Das kalte Huhn von gestern musste ich noch entbeinen und kleinhacken. Mit Reis, Ananas und einer Currymayonnaise ergab das einen feinen Salat. Kaltstellen. Wieder eine Klausur, hoffentlich ohne Fettflecke. Hurra, die letzte! Nun fehlten nur noch die Beurteilungen, die konnte ich morgen schreiben.
Kurz nach vier. Ich begann mit den Canapés. Erst einmal helles Baguette mit Sahnemeerrettich und geräucherter Forelle. Und kalt stellen. Doch ein paar Beurteilungen? Nein, sonst war ich nachher nicht rechtzeitig fertig. Vollkornbaguette mit Aioli, Ei und Kräutern. Ciabatta mit Tomate und Mozzarella. Zehnkornstange mit Butter, Knoblauchschinken und Gürkchen. Dinkelbrot mit Butter, Emmentaler und Walnüssen. Das Ganze mit Trauben garniert. In diversen Schüsselchen Oliven (die guten, mit der Mandel drin), Tortilla-Chips, Macadamia-Nüsse und weiterer Knabberkram. Hoffentlich hatten die auch alle Hunger! Silke fraß wie eine neunköpfige Raupe, das wusste ich; ihr Lebenswandel verbrauchte wohl so viel Energie. Ich stellte noch unauffällig ein, zwei Vasen bereit; man wusste ja nie, wer mit toten Pflanzen ankam. Gegen Viertel vor sechs war alles fertig, sogar die CDs hatte ich abgestaubt und schon eine eingelegt, die hoffentlich allen gefiel – mit den schönsten Filmsongs. Ich zog mich rasch um, kämmte meine wilden Locken und parfümierte mich ein bisschen. Da, es klingelte schon!
Robert Zöllner, und tatsächlich mit Blumen, ein kleines Primeltöpfchen. Gut, so lebten die Blumen wenigstens noch. Ich stellte sie gleich auf den Couchtisch zwischen alles andere. Bevor wir mühsam Konversation machen mussten, klingelte es wieder.
Silke, sprudelnd vor guter Laune, mit einer Flasche Champagner.
„Aus der Redaktion geklaut, denk dir nichts.“ Sie küsste mich auf die Wange.
„Äh, Silke, jetzt hab ich wieder Lippenstift auf der Backe...“
„Nö, der ist kussecht.“
Ich sah in den Spiegel. Von wegen! Ich schrubbte die Farbe wieder ab. Typisch Silke! Immerhin hatte sie diesen Robert schon in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Ich stellte ihr schnell einen Aschenbecher hin, bevor ich die Tür wieder öffnete.
Susanne von nebenan.
Auch hier gab´s ein Bussi – aber sie trug keinen Lippenstift. Dafür hatte sie auch eine Flasche Sekt dabei. Langsam reichte es für einen Vollrausch für jeden... Ich goss die Bowle fertig auf und Susanne öffnete die Tür, als auch noch Marianne und Harald kamen. Marianne überreichte mir ein verpacktes Töpfchen. „Für deinen Balkon, aber erst nach den Eisheiligen!“
Ich wickelte es aus. Ein kleiner Heliotrop, sehr gut! „Mhm, wie der duftet – nach Vanille... vielen Dank, bis Mai werde ich ihn hier drinnen hochpäppeln. Setzt euch, bitte!“
Ich schenkte Bowle ein und tippte im Vorbeigehen rasch auf die Playtaste, dann brachte ich das Essen herein. Es fand großen Anklang, und nicht nur Silke, die sich mit Robert ausgezeichnet verstand, futterte hemmungslos.
Wir aßen, tranken und stritten - schon wieder über Filme, wie gestern im Charlie´s .
„Gestern war ich übrigens nach diesem Schulkonzert noch mit einigen Kollegen im Charlie´s “, berichtete ich dann. „Da hab ich einen ganz wunderbaren Cocktail getrunken, den kannte ich noch gar nicht.“
Susanne, Marianne und Harald richteten sich kerzengerade auf. Was war jetzt los? „Wie hieß er denn?“
„ Success , glaube ich.“
„Ha!“ rief Susanne triumphierend. „Ätsch, ihr beiden!“
Marianne und Harald fluchten tonlos vor sich hin, mussten dann aber doch lachen. Ich verstand gar nichts mehr. Als sie mein offenbar recht dummes Gesicht sahen, lachten sie noch mehr. „Erinnerst du dich noch an diese Rum-Werbung im letzten Sommer?“
„Dunkel, ja – warum?“
„Na“, erklärte Marianne, „die war von uns – und die Cocktailrezepte dazu auch. Southern Dream, Melancholia und Success . Im Charlie´s haben wir sie kreiert, deshalb dürfen die die Rezepte verwenden. Success war Susannes Beitrag, obwohl sie schon leicht angeschickert war.“
„Leicht? Ich war sturzbetrunken, sag´s ruhig ehrlich! Und der Name ist auch nicht von mir.“
„Nein, der ist von Marianne. Ich wollte etwas isches, aber das war zu missverständlich“, warf Harald ein.
Marianne kicherte. „Stimmt. Éxito – klingt doch zu zweideutig, was?“
„Ach, weißt du, gestern nach dem dritten war der Name so unpassend nicht mehr!“
„Was haben denn die anderen getrunken?“
„Weiß nicht genau. Brandes hatte etwas Rotes. Es hat ihm geschmeckt, er hatte auch zwei oder drei – aber wie das hieß... Hat nach Vanille geduftet.“
„ Southern Dream “, stellte Harald fest.
„Tja, Marianne. Du hast verloren. Deinen hat keiner getrunken. Armes Häschen!“ Er küsste sie rasch auf die Nase.
„Phh! Damit kann ich leben.“
„Wir waren zu viert“, fuhr ich fort, „die anderen beiden hatten etwas Bräunliches, das ziemlich bitter duftete, fast wie...“
„Walnüsse?“, fragte Marianne atemlos.
„Ja, genau, Walnüsse. Die beiden haben auch ganz schön gepichelt...“
„Mehr als drei zusammen?“
„Auf jeden Fall!“
Marianne stieß ein Triumphgeheul aus. „Ich hab gewonnen, das war Melancholia – meiner ging am besten! Ätsch! Selber armes Häschen!“ Harald bekam seinen Kuss auf die Nase zurück und lachte.
Silke und Robert tuschelten miteinander und holten sich dann noch ein Glas Bowle. Die Stimmung war sehr angeheitert, und wir sprachen über immer abwegigere Dinge, wer am nächsten Sonntag das Grand-Prix-Rennen gewinnen würde, die schönsten Autos der Welt, welche Filme man unbedingt sehen müsste, die dümmsten Fernsehsendungen – bei Talkshows waren wir uns alle wundervoll einig – und schließlich die furchtbarsten Kleidungsstücke.
„Leggings mit Leopardenmuster“, schlug Susanne vor.
„Weiße Radlerhosen“, widersprach ich sofort, „leicht angeschmuddelt.“
„Hautenge Polyesterhemden mit Siebziger-Jahre-Muster“, fand Harald.
„Plateausohlen zu Miniröcken.“. Das war Mariannes Beitrag.
„Schlaghosen“, fand Silke, „obwohl wir die dauernd promoten müssen, der letzte Schrei, aber so scheußlich...“
„Promoten? Wo arbeitest du?“ Susanne schenkte sich nach.
„Bei Pour elle , leider auch noch in der Moderedaktion. Gut, man kommt rum und es ist total lustig, aber in neunzig Prozent der Klamotten möchte ich nicht tot aufgefunden werden. Bilde ich mir das ein oder wird die Mode immer abwegiger?“
„Was bleibt ihr denn übrig? Alle revivals sind schon durch – und die Neunziger können sie ja schlecht jetzt schon wieder aufleben lassen.“
„Wie wär´s mal mit neuen Ideen?“
„Au ja, der Rock für den Mann! Setzt sich irgendwie nie durch.“
„Ist das nicht ziemlich kalt von unten?“, fragte Robert harmlos und wir kreischten los.
„Kannst ja was drunter ziehen – die schottische Regel gilt da nicht. Obwohl – ein Kilt würde dir super stehen, Robert...“ Silke musterte ihn anerkennend. Er war schon ein recht gut aussehender Mann. Nicht mein Typ, aber vielleicht konnte Silke ihn brauchen, wenn er überhaupt noch verfügbar war. „Für Harald wadenlange anthrazitfarbene Seide, schmal geschnitten“, schlug Marianne verträumt vor.
„Und dazu Stilettos im gleichen Ton“, verlangte ich. Harald sah mich entsetzt an: „Wie kann man in so was laufen?“
„Keine Ahnung“, lachte ich, „ich kann´s auch nicht. Silke, wie läuft man mit High Heels?“
„Muss man üben. Ich trag die auch selten. Mit Stilettos bin ich über eins achtzig groß, das schränkt die Auswahl nur noch weiter ein.“
Es war ein ausgesprochen vergnügter Abend, der fast bis zwei Uhr morgens dauerte. Als Silke ging, verabschiedete Robert sich ebenfalls sofort, und ich war mir ziemlich sicher, dass Silke das Haus in dieser Nacht nicht mehr verlassen würde. Warum sollte sie auch?
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