Was wollte ich eigentlich in Wien? Mich in Ruhe ärgern? Hätte ich das zu Hause oder meinetwegen in Salzburg nicht auch haben können? Nein, Wien war eine gute Idee, dort würde mir sicher etwas einfallen...
Ich drückte mich wieder in meine Ecke und döste weiter vor mich hin. Wo war ich stehen geblieben?
***
Auf dem Weg zur Agentur, erinnerte ich mich. Public Media , ein verdammt hochtrabender Name dafür, dass wir nicht viel mehr schafften, als zweitrangigen Prominenten und solchen, die es werden wollten, Auftritte in der Presse ( an der Seite von XY wurde gesichtet.. .) und im Fernsehen zu verschaffen (zu irgendetwas mussten diese vielen Talkshows ja gut sein) und sie beim Aufbau einer eventuellen Website zu beraten. Die Seite selbst machte dann eine andere Agentur, mit der wir häufiger Klienten (auf diesen Begriff legte Frances Wert) austauschten.
Ich sprang die zwei Treppen hoch und tauchte schnaufend im Büro auf. Erst zehn vor neun, sehr gut, ich war nicht mal zu spät, trotz der Rostlaube. Als Frances hereinrauschte, saß ich schon an meinem Schreibtisch, hatte den Rechner hochgefahren und die Post sortiert. Viel war´s nicht, so toll liefen die Geschäfte auch wieder nicht. Vielleicht zahlte Frances deshalb so bescheiden?
Überhaupt, Frances! In Wirklichkeit hieß sie Franziska Zerner, geboren als Fanni Moser in einem Dorf der näheren Umgebung, in welchem, hatte ich vergessen. Aber Frances klang natürlich besser. Sie flocht gern Wendungen wie Come on! und No way! in ihre Verlautbarungen ein und erwähnte häufig, wie etwas in L.A . gehandhabt, nein, gehändelt werde. Das verlieh ihr etwas Weltgewandtes, und die Klienten glaubten, sie habe jahrelang in dieser Branche in den USA gearbeitet. Ein Hauch von Hollywood umwehte sie dann. Natürlich fragte keiner nach, es wäre schließlich total uncool, einen Amerikaaufenthalt zu bestaunen. Hätte doch einer gefragt, hätte Frances ganz schön lügen müssen, sie war den USA noch nie näher gekommen als bis zum Frankfurter Flughafen.
„Hi, Betty! Liegt was an?“
Ich reichte ihr die zum Teil geöffneten Briefe. „Zwei Rechnungen, eine Anfrage, und der Brief scheint privat zu sein. Sonst nichts, noch keine Anrufe.“
Sie nahm den dünnen Packen an sich und stöckelte in ihr Büro. Neue Haarfarbe, stellte ich fest, als ich ihr nachsah und nach dem großen Terminplaner griff, dunkle Kirsche oder so. Das machte sie auch nicht unbedingt jünger. Vielleicht kam sie ja zum Lifting doch mal in die USA. Andererseits war sie eine Meisterin darin, so zu formulieren, dass man alles Mögliche vermuten konnte, ohne dass sie direkt log. Ich hörte sie schon: Eine kleine Auffrischung war allmählich nötig. In Beverley Hills gibt es wirklich die besten Schönheitschirurgen . Jeder zog den gewünschten Schluss, denn Ich konnte mir allerdings nur das hiesige Städtische Krankenhaus leisten sagte sie ja nicht dazu!
Was lag denn überhaupt an? Nicht viel – um elf kam ein Vertreter einer Sanitärfirma vorbei, der Wert darauf legte, dass sein Name öfter in der Zeitung erwähnt wurde. Ich musste an den Prominentenzahnarzt aus Kir Royal denken und kicherte vor mich hin. Nun, wir fanden sicher jemanden, der bereit war, sich vor seinen Schaufenstern ablichten zu lassen, wie er sinnend hineinsah. Ich blätterte die Kartei unserer Sternchen durch. Wie wäre es mit Leila? Sie war zwar nur dadurch bekannt geworden, dass sie bei einer dämlichen Containershow mitgemacht und sich später bei einer Talkshow blitzschnell ausgezogen hatte – ganz! -, aber das reichte, um ihren Bekanntheitsgrad zu gewährleisten. Leila gönnt sich ein Luxusbad bei Schröders Badeluxus ... oder so, mal sehen, was Frances davon hielt.
Mittlerweile war auch meine Kollegin eingetroffen und hatte sich hinter ihrem Rechner installiert. Irgendwie hatte sie es schlauer angefangen als ich, jedenfalls machte sie nie Überstunden und musste auch nicht bei Wind und Wetter durch die Stadt traben, um locations ausfindig zu machen oder zu überlegen, wie man eine angebliche Traumvilla so fotografierte, dass sie traumhaft aussah und nicht so schäbig wie in Wirklichkeit. Mittlerweise konnte ich mit dem richtigen Blickwinkel einen Wohncontainer wie einen Luxusbungalow erscheinen lassen, na, fast. Katrin tippte nur, kochte Kaffee, putzte ab und zu mal die Teeküche, gurrte die Klienten an, die hier vorbei kamen, und ging täglich um fünf, egal, was noch anlag. Außerdem war sie diätfixiert, aber sonst ganz nett. Deshalb wunderte ich mich auch nicht über ihre ersten Worte: „Was hast du heute gefrühstückt?“
„Ein Viertel von einer halben trockenen Semmel, dann gab´s Krach und ich bin weg.“
Jede andere Frau hätte sich jetzt nach dem Krach erkundigt, Trost gespendet, auf die Männer geschimpft oder Beziehungsberatung angeboten. Nicht so Katrin!
„Eine weiße Semmel?“
„Ja, warum?“
„Das ist doch fast reine Glukose! Das darf man doch morgens nicht essen!“
„Warum nicht?“
„Das blockiert doch die Lipolyse – morgens immer erst mal säuerliches Obst, das ist ein ganz wichtiges Gesetz!“
„Was ist Lipolyse?“, erkundigte ich mich mit mäßigem Interesse und blätterte weiter im Terminkalender herum.
„Na, die Fettlösung!“
„Welches Fett denn? Katrin, ich bin einsachtzig groß und wiege nicht mal sechzig Kilo, ich müsste eher ein bisschen Fett einlagern. Und du bist auch nicht zu dick!“
„Es geht doch nicht nur um das Aussehen, auch um die Gesundheit. Kennst du deine Cholesterinwerte?“
„Nein“, antwortete ich mürrisch, „ich weiß nicht mal genau, was Cholesterin eigentlich ist.“
Katrin setzte schon zu einem längeren Vortrag an, als glücklicherweise Frances aus ihrem Chefinnenbüro guckte. „Betty, komm doch mal, bitte. Und bring die Planung von heute mit!“
Noch mal davongekommen! Ich raffte Terminplaner und Notizen an mich und flüchtete zu Frances.
Natürlich verwarf sie Leila als Sympathieträgerin sofort. „Diese kleine Schlampe! Schröder will bestimmt etwas Solideres, denk doch mal mit! Wie wär´s mit der, die die Mutter in dieser Endlosserie spielt, mir fällt gerade der Name nicht ein, so what , aber frag da doch mal nach. Die kennt auch jeder, und sie hat nicht diesen Luder-Beigeschmack.“
„Das stimmt, aber Mutter Kunze – die meinst du doch? – dreht gerade ein Special auf Mallorca. Die kommt nicht extra, um eine Badewanne anzuschmachten, es sei denn, wir kommen mit großzügigsten Spesen rüber, Flug, Hotel, Essen, Shopping. Du kennst die doch!“
„Hm. Come on , lass dir was einfallen, ja? Um elf kommt Schröder schon!“
„Weiß ich. Ist gut. Um zwei Fototermin mit diesen beiden neuen Sängern im Hotel Atlantic , dann die Kampagne für das Sushirestaurant in der Altstadt – wer könnte dort beim Genießen gesichtet worden sein? Hinterher kommt Andi mit dem Websiteentwurf für die Boutique Silvana , na, und um sieben Böhmelmann im Esplanade .“
„Da kannst du so nicht hingehen!“ Sie musterte Hose und Leserjacke abfällig.
„Weiß ich, ich gehe vorher heim und ziehe mich um. Um sechs hab ich ja wohl eine Stunde Pause verdient, oder? Nach neun Stunden Arbeit?“
Ich erntete einen giftigen Blick. „Wenn´s sein muss! Aber der Websiteentwurf muss heute noch fertig werden!“
„Ich tue, was ich kann, aber ich schaffe auch nicht alles an einem Tag.“
„Katrin schon. Dann müsstest du es auch hinkriegen, du hast immerhin studiert.“
Katrin macht gar nichts, da ist man leicht pünktlich fertig, murrte ich vor mich hin.
„Ach ja, und zieh was an, was ein bisschen sexy ist, ja?“
„Bitte? Warum das denn? Ich dachte an das seriöse Kostüm.“
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