Die Konstruktionen, die es formte, hatten etwas, das Granger bekannt vorkam. Er starrte gedankenverloren die Kreatur an, als es ihn wie ein Blitz traf: Das war ein H’Ruun! Abgemagert und ohne die Ledergurte, die seine Artgenossen gewöhnlich um den Leib geschnallt trugen, aber doch unverkennbar.
Die Gebilde, die der H’Ruun zusammenbaute, ähnelten den Raumschiffen eines Konglomerats. Manche waren groß und quadratisch wie die Zentraleinheit, die man Nabe nannte. Andere kleiner und länglich wie Fregatten. Und es gab eine Struktur, die mit ein wenig Fantasie ein Frachtschiff mit Containern darstellte, die entlang einer Spindel angebracht waren.
Was ging hier vor? Granger rief sich alles in Erinnerung, was er über diese raumfahrende Rasse wusste. Es handelte sich um Kollektivwesen, deren Intelligenz davon abhing, dass möglichst viele ihrer Art in der Nähe befanden. Außerdem verfügten sie über eine gewisse angeborene Fähigkeit, auf magischem Wege miteinander Kontakt aufzunehmen, und das über viele hundert Lichtjahre hinweg. Ein einzelner H’Ruun wies nur eine geringe Intelligenz auf - außer er benutzte einen künstlichen Verstärker, den er als kleines Kästchen an seinem Kopf befestigte. Im Idealfall verband ihn dieses Gerät mit einem leistungsfähigen Computer, zum Beispiel der KI an Bord eines Raumschiffs. Dann war der H’Ruun hochintelligent.
Aber alle H’Ruun hatten sich in den Schutz Uruvelas geflüchtet. Sie hielten sich in einer magisch aufrecht erhaltenen Falte der Raumzeit auf, zu der es keinen Zugang gab. Das war der Stand der Kenntnis, über die man auf Gaia verfügte. Die H’Ruun selbst hatten gesagt, dass im Perseus-Arm keine Konglomerate mehr existierten.
Da die übrigen Gäste diese neue Attraktion langweilig fanden, konnte Granger sich weiter vordrängen. Direkt am Energieschirm versuchte er, einen genaueren Eindruck von dem Wesen zu bekommen. Die Wachsoldaten sahen ihn scharf an. Aber er hatte nicht vor, den Schirm zu berühren oder sonst eine Dummheit zu begehen, also wiesen sie ihn nicht zurück.
Ob der H’Ruun überhaupt erkennen konnte, was außerhalb seines Gefängnisses vor sich ging, war nicht klar. Er reagierte jedenfalls nicht auf Grangers Annäherung, sondern beschäftigte sich weiter mit den Spielsteinen. In seinen Augen war keine Spur von wachem Verstand zu erkennen, er schien wirklich ein Tier zu sein. Und doch war etwas Entschiedenes in den Bewegungen, mit denen er seine Modelle zusammensteckte.
Granger wandte sich an den Staatssekretär, der seine Aufmerksamkeit einer jungen Frau widmete, statt das Schauspiel hinter dem Energieschirm zu betrachten. „Darf man den Regenten ansprechen?“, fragte er.
Der Staatssekretär starrte ihn an und begann zu lachen. „Ich werde mich hüten“, sagte er und zwinkerte der jungen Frau zu. „Ich will ja Karriere machen. Aber wenn man nichts zu verlieren hat, warum nicht? Er hat noch keinen verschwinden lassen, der ihn belästigt.“
Granger nickte und drängte sich durch die Menge der Zuschauer um den Energieschirm herum auf die andere Seite des gesicherten Bereichs. Er kam bis auf wenigen Schritte an den Regenten heran. Den schien das Schauspiel des bastelnden Tieres zu langweilen, denn zum ersten Mal an diesem Abend wandte er den Kopf und blickte Granger an.
Einen Moment lang sahen sie sich gegenseitig in die Augen und Granger fragte sich, ob das Gehabe des Mannes nur Verstellung war, denn dessen Blick war wach und durchdringend. Dann hob der in einer kaum erkennbaren Geste die rechte Hand und winkte Granger zu sich.
Der folgte der Aufforderung und verbeugte sich.
„Wie gefällt Ihnen diese kleine Abendunterhaltung?“, fragte Osinius. „Sicherlich gibt es auf Gaia und den anderen Welten ungleich prächtigere Feste.“
„Keinesfalls, Exzellenz. Zumindest auf den Planeten, die ich persönlich besucht habe, kennt man nichts Vergleichbares.“
„Setzten Sie sich zu mir und erzählen Sie mir von diesen fernen Gegenden.“ Ein kurzes Fingerwackeln des Regenten, und der Mann zu seiner Rechten erhob sich und bot Granger mit einer Verbeugung den Sitzplatz an.
„Was interessiert Sie?“, fragte Granger, als er saß. Er wollte das Gespräch nicht sofort auf den H’Ruun bringen.
„Exotische Welten, seltsame Gebräuche, ungewöhnliche Lebewesen. Das Interessante, eben.“
„All das gibt es. Als Trader bin ich jedoch vor allem an Planeten interessiert, die bereits von Menschen besiedelt sind. Gewöhnlich findet vor der ersten Kolonisierungswelle eine mit hohem Aufwand betriebene Terraformung statt, bei der das Ökosystem und Teile der Planetenoberfläche umgewandelt werden. So wird sichergestellt, dass Menschen dort ungefährdet leben können.“
„Bekannt, bekannt“, sagte der Regent und gähnte. „Aber es gibt doch auch Gebiete, die nicht terraformt werden.“
„Ganz Recht“, bestätigte Granger und begann, Geschichten über einige der seltsamen Gegenden zu berichten, die er gesehen hatte. Geschickt erwähnte er dabei die H’Ruun, woraufhin der Regent erstaunt die Augenbrauen hob.
„Sind das nicht die Unwesen, die ganze Kolonialplaneten vernichten und das Wurmloch zum Orion-Arm der Galaxis zerstört haben?“
„Das hat sich beides als nicht richtig erwiesen, Exzellenz. Die H’Ruun sind genauso Opfer der hier im Perseus herrschenden Zustände wie wir Menschen. Deshalb kam es zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen uns.“
„Und wie muss ich mir so einen H’Ruun vorstellen?“
Granger zeigte auf das Wesen hinter dem Energieschirm, das weiterhin eifrig Bausteine zu Formen zusammensteckte. „Wie diese Attraktion“, sagte er. „Das könnte dem Äußeren nach ein H’Ruun sein.“
„Ich bitte Sie, unterstellen Sie mir nicht, dass ich hier intelligente Lebewesen zur Schau stelle.“ Der Regent beugte sich zu Granger, der den Kopf senken musste, um die folgenden, leise gesprochenen Worte verstehen zu können: „Außer den herausgeputzten Dummköpfen hier um uns herum, versteht sich.“
Der Regent kicherte vernehmlich. Vielleicht über seinen eigenen Scherz, vielleicht über Grangers verblüfften Gesichtsausdruck.
„H’Ruun sind nur im Kollektiv oder unter Verwendung technischer Hilfsmittel intelligent, Exzellenz“, antwortete Granger ebenso leise. „Es kann durchaus sein, dass Ihren Wissenschaftlern ein schrecklicher Irrtum unterlaufen ist.“
„Das lässt sich feststellen.“ Osinius drehte den Kopf, soweit sein fetter Hals es zuließ, und winkte eine weiter hinten stehende Frau zu sich.
Sie kam, knickste und fragte: „Sie wünschen, Exzellenz?“
„Unser Gast hier behauptet, das Wesen dort drinnen sei womöglich intelligent. Lassen Sie es sich von ihm erklären.“
Auf der Stirn der Frau erschienen Zornesfalten und ihr Gesicht rötete sich. Sie war nach Grangers Einschätzung über siebzig, klein und wirkte ausgezehrt. Durchaus der Typ Mensch, den man sich als Wissenschaftlerin vorstellte.
Granger wiederholte, was er zum Regenten gesagt hatte, ohne mehr von seinem Wissen über die H’Ruun preiszugeben.
„Keinesfalls!“, zischte die Frau. „Wir haben modernste Untersuchungsmethoden angewandt. Dieses Tier verfügt über einige verblüffende Fähigkeiten, deshalb wird es ja hier vorgeführt. Aber es gibt keinerlei Hinweise auf intelligentes Bewusstsein. Obwohl ...“
„Ja?“, fragte der Regent.
„Es gibt einige Auffälligkeiten im Gehirn, die auf eine degenerative Veränderung hindeuten, wie es sie gerüchteweise auch bei Menschen vorkommt. Diese Veränderungen sollen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten einhergehen. Aber wir konnten keine Auswirkungen feststellen, die über die vorhandenen Untersuchungsergebnisse hinausgehen.“
„Die H’Ruun sind von Geburt an in gewissem Maß magisch begabt“, sagte Granger und bedauerte das im nächste Moment.
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