„Natürlich! Aber diese kleinen Monster wollten über Empfängnisverhütung sprechen!“
„So steht´s doch auch im Lehrplan.“
„Das widerspricht doch jeder Moral!“
„Herr Holzner, Sie leben im falschen Jahrhundert. Was ist an Empfängnisverhütung unmoralisch?“
„Die Ehe ist dazu da, Kinder zu zeugen!“
„Ja, möglichst viele, nicht? Ob man sie dann ernähren kann, ist egal. Hauptsache, geboren, getauft, und dann meinetwegen Hungers gestorben. Die Kirche braucht Seelen... Das ist ja fast noch schlimmer als Der Führer braucht Soldaten !“
„Sagen Sie so etwas etwa auch den Schülern?“
„Klar, ich bin doch Historikerin. Die unheilvolle Rolle der Kirche im Lauf der Geschichte ist eins meiner Lieblingsthemen.“
„Meins auch“, behauptete Brandes da plötzlich. Ich warf ihm einen verblüfften Blick zu.
„Man kann historische Tatsachen schließlich nicht einfach leugnen“, ergänzte Frau Dr. Möller. Auf sie war immer Verlass! Holzner sah sie enttäuscht an, dann fiel sein Blick wieder auf mich. „Dass Sie sich so äußern, hätte mich nicht wundern dürfen, Fräulein Korff, Ihre moralische Ungefestigtheit ist ja allgemein bekannt.“
Frau Dr. Möller blieb der Mund offen stehen. Ich war diese Sprüche ja schon gewöhnt.
„Wenn Sie mich ärgern wollen, müssen Sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen als diese alberne Anrede. Und wieso bin ich moralisch ungefestigt?“
„Sie sollten verheiratet sein und sich zu Hause um Ihre Kinder kümmern, anstatt hier den zweifelhaften Versuch zu machen, sich in der Berufswelt durchzusetzen. Meine Frau...“
„Jaja, Ihre Frau hat sich nie um etwas anderes gekümmert als um Ihre Socken und sie glaubt auch alles, was sie so erzählen. Arme Frau.“
Frau Dr. Möller stand langsam auf und stellte sich vor Holzner. „War das eben Ihr Ernst? Sie sprechen uns das Recht ab, einen Beruf auszuüben?“
„Die gottgewollte Rolle der Frau sieht anders aus!“
„Und das erzählen Sie auch den SchülerInnen?“
„Selbstverständlich!“
„Ach, deshalb der gute Draht zu den Schülern?“, grinste ich.
„Das melde ich der Schulleitung. Ein Disziplinarverfahren dürfte Ihnen sicher sein, Sie verstoßen gegen Grundsätze der Verfassung.“ Frau Dr. Möller verließ den Raum und man hörte sie nebenan bei der Chefin klopfen. Holzner rannte sofort hinterher. Ich sah Brandes ratlos an. „Ist das nun Fundamentalismus oder schon religiöser Wahnsinn?“ Er zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, aber der Kerl muss weg, das steht fest. Vielleicht sollte man ihm nahe legen, sich an eine kirchliche Schule versetzen zu lassen?“
„Ob ihm da die Lehre rein genug ist?“
„Stimmt auch wieder. Und mit den Beurteilungen, die er so mitbringt, nimmt ihn natürlich niemand. Übrigens – vielen Dank für ihre Kopien!“ Ich wandte mich ihm richtig zu. „Warum machen Sie das eigentlich – diese Tauschaktion?“
„Zur gegenseitigen Anregung natürlich. Glauben Sie immer noch, ich will kontrollieren, ob Sie lehrplangerecht arbeiten? Das ist wohl kaum notwendig.“
„Wirklich? Ich weiß nicht recht, was ich glauben soll. Machen Sie das mit anderen Kollegen auch?“
„Nur mit denen, die gutes Material produzieren.“
„Oh, danke!“ Jetzt war ich doch verwirrt. Wollte er ernsthaft aus meinen Blättern etwas lernen? Kaum glaubhaft, er war doch immerhin der Fachbetreuer. Um mich wieder zu fassen, legte ich ihm drei Extemporalien hin, sortiert, korrekt beschriftet und in die Notenbücher eingetragen. „Toll, das wird mir das Wochenende ungemein versüßen“, murrte er.
„So war´s gedacht, ja. Nicht, dass Ihnen langweilig wird!“, spottete ich, erschrak aber doch vor dem dunklen Blick, den er mir zuwarf.
„Sorry...“ Ich machte, dass ich in meine letzte Stunde kam.
Zufrieden sah ich mich am Sonntag in meiner Wohnung um. Die Sofas sahen traumhaft aus, und dazu der kleine Tisch und Opas Ohrensessel... Nun war das Wohnzimmer richtig wohl gelungen und ich musste beim Fernsehen nicht mehr auf dem Boden sitzen.
In meinem neuen Bett hatte ich wunderbar geschlafen. Den neuen Schrank einzuräumen, war ein echtes Vergnügen, jetzt merkte ich erst, dass ich gar nicht so viel Kleidung hatte, sie lag und hing nun richtig auf Lücke, unverknautscht und übersichtlich, das gefiel mir. Die Kitschromane waren gut getarnt, aber griffbereit, alles war elegant dekoriert und das Bett frisch bezogen. Konnte ein Zimmer besser aussehen?
Vielleicht sollte ich mal jemanden einladen? Mir fielen sofort Marianne, Susanne und Harald ein und ich rief sie an. Sie hatten nächsten Samstag alle Zeit, sehr gut. Ich wollte eine Bowle machen und kleine Hors d´oeuvres dazu. Man konnte sich nett unterhalten und Kontakte knüpfen... Was war eigentlich mit dem Typen aus dem Erdgeschoss? Zöllner oder so? Ich schrieb ihm einen Zettel und warf ihn in seinen Briefkasten, bevor ich mich zu einem schönen langen Sonntagsspaziergang aufmachte. Kaum war ich zurück, klingelte das Telefon.
Robert Zöllner. Angenehme Stimme, er bedankte sich und sagte zu. Ob er etwas mitbringen sollte?
„Nicht notwendig. Nur Durst und interessante Gesprächsthemen!“
Als ich aufgelegt hatte, klingelte das Telefon sofort wieder: Silke. Ob ich von Meike gehört hätte?
„Nein, wieso? Was ist denn jetzt wieder?“
„Sie hat mich angerufen und behauptet, Robbi hätte eine andere.“
„Da könnte sie schon Recht haben. Das wäre doch nicht das erste Mal, oder? Warum hat sie sich bloß diesen Flop zugelegt?“
„Sie liebt ihn halt. Man liebt nicht immer den Besten.“
„Silke! So weise? Ich dachte immer, du liebst überhaupt nicht, du amüsierst dich nur?“
„Stimmt ja auch. Aber das wird mir langsam zu anstrengend. Und zu blöde. Nur, in dieser Branche findest du wirklich nichts Brauchbares. Die Hälfte ist schwul, ein Viertel verheiratet und der Rest zum Kotzen. Kennst du nicht was Nettes für mich?“
Ich lachte. „Nein, leider. In der Schule ist das Verhältnis anders; beschissen zu besetzt etwa eins zu fünf. Ich überlege, ob ich mir nicht auch mal etwas suchen sollte. Übrigens, Neil war vor kurzem da.“
„Sag bloß! Der war doch eigentlich ganz nett?“
„Hält sich stark in Grenzen. Pass auf...“
Ich erzählte ihr die Geschichte und sie amüsierte sich sehr.
„Aber das du so locker mal schnell ein Nümmerchen schiebst! Ich dachte, du bist unsere Brave?“
„Ich wollte doch nur wissen, ob es das war, was mir fehlte.“
„Und, war´s das?“
„Nein. Ich hab´s immer noch nicht herausgefunden. Aber wenn ich einen passenden Knaben für dich finde, schick ich ihn dir postwendend. Du, magst du am Samstag zur Bowle kommen? Ich hab die Leute aus dem Haus eingeladen. Da ist für dich sicher nichts dabei, aber du siehst einfach mal andere Leute. Drei arbeiten in der Werbung, von Zöllner weiß ich nicht, was er macht, den hab ich selbst nur ein einziges Mal flüchtig gesehen.“
„Gerne, ja. Kein Aprilscherz?“
„Nein, ernsthaft. Etwa um sechs. Und was machen wir mit Meike?“
„Robbi verprügeln lassen?“
„Nein, eher Meike aufbauen. Ich rufe sie später mal an.“
Ich versuchte es später wirklich, aber es meldete sich niemand. Vielleicht sollte ich nächste Woche mal bei ihr vorbeischauen?
Ich wanderte durch meine Wohnung und genoss es, wie schön sie jetzt aussah. Balkonmöbel brauchte ich noch; darüber konnte ich in den Osterferien nachdenken.
Silke hatte vielleicht Recht, ich musste mich mehr herumtreiben. Die Aussicht auf dieses Minifest nächsten Samstag beflügelte mich richtig. Ein brauchbarer Ersatz für große Ziele. Und am nächsten Freitag war das Schulkonzert, da musste ich auch hin. Ohnehin kamen immer nur wenige Kollegen, und das fand ich den SchülerInnen gegenüber etwas unfair, sie gaben sich doch solche Mühe.
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