen war, war es an der Tagesordnung gewesen, dass die Männer untereinander Machtspielchen gespielt hatten. Sicher, es gab auch heute noch kleinere Scharmützel. Doch alles in allem waren sie eine eingeschworene Truppe, die sich zwar mal kabbelte, aber in der sich jeder auf jeden verlassen konnte.
Meine Familie , dachte Tia und beobachtete dabei lächelnd, wie Henn und Woran sich mit den Zeltstangen duellierten.
„Beeilt euch!“, befahl eine harte Stimme hinter Tia. Sie straffte sich, wandte sich um und grüßte Heras nickend. Er erwiderte den Gruß steif, warf noch einen tadelnden Blick zu den beiden jungen Männern und ritt dann weiter. Killian folgte ihm.
Der zweite Unteroffizier wurde langsamer, als er an Tia vorbeikam. „Geh lieber und kümmer dich um Armar. Er ist heute nicht gut drauf.“
Tia nickte und Killian ritt weiter. Sie schüttete den Rest ihres Tees in die Glut und verabschiedete sich mit einem Winken von den beiden betreten dreinschauenden Jungs und Tamara. Armar stand unweit von Hahna, die Dohan bereits an den Zügeln hielt. Die Knappin sah mürrisch aus. Heute hatte sie offensichtlich kein gutes Händchen für das Streitross.
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Die Mittagssonne brannte ihnen auf die Köpfe, obwohl sie versuchten, so gut es ging am Waldrand, im Schatten zu reiten. Die Hitze hatte viele dazu verleitet, ihre leichten Rüstungen abzulegen oder locker zu tragen. Nicht jedoch Tia. Ihr war genauso heiß wie allen anderen, doch sie verbot es sich nachlässig zu werden. Lediglich Dohan und Armar hatte sie die schweren Satteldecken abgenommen und Armars Rüstzeug lag auf einem Karren weiter vorn.
Der Hengst hatte sich vor Kurzem in einem kleineren Gefecht einen Nageltritt eingehandelt. Ihr Schmied hatte ihn zum Glück sofort entdeckt und die Heiler behandelten die Verletzung, doch reiten wollte Tia das schwere Streitross vorerst nicht. Es gab Ersatzpferde für den Fall eines Einsatzes.
Armar war seitdem Vorfall etwas unleidlicher als sonst. Was auch ein Grund für seine frühmorgendliche Sturheit gewesen war. Jetzt trottete er hinter Tia her, sein Führstrick, der an Dohans Sattel festgebunden war, hing locker durch. Hahna fuhr auf dem Karren der Knappen mit und spielte lachend Karten. Sie war gerade erst zehn geworden. Tia sah in ihr mehr die kleine Schwester, die sie nie hatte. Mit ihr hatte sie einen wirklich guten Fang gemacht.
„Schönes Wetter heute.“ Fin war herangeritten und grinste sie von der Seite an.
„Ja, stimmt“, lächelte Tia zurück.
„Und du bist trotzdem noch im Dienst?“
„Ich bin immer im Dienst, Fin.“
Er grinste breiter und wandte den Blick ab. Auch er hatte seine Rüstung gelockert. Doch Tia bemerkte zufrieden, dass sie ihn nicht behindern würde, wenn es zum Kampf kam. Zwei Handgriffe und sie würde wieder fest sitzen.
„Wie war die Wache?“, fragte sie nun und hielt den Blick dabei auf sein Gesicht gerichtet. Er verzog es wie erwartet und sie grinste. „So schlimm?“
„Nicht schlimm. Eher langweilig.“ Fin schwieg kurz. „Ich will mich ja nicht beschweren, aber seit wir aus dem Ärgsten raus sind, ist es mir irgendwie zu still. Es macht mich irre, nichts zu tun zu haben.“
„Wem sagst du das“, seufzte Tia. „Ich bin so ausgeruht, ich könnte drei Tage durchmachen.“
„Vielleicht sollten wir das tun, wenn wir in Griza sind. Ich habe, gehört dort gibt es einige legendäre Schänken.“ Er zwinkerte ihr zu.
Auch Tia hatte davon gehört. Doch was er als legendär bezeichnete, waren für sie einfach Freudenhäuser.
„Ehm. Nein danke. Ich denke von dieser Art Schänken, werde ich mich wohl lieber fernhalten.“
Er lachte. „Ist ja gut. Also keine speziellen Orte. Dann eben das Normale. Kann ja auch reizvoll sein.“ Wieder lachte er und Armar ruckte am Führstrick. Fin sah sich um, als Dohan dadurch ebenfalls kurz ins Stocken geriet. „Er hat schlechte Laune, oder?“
„Ja, sein Huf macht ihm wohl doch mehr zu schaffen. Am liebsten würde ich ihn gar nicht laufen lassen, aber was soll ich tun?“
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