Der Mund der Wissenschaftlerin klappte auf, als wäre sie persönlich aufs Schwerste beleidigt worden. Der Regent ballte eine seiner fetten Hände zur Faust.
„Erwähnen Sie dieses Unwort nicht in meiner Gegenwart!“, forderte Osinius. „Aberglauben und pseudowissenschaftlichen Unfug schätzen wir hier auf Onistar nicht.“ An die Wissenschaftlerin gewandt ergänzte er: „Davon stand nichts in dem Bericht, den ich erhalten habe. Darüber wird noch zu reden sein.“
Die Frau verbeugte sich, warf Granger einen giftigen Blick zu und zog sich dann zurück.
„Die Vorstellung ist für heute beendet“, erklärte der Regent.
Jemand musste auf jedes seiner Worte achten, denn im selben Moment verschwanden der H’Ruun und seine Bauklötze. Eine Minute später fiel der Energieschirm in sich zusammen. Noch einmal gab es Applaus, offenbar als Dank an den Herrscher für dieses Schauspiel, dann fanden sich die Gäste zu kleinen Gruppen zusammen und plauderten.
„Auch wenn der Abend mit einem Missklang endet“, sagte Osinius lauter als bisher zu Granger, „muss ich zugeben, dass Sie eine Bereicherung für unseren kleinen Kreis sind. Wollen Sie für immer hierbleiben? Nirgendwo in der Galaxis können Sie so ruhig und gut versorgt leben wie auf Onistar.“
„Ich werde darüber nachdenken, Exzellenz“, antwortete Granger, dem vor Überraschung weiter nichts einfiel. Er verbeugte sich und verließ als einer der ersten den Festsaal.
Kapitel 6
„Ein H’Ruun?“, fragte Shylah scharf. „Bist du sicher?“
„Ziemlich“, antwortete Granger. „Er sieht so aus und zeigt Anzeichen von Intelligenz. Außerdem baut er aus Plastikteilen Gebilde zusammen, die wie die Raumfahrzeuge eines Konglomerats aussehen. Das mag Zufall sein, aber ich glaube nicht daran.“
„Wenn er der Einzige seiner Art hier auf Onistar ist, kann er nicht intelligent sein. Die Gruppe fehlt ihm.“ Shylah lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und dachte nach.
Granger war gleich am Morgen zu ihr ins Büro gekommen, um zu berichten, was er während des Diners erlebt hatte. Nun sah er die junge Frau erstaunt an.
„Woher weißt du so gut über die H’Ruun Bescheid?“, fragte er. „Ich hatte gestern den Eindruck, auf dieser Welt seien sie in Vergessenheit geraten.“
„Ich versuche, mich auf dem Laufenden zu halten“, wich Shylah aus. „Wie ist das mit dem Gedächtnis dieser Wesen? Ich meine, wenn sie nicht intelligent sind, weil sich nicht genügend Artgenossen in der Nähe befinden, dürfte das doch keine Auswirkung auf ihr Wissen haben. Sie können vorübergehend nicht darauf zugreifen, aber sobald alles wieder normal ist, muss das Wissen wieder da sein. Sonst hätten sie nie eine Zivilisation aufbauen können.“
„Wird wohl so sein. Aber warum interessiert dich das?“
„Wenn das Gedächtnis eines H’Ruun unbewusst weiter funktioniert, während er vorübergehend seine Intelligenz verliert, dann ...“ Shylah unterbrach sich, dachte einen Moment nach, und lächelte. „Dann könnte er zum Beispiel etwas, das er gehört hat, nachträglich auch verstehen.“
„Du meinst, er speichert alles ab und kann sich später daran erinnern?“
„Macht doch Sinn. Die Evolution bevorzugt nun einmal Lebewesen, die so viele Erfahrungen wie möglich nutzen.“
„Noch einmal die Frage: Warum interessiert dich das?“
„Weil der H’Ruun womöglich seit Monaten immer wieder all den hohen Entscheidungsträgern vorgeführt wird. Die halten ihn für ein Tier und reden völlig offen in seiner Gegenwart. Er könnte eine Menge von dem gehört haben, was im innersten Zirkel der Macht abläuft.“
„Du meinst, im Kreis der wenigen Menschen, die Zugang zu der seltsamen Pyramide haben.“
„Du hast also auch schon davon gehört! Ja, genau darum geht es mir.“
Granger musterte sie mit neuem Interesse. Hatte er sich in ihr getäuscht? War sie vielleicht sogar eine von denen, die ihn hierher geschickt hatten?
„Ich arbeite für Gaia“, bestätigte Shylah seinen Verdacht. „Man hat dir sicherlich gesagt, dass auf manchen Planeten Agenten eingeschleust wurden. Leider haben die meisten ihre Zielwelt nicht erreicht.“
„Bis eben warst du mir sympathisch“, brummte Granger.
„Das klingt, als seiest du nicht freiwillig hier. Hat man dich zu der Reise gezwungen? Mach dir nichts draus. Das ist nicht unüblich. Es gibt Aufträge, die niemand freiwillig annimmt.“
Granger überlegte, ob er ihr von dem Rauschgift erzählen sollte, das man ihm untergeschoben hatte, ließ es dann aber. Er hatte keinen Beweis dafür, dass Shylah die Wahrheit sagte. Genauso gut wie eine Spionin Gaias konnte sie Mitarbeiterin des Geheimdienstes von Onistar sein - oder beides. „Willst du damit andeuten, dass man dich auch gezwungen hat, hier Agentin zu sein?“
„Nein, mich treiben die Neugierde, die Abenteuerlust und natürlich die Aussicht auf eine dicke Prämie. Ich wollte mich dir gegenüber schon am ersten Tag zu erkennen geben, aber die Gelegenheit war nicht günstig.“
„Erstaunlich, dass du es zu einer Position hier im Zentrum der Verwaltung gebracht hast.“
„Man hat eben nicht die Dümmste für diese Mission ausgewählt“, entgegneten Shylah schnippisch.
„Habe ich auch nicht vermutet. Aber wie kannst du sicher sein, dass hier drinnen nicht jedes Wort abgehört wird, das wir sprechen?“
„Die Technik auf Onistar ist nicht ganz so fortschrittlich wie die in der Perseus-Kolonie. Ich habe ein paar kleine Geräte hier hereingeschmuggelt, die zuverlässig jeden Versuch anzeigen würden, mir nachzuspionieren. Außerdem entspricht das nicht der Mentalität des Regenten und der anderen Bürokraten. Sie halten sich für so überlegen, dass sie sich nicht vorstellen können, hintergangen zu werden.“
„Solche Herrscher bleiben meist nicht lange an der Macht.“
„Wenn sie Gegner haben. Aber du machst dir keine Vorstellung davon, wie gutmütig und leichtgläubig die Bevölkerung ist. Eine Herde Schafe, die dankbar ist, einen Schäfer zu haben, der sich um alle Probleme kümmert. Falls du den Vergleich verstehst.“
„Was ich gestern erlebt habe, glich dem Empfang am Hof eines Königs, wie man sie in der Urzeit der Erde kannte.“
„Man hat hier so eine Art Aristokratie eingeführt, aber niemand findet etwas dabei. Zurück zum Thema: Was hältst du von meiner Idee über den H’Ruun?“
„Wenn du ihn als Informationsquelle nutzen willst, musst du ihn erst befreien und dann intelligent machen. Beides dürfte schwierig sein.“
„Warum? Wo einer ist, sind meist viele in der Nähe, das liegt in ihrem Naturell. Irgendwo in den umgebenden Sonnensystemen hält sich ein Konglomerat versteckt. Ich nehme an, er war als Scout oder Kurier unterwegs und ist durch einen bösen Zufall in Gefangenschaft geraten.“
Granger erklärte ihr, dass es im Perseus-Arm der Milchstraße keine Konglomerate mehr gab. Die Einzelheiten über den Rückzug der H’Ruun behielt er für sich, weil alles, was mit Uruvela zusammenhing, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Er wusste nicht, inwieweit die Agentin eingeweiht war in diese Vorgänge.
„Das bedeutet, er ist alleine“, schloss Granger. „Wobei es mir nicht einleuchtet, dass seine Artgenossen ihn nicht befreit haben, bevor ihr Konglomerat verschwand. Jeder H’Ruun kann auf magische Weise Verbindung zu allen anderen aufnehmen. Etwas stimmt hier nicht. Und er hat kein Metallkästchen am Kopf, wie es üblich ist, wenn einzelne oder kleine Gruppen unterwegs sind.“
„Ein Metallkästchen?“ Shylah beugte sich interessiert vor. „Erklär mir das.“
Nachdem Granger ihr auch davon berichtet hatte, sprang die junge Frau auf. „Das ist die Lösung für unsere Probleme! Wir müssen den H’Ruun nur mit einem Computer koppeln. Wenn wir seinen Kopf mit Elektroden ausstatten, sollte das sogar der KI deines Schiffes gelingen.“
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