„Ist dies das Zentrum von Mundor?“, fragte er die Steuerung des automatischen Gleiters, den er am Raumhafen gemietet hatte.
„Das Einkaufsviertel“, antwortete die Maschine. „Möchten Sie den Regierungsbezirk und die zentralen Wohngebiete ebenfalls sehen?“
„Ja. Wie viele Menschen leben hier?“
„Im Stadtkern eine Million. Weitere sieben Millionen in den umgebenden Bezirken.“
„Wächst die Stadt?“
„Die Infrastruktur wird derzeit ausgebaut, um dem Bedarf von zwanzig Millionen Bürgern zu genügen. Ein Teil des erwarteten Zuwachses beruht auf Zuzug aus ländlichen Regionen. Außerdem liegt die Geburtenrate bei fünf Kindern pro Paar.“
„Erstaunlich. Für diese hohe Zahl sind wiederum vergleichsweise wenige Kinder in den Straßen unterwegs.“
„Sie sind um diese Zeit in den Bildungseinrichtungen und werden später die Sportstätten in den Grüngebieten nutzen. Es entspricht den hiesigen Gewohnheiten, Kinder und Jugendliche wie Erwachsene zu behandeln. Sie haben einen Tagesplan wie jeder andere Bürger auch.“
Sogar die Wohngebiete, die zum Stadtzentrum gehörten, waren weitläufig und grün. Sie wirkten eher wie Vororte.
Das Regierungsviertel entsprach schon eher dem, was Granger erwartete. Hochhäuser in einheitlichem, fantasielosem Stil beherrschten dieses Viertel, obwohl auch hier für Grün zwischen den Blocks gesorgt war.
Ein überraschter Ausruf entfuhr ihm, als der Gleiter um eines der höchsten Gebäude bog und unvermittelt ein großes, künstlerisch gestaltetes Parkgelände vor ihm lag. Im Zentrum des Parks stand ein Bauwerk, das einem Palast glich, wie er ihn von Bildern der alten Erde kannte. Das Stichwort Barock fiel ihm dazu ein, ohne dass er direkt etwas damit verbinden konnte.
„Was ist das?“, fragte er.
„Die Residenz des Regenten“, antwortete der Gleiter. „Es ist nicht gestattet, näher heranzufliegen. Dieses Gebäude ist das Zentrum der Regierung von Onistar.“
„Ein Regent also. Wird er gewählt?“
„Nein. Das Parlament ernennt ihn auf Lebenszeit.“
„Interessant. Aber das Parlament und die Regierung werden gewählt.“
„Das ist richtig. Die Mitglieder des Parlaments werden von den Abgesandten der Wohnbezirke ermittelt. Auf jeweils Hunderttausend Bürger kommt ein Abgesandter. Diese nutzen ihr Stimmrecht, um zweihundert Parlamentarier zu wählen, die aus ihren Reihen die zehn Regierungsmitglieder benennen.“
„Also so etwas wie eine indirekte Demokratie. Wie oft finden diese Wahlen statt?“
„Ein neuer Parlamentarier oder ein neues Regierungsmitglied wird nur bestimmt, wenn der Vorgänger verstirbt. Die Abgesandten haben eine Amtszeit von zehn Jahren, werden aber in aller Regel wiedergewählt, solange sie leben.“
„Seltsames System. Es wird Abend. Gibt es ein gutes Hotel in der Stadt, in dem auch Trader absteigen?“
„Raumfahrer bleiben für gewöhnlich in Ballay’s Hotel , das zum Raumhafen gehört. Soll ich Sie dorthin zurückbringen?“
„Ja, aber auf einer anderen Route. Ich will mehr von der Stadt kennenlernen.“ Granger lehnte sich zurück und überlegte, ob er das gut finden sollte, was er gesehen und gehört hatte, oder doch irgendwie beängstigend.
In der Ferne sah Granger vor dem farbenprächtigen Hintergrund des Sonnenuntergangs ein Transportshuttle, das einen Container aus dem Orbit herunterbrachte. Vermutlich kam es von der WaggaOne . Dieses Verfahren wurde hier also genauso angewandt wie auf den Planeten der Perseus-Kolonie. Der Raumhafen lag aber weitgehend im Dunkeln. Nur ein kleiner Bereich war erleuchtet, nämlich in der Umgebung des Terminals Eins und einer Lagerhalle. Die war vermutlich der Bestimmungsort des Containers.
Der Gleiter setzte ihn vor einem Gebäude ab, das nur ein paar Hundert Schritte vom Eingang des Raumhafens entfernt war. Das Schild mit der Aufschrift Ballay’s Hotel war erst aus der Nähe zu erkennen.
Der Empfang im Hotel war vollautomatisiert. Granger bekam unverzüglich ein Zimmer und die Zusicherung, dass alle Gleiterflüge innerhalb der Stadt für ihn als Gast kostenlos seien. Dann ging er in die Bar und sah sich um. Ein Dutzend Personen hielten sich in dem großen Raum auf. Leise Unterhaltungsmusik sorgte dafür, dass die Gespräche untereinander nicht die anderen Gäste belästigten.
Am Tresen saßen zwei Frauen: Miriam Goldner und eine attraktive junge Person, die überraschend viel Selbstbewusstsein ausstrahlte.
„Granger Tschad!“, rief Miriam und lenkte so die Aufmerksamkeit aller auf ihn. „Setz dich zu uns. Schön, dass wir uns jetzt persönlich treffen. Ich hätte dich größer geschätzt, aber auf dem Bildschirm des Funkgeräts kann man das ja nicht erkennen. Das ist Shylah, sie lebt hier in Mundor und arbeitet in einer Behörde.“
Miriam rutschte auf den nächsten Barhocker, sodass sich Granger zwischen die beiden Frauen setzen konnte. Er fragte als erstes, ob es auf Onistar ein gutes Bier gebe.
Es wurde ihm serviert - von einem menschlichen Barkeeper, was Granger inzwischen für etwas Besonderes erachtete auf dieser Welt - und der Smalltalk begann.
Wie zu erwarten, bestritt Miriam den Großteil des Gesprächs. Sie betonte ein ums andere Mal, was für ein sonderbarer Zufall es war, dass der ersten Besucher von Gaia seit Jahrzehnten ausgerechnet ihrer WaggaOne begegnete. Shylah hörte schweigend zu und musterte Granger, der beim zweiten Bier war, bevor er zu Wort kam.
„Mein Schiff ist von einer neuen Bauart, die besonders auf Langstrecken optimiert ist“, erklärte er und behauptete wider besseres Wissen: „Es kann also sein, dass künftig häufiger Trader aus der Perseus-Kolonie kommen.“
„Aber mit was wollen denn all diese Leute Handel treiben?“, rief Miriam.
„Das ist eine der Fragen, die es zu klären gilt. Ich hätte zum Beispiel nichts dagegen, einen kompletten Container von dieser Biersorte zu kaufen.“
„Mit einem Container voll kann ich dir nicht dienen, aber ein paar Hektoliter auf den üblichen Transportpaletten habe ich an Bord der WaggaOne . Ich werde sie dir als Warenprobe auf die Adausy schicken. Vielleicht kommen wir ins Geschäft.“
Granger strahlte. „Wunderbar! So gefällt mir das Handeln. Aber wie steht die Regierung von Onistar zu der Frage interstellarer Handelsbeziehungen? Ich habe den Eindruck, Kontakt zur Perseus-Kolonie sei nicht unbedingt erwünscht hier.“
„Ach, was!“ Miriam hob belehrend den Zeigefinger. Sie war bereits angetrunken, weil sie kleine Cocktails mit offenbar hohem Alkoholgehalt trank. „Wenn auf diese Art Waren zu uns kommen, die es hier nicht gibt, wird niemand etwas dagegen haben. Oder sehe ich das falsch, Shylah?“
„Ich mag es nicht, wenn man mich am Tresen zu beruflichen Dingen befragt“, antwortete die junge Frau. „Dafür habe ich ein Büro. Mich interessiert im Moment viel mehr, ob du morgen Abend mit mir in das Konzert gehst, Miriam.“
Verzweiflung imitierend verdrehte Miriam die Augen und hob die Hände. „So ist sie nun mal, Granger. Denkt immer nur ans Vergnügen. Aber was soll ich sagen, sie arbeitet hart genug, das muss man ihr lassen, und hat es schon weit gebracht.“
Sie beugte sich vor, als würde sie nun ein Geheimnis verraten. „Unsere Shylah ist nämlich im Handelsministerium, und zwar ist sie Referentin direkt in der Residenz des Regenten!“
Das überraschte Granger, denn es hörte sich nach einer hohen Funktion im Zentrum der Macht an. So jemand saß mit Tradern und Arbeitern an einer Bar eines billigen Hotels?
Shylah musterte ihn, als könne sie seine Gedanken lesen. „Miriam und ich kennen uns schon eine Weile. Diese Bar ist der beste Ort, um sich mit ihr zu treffen, wenn sie auf Onistar ist. Aber sie hat Recht, wir sollten uns über die Möglichkeit von Handelsgeschäften zwischen der Perseus-Kolonie und unserer Welt unterhalten. Ich lasse Ihnen morgen einen Termin übermitteln.“
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