„Ich schätze, das ist überall so. Der Schein ist wichtiger als das Sein.“ Granger zog die Tür weiter auf und sah hinaus auf den Flur.
Soldaten in roten Uniformen mit antiken Waffen bezogen Posten entlang der Wände. Sie standen stramm und starrten geradeaus, als gebe es sonst nichts als sie. Dann kam der erste Würdenträger um die Ecke. Granger blieb fast der Mund offen stehen.
Der Mann trug mehrere Schichten Bekleidung übereinander und wirkte dadurch aufgeplustert und doppelt so dick, wie er wahrscheinlich war. Überall waren Rüschen, Schleifen und andere Applikationen angebracht. Der dünne Spazierstock, auf den er sich affektiert stützte, war mit Edelsteinen besetzt und der Griff schien aus Gold zu bestehen.
Das muss der Regent sein, dachte Granger, aber da kam schon ein zweiter Mann, der ebenso aufwendig gekleidet war. Als Nächstes erschien eine Frau in einem so weiten Rock, dass der fast die gesamte Breite des Gangs einnahm.
„Tür zu!“, zischte Shylah hinter ihm.
Granger schloss hastig die Tür und drehte sich nach ihr um.
„Wenn wir Glück haben, gehen sie vorbei“, erklärte sie. „Aber sicherheitshalber setzen wir uns so hin, als würden wir uns über die dargestellten Statistiken unterhalten. Sollte jemand hereinkommen, dann steh auf und verbeuge dich so tief wie möglich. Das macht einen guten Eindruck.“
Wenige Minuten später öffnete sich die Tür und vier der roten Soldaten erschienen. Ohne etwas zu sagen, positionierten sich je zwei an der Tür und neben Shylahs Schreibtisch. Es folgte einer der aufwendig gekleideten Herren, der sich das Büro ansah, als habe er noch nie etwas so Seltsames gesehen. Dann wandte er sich Shylah zu, musterte zuerst sie und schließlich Granger.
Der hatte vor Verblüffung zunächst vergessen, was ihm gesagt worden war. Als er jedoch sah, wie Shylah aufstand und einen Knicks machte, erhob auch er sich und verbeugte sich. Nicht sonderlich tief, aber so, dass es als eine Geste der Höflichkeit erkennbar war.
„Lassen Sie sich durch mich nicht stören“, forderte der Mann mit einer brummenden Baritonstimme. Er wandte seine Aufmerksamkeit der 3D-Grafik zu und er studierte sie, als verstünde er genau, worum es ging. „Faszinierend!“, begann er dann. „All diese farbigen Linien und Figuren, die in der Luft schweben, als seien sie real. Und doch ist es nur eine Vorspiegelung von Tatsachen durch den Computer, nicht wahr?“
„Ganz recht“, bestätigte Shylah. „Es erleichtert uns die Arbeit, wenn die Zahlen so aufbereitet werden.“
„Zahlen, Zahlen, Zahlen!“ Der Mann schüttelte mit einem angewiderten Gesichtsausdruck den Kopf. „Als ginge es nur um Zahlen in der Administration. Dabei geht es doch um die Menschen, um Onistar, um das große Ganze! Ich bin sicher, seine Exzellenz der Regent wird mir zustimmen. Ich lasse ihn rufen.“
Der Mann gab den Soldaten neben der Tür durch einen Wink zu verstehen, dass sie gemeint waren. Einer von ihnen stolzierte daraufhin kerzengerade hinaus auf den Flur.
Als er zurückkam, hielt er die Tür weit auf, obwohl sie auch ohne das offengeblieben wäre. Herein kam ein großer, völlig verfetteter Mann, der ganz in Beige und Weiß gekleidet war.
„Seine Exzellenz Osinius, Regent von Onistar!“, verkündete der Soldat.
Der Regent sah sich kurz um, starrte dann Granger an und sagte: „Ein Fremder! Wie seltsam! Warum wurde ich nicht darüber informiert?“ Seine Stimme klang dünn und ein wenig schrill.
Da Shylah wieder knickste, hielte es Granger für angebracht, sich noch einmal zu verbeugen, diesmal ein wenig tiefer als vorher.
„Nun, warum sagt denn keiner etwas?“, hakte der Regent nach, als niemand auf seine Frage reagierte. „Will man womöglich wichtige Neuigkeiten vor mir geheim halten? Das kann ich auf keinen Fall zulassen. Sie!“ Sein dicker Wurstfinger zeigte auf Shylah. „Sie erklären mir jetzt auf der Stelle, wer dieser Fremde ist, wie er hierher kam und was es sonst noch an Wissenswertem gibt.“
„Ich darf Eurer Exzellenz den Trader Granger Tschad vorstellen“, begann Shylah. „Er ist mit einem Frachtschiff aus der Perseus-Kolonie gekommen, um sich nach Möglichkeiten des Handels zu erkundigen.“
„Ja, und, und?“, drängelte der Regent.
„Selbstverständlich verfügt die Bevölkerung von Onistar über alles, was sie benötigt, aber es gibt keinen unnötigen Überfluss, den man exportieren könnte.“
„So ist es!“ Der Regent wandte sich wieder Granger zu. „Das muss eine furchtbare Enttäuschung für Sie sein, nicht wahr? So eine weite Reise, sicherlich durch gefährliche Regionen des unendlichen Weltalls und so weiter, und alles vergebens. Ich drücke Ihnen mein Bedauern aus und lade Sie als Entschädigung zu einem Diner in kleinem Kreis heute Abend ein. Ich hoffe, Sie werden kommen.“
Granger fühlte einen Schubs, den Shylah ihm verpasste. Er verbeugte sich noch einmal. „Das ist eine große Ehre. Ich nehme die Einladung gerne an.“
„Gut so! Gäste zu bewirten ist eine der Tugenden, die wir hier auf Onistar besonders pflegen. Ich bin sicher, Sie werden das zu schätzen wissen.“ Der Regent winkte in einer schwächlichen Geste die rechte Hand zum Abschied, wandte sich um und ging hinaus.
Sein Begleiter und die Soldaten verließen das Büro ebenfalls.
Granger sah Shylah fragend an: „Er hat nicht gesagt, wo und wann ich zu dem Diner erscheinen soll.“
„Keine Sorge, darum kümmert sich eine ganze Heerschar von Lakaien“, beruhigte sie ihn. „Vermutlich informiert man schon in diesem Moment dein Hotel. Sobald du dorthin zurückkehrst, wird dich ein Schneider besuchen und dir angemessene Kleidung verpassen.“
„Ich verkleide mich nicht!“, rief Granger entrüstet. „Der Regent sagte, es sei ein Diner in kleinem Kreis. Da werde ich doch nicht so herausgeputzt erscheinen müssen wie diese Gecken in seiner Begleitung.“
Shylah kicherte. „In kleinem Kreis bedeutet, dass zwischen fünfzig und hundert Gäste dort sein werden. Einerseits stimmt es, dass sich niemand um dich kümmern wird. Andererseits gilt das nur, wenn du in der Menge nicht auffällst.“
„Ist es normal, dass man als Fremder gleich vom Regenten eingeladen wird?“
„Nein. Noch weniger normal ist es, dass er dich sofort als Fremden erkannt hat. Man muss ihn vorab darüber informiert haben. Vermutlich ist er überhaupt nur gekommen, um sich ein Bild von dir zu machen. Das ist ungewöhnlich.“
„Was kann er von mir wollen?“, fragte Granger.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es etwas, das ein Trader für ihn tun kann.“
„Zum Beispiel besondere Delikatessen für ihn von Gaia holen“, sagte Granger. Er fing an, zu grinsen. „Seine Exzellenz sieht so aus, als wäre er dafür empfänglich.“
„Also das gehört zu den Dingen, die du heute Abend keinesfalls erwähnen solltest“, rügte ihn Shylah. Aber sie grinste ebenfalls.
Kapitel 5
„Die Pyramide ist das Symbol für Frieden und Freiheit von Onistar“, sagte der angetrunkene Staatssekretär. Er lehnte sich zu Granger hin, sodass der den nach Alkohol stinkenden Atem des Mannes einatmen musste, und fügte flüsternd hinzu: „Deshalb wird sie auch so gut versteckt!“
Granger drückte den Mann von sich weg. Überall im Festsaal waren Abbildungen von Pyramiden zu sehenden, und er hatte ihn danach gefragt, weil er mit jemandem ins Gespräch kommen wollte. Diese Pyramiden sahen alle gleich aus, sie waren nicht spitz, sondern stufenförmig und endeten oben in einer Art Plattform. Es hatte Granger nur interessiert, ob es dafür ein Vorbild gab. Vielleicht den Nachbau eines antikes Gebäudes von der Erde, ähnlich wie die Residenz, in der sie sich befanden.
Der Staatssekretär ließ sich nicht so einfach beiseiteschieben. Er griff nach Grangers Arm, um ihn zu sich zu ziehen. „Niemand darf die Pyramide sehen“, flüsterte er wichtigtuerisch. „Die meisten wissen nicht einmal, dass es sie wirklich gibt. Aber ich war schon in ihrer Nähe!“
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