„Kann man sie betreten?“, fragte Granger, der nun doch aufmerksam wurde.
„Wo denken Sie hin! Das hat noch keiner überlebt. Nur dem Regenten ist das gestattet. Ich durfte einmal seine Exzellenz dorthin begleiten, habe aber selbstverständlich draußen gewartet.“
„Daran sieht man, dass Sie in Ihrer Karriere auf dem Weg nach oben sind“, schmeichelte Granger. „Was macht denn seine Exzellenz in der Pyramide?“
„Er spricht nicht darüber. Aber es heißt, er suche dort nach Inspiration und meditiere, um Kraft für das Regentenamt zu sammeln.“
Granger hielt ein Glas mit einer leicht sprudelnden alkoholischen Flüssigkeit in der Hand, hatte aber bisher nur einmal daran genippt. Es war kein Bier, also mochte er es nicht. Der Staatssekretär dagegen winkte einem der Diener, um sich ein neues Glas geben zu lassen. Es war das dritte, seit er mit Granger sprach.
„Ich weiß mich in besseren Kreisen zu bewegen“, behauptete der Mann. „Das ist es, was zählt. Arbeiten kann jeder, aber sich benehmen? Das ist eine Kunst. Oh, jetzt beginnt das Unterhaltungsprogramm. Wir brauchen bessere Plätze, damit wir etwas sehen.“
Die rücksichtslose Art, mit der sich der Staatssekretär durch die Menge der anderen Gäste nach vorne drängelte, sprach nicht gerade für die von ihm behaupteten guten Manieren. Aber Granger blieb bei ihm und gelangte so in die vorderste Reihe der Neugierigen. Die drängten sich um einen etwa fünf Meter durchmessenden flirrenden Energieschirm, der mitten im Festsaal entstanden war. Der Schirm reichte vom Boden bis zur Decke und wurde von einem Dutzend Soldaten gesäumt, die verhinderten, dass die Gäste ihn versehentlich berührten.
Von Granger aus gesehen hinter dem durch das Schirmfeld abgetrennten Bereich saß der Regent auf einem an einen Thron erinnernden Sessel. Er war umgeben von einem Dutzend vornehm gekleideter Männer und Frauen. Im Laufe des inzwischen zwei Stunden dauernden Festes hatte er sich nicht um Granger gekümmert. Auch während des Essens war der Blick von Osinius nicht ein einziges Mal zu dem Gast aus der Perseus-Kolonie gewandert.
Shylahs Behauptung, es sei ungewöhnlich, als Fremder hier eingeladen zu werden, schien sich nicht zu bewahrheiten. Außer dem Staatssekretär kümmerte sich niemand um Granger.
Innerhalb des Energieschirms begann sich ein Spektakel aus Farben und Formen zu bilden, das sich im Takt der Musik bewegte. Eine Viertelstunde lang sah Granger sich das an und verstand nicht, was die anderen Gäste daran so faszinierte. Als der Regent mit einer schlaffen Geste begann, andeutungsweise zu klatschen, brandeten Applaus und bewundernde Rufe auf.
Granger zupfte am Ärmel des Staatssekretärs, bis der aufmerksam wurde, und fragte: „Was war an dieser Projektion so Besonderes?“
„Projektion?“, rief der Mann so laut, dass andere Gäste sich umdrehten. „Das war echt! Ein Lebewesen, das von einem Gasplaneten stammt. Man hat es vor einigen Jahren entdeckt und hierher gebracht. Der Schall der Musik, die wir gehört haben, wird in elektromagnetische Impulse umgewandelt und das Wesen verändert im Rhythmus seine Gestalt und Größe.“
„Ist es dressiert?“
„Nein, wie sollte man etwas dressieren, das nicht einmal ein Gehirn hat?“
Granger wollte zurückfragen, wie etwas ohne Gehirn leben und sich verändern konnte, aber er ließ es. Die nächste Attraktion begann.
Diesmal waren es zwei Menschen, die innerhalb des Kreises auftauchten. Wie sie dort hinein gelangten, war Granger ein Rätsel. Er fragte den Staatssekretär danach.
„Deflektorfelder, mein Lieber. Eine sündhaft teure Technologie, die sich nur der Regent zu seinem Vergnügen leisten kann. Ich bin einer der wenigen hier, die davon wissen. Die anderen halten das plötzliche Auftauchen der Tiere für einen Ausdruck der Willenskraft des Fürsten.“
„Wie das?“
„Nun, er wünscht sich eine bestimmte Vorführung - und im nächsten Moment beginnt sie. Dieses Gerücht wurde in die Welt gesetzt, um sein Ansehen zu steigern. Es gilt für die meisten Leute als die einzig mögliche Erklärung.“
„Aber Sie als Insider und der kommende Mann im Ministerium wissen selbstverständlich Bescheid über Deflektorfelder“, schmeichelte Granger wieder. „Auch über die bei der Pyramide?“
Es war ein Versuch, aber er traf ins Schwarze. Der Staatssekretär legte den Finger an den Mund und machte: „Pst!“ Dabei sah er sich mit großen Augen um, ob jemand etwas von diesem Gespräch mitbekam.
Aber die Zuschauer achteten nur auf die zwei Menschen innerhalb des Energieschirms. Es waren ein Mann und eine Frau, beide jung und nackt. Granger stellte sich auf eine wenige appetitliche sexuelle Vorführung ein, doch seine Vermutung war falsch. Denn den Gestalten begannen Kleider zu wachsen. Als würden sie aus der Haut kommen, legten sich eine Hose und ein Hemd um den Mann und eine Bluse und ein Kleid um die Frau. Genauso schnell verschwanden die Kleidungsstücke wieder und die beiden waren nackt.
„Was ist das?“, fragte Granger.
„Chamäliten. Das sind Tiere von einer Savannenwelt weit weg am äußeren Rand des Perseus-Arms. Sie können die verschiedensten Gestalten annehmen. Man hat ihnen vor der Vorführung Abbildungen nackter und angezogener Menschen gezeigt und nun spielen sie diese Bilder nach. Wobei sie nicht unterscheiden können, ob zum Beispiel die Kleidung zu einem Menschen gehört oder nicht.“
„Warum tun sie das?“
„Man sagt, auf ihrer Heimatwelt seien sie die bevorzugte Beute eines Raubtieres, das über keinen Geruchssinn verfügt. Es lässt sich durch die äußere Gestalt seiner Opfer täuschen. Die Wesen können sich auch in Büsche oder Gegenstände verwandeln, aber das ist für uns nicht so unterhaltsam wie die Verwandlung in Menschen.“
„Hat man sie auf ihre Intelligenz hin überprüft?“, fragte Granger. Es war eines der ältesten Gesetze der Raumfahrt, fremde Wesen nicht sofort als Tiere oder Pflanzen einzustufen. Erst musste mit Hilfe wissenschaftlicher Tests ausgeschlossen werden, dass sie über intelligentes Bewusstsein verfügten.
„Selbstverständlich!“, betonte der Staatssekretär. „Wir sind doch keine Barbaren.“
„Keinesfalls, das wollte ich auch nicht behaupten. Kommen noch weitere Vorführungen?“
„Das liegt im Ermessen des Regenten. Er scheint mir heute besonders aufgeräumt und nicht so ermüdet wie sonst nach einem Diner. Wir können uns also noch an weiteren Vorführungen erfreuen, nehme ich an.“
So war es. Attraktion nach Attraktion wurde vorgeführt. Aber immer nur, bis der Regent Beifall andeutete, dann applaudierten die Zuschauer und die Wesen verschwanden wieder. Da Granger nun wusste, dass ein Deflektorfeld ein- und ausgeschaltet wurde, sah er genauer hin. Offenbar brachte man die Tiere von unten in das Energiefeld. Es musste einen Aufzug geben, der ebenfalls vor Blicken geschützt war.
Anfangs war Granger fasziniert von den unterschiedlichen Lebensformen, die er hier zu sehen bekam. Etwas Ähnliches gab es auf keinem Planeten der Perseus-Kolonie. Vermutlich war es außerordentlich teuer, für jedes dieser Wesen die passenden Umweltbedingungen zu schaffen, um es am Leben zu erhalten. Der Regent musste über eine Art galaktischen Zoo verfügen.
Es gab schließlich nur noch schwachen Applaus, das Publikum war gesättigt. Ein kleines, weißes Etwas, das sich in Sekunden so oft vermehren konnte, dass es mit seinen Nachkommen das gesamte Volumen innerhalb des Energieschirms ausfüllte, fand kaum noch Aufmerksamkeit.
Auch Granger war in Gedanken woanders, als ein weiteres Wesen sichtbar wurde. Es war schwarz, hatte die Gestalt eines großen Hundes und überaus kräftige Hinterbeine. Zusammen mit diesem Wesen erschienen Plastikteile und es begann sofort, diese miteinander zu verbinden. Es stellte sich dabei auffallend geschickt an.
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